Vor 75 Jahren, am 16. August 1945 wird der Aufbau Verlag in Berlin gegründet – mit der ersten Lizenz nach Ende des Zweiten Weltkriegs und zunächst als deutscher Verlag in der sowjetischen Besatzungszone. Die Wege und Konflikte des Verlags und seiner auch nord- und ostdeutschen Autoren spiegeln auch die Umbrüche in der deutschen Geschichte. Wir sprachen mit Velegerin Constanze Neumann und Verleger Reinhard Rohn über vergangene Zeiten, über neue Wege und große Verantwortung:
BuchMarkt: Der Aufbau Verlag wurde vor 75 Jahren gegründet. Wie fühlt sich dieses große Jubiläum für Sie beide an?
Constanze Neumann: Es ist ein besonderer Moment – Zeit, zurückzuschauen auf die bewegte und vielfältige Geschichte des Verlages und sich an die vielen Autorinnen und Autoren zu erinnern, die den Verlag geprägt haben. Es ist auch ein Augenblick, in dem sehr deutlich wird, was für ein Glück es ist, in einem solchen Haus zu arbeiten, und dass es eine große Verantwortung bedeutet,
diese Tradition fortzusetzen. „Man muss sein Herz an etwas hängen, dass es verlohnt“, dieses Wort von Hans Fallada haben wir als Motto für unser Jubiläum gewählt– das galt in den vergangenen 75 Jahren, und das gilt auch in Zukunft. Feierstimmung konnte und wollte in Corona-Zeiten nicht so recht aufkommen, aber das werden wir auf jeden Fall nachholen!
Hat sich der Verlag über die Jahre auch weiterentwickelt? Inwiefern?
RR: Bei Aufbau gab es nie Stillstand – konnte es nie geben, weil der Verlag sozusagen immer in der ersten Reihe im Wind stand. Das war zur DDR-Zeit so – man denke nur an die Geschehnisse um Walter Janka, der als Konterrevolutionär verurteilt und ins Gefängnis geworfen wurde. Nach der Wende musste der Verlag sich, ohne seine Identität als Haus für Literatur zu verleugnen, komplett neu erfinden. Bis heute erfolgreiche Programmbereiche kamen hinzu – wie hochwertige Unterhaltungsliteratur – oder neue Labels wie Blumenbar. Zuletzt haben wir uns neben einer sehr intensiven Programmarbeit auch sehr auf digitale Angebote konzentriert – wie E-Book und Audio. Dieser Bereich ist unter der Leitung von Oliver Pux stark gewachsen und hat uns ein zum Teil neues und jüngeres Publikum erschlossen.
Der Aufbau Verlag hat den Claim „Aufbau bewegt“ und will gesellschaftliche Prozesse begleiten und anstoßen. Wie genau sieht das aus?
CN: Die Leserinnen und Leser zu bewegen, am Puls der Zeit zu sein, das war von Anfang an die Idee, die hinter der Verlagsgründung stand. Die wichtigen Stimmen unserer Zeit aus In – und Ausland in der Literatur zu versammeln– damals Autorinnen wie Christa Wolf oder Christoph Hein, aber auch internationalen Stimmen wie Ernest Hemingway oder Jean-Paul Sartre in der DDR Gehör zu verschaffen, heute unter der Vielzahl der Stimmen die Autorinnen und Autoren zu finden, die Zeit und Welt zu Literatur verdichten – , ob ganz junge Autorinnen wie Cemile Sahin oder große Autorinnen wie die Amerikanerin Louise Erdrich – das war und ist Ziel unserer Arbeit. Mit unserem Sachbuchprogramm wollen wir gesellschaftliche Prozesse analysieren und Debatten anstoßen: in diesem Programm zum Beispiel mit Masha Gessens luzider Analyse von Autokratien (Autokratien überwinden) oder mit dem im November erscheinenden Buch Die Gesellschaft der Anderen von der Journalistin Jana Hensel und der Migrationsforscherin Naika Foroutan, in dem sie unsere Gesellschaft aus migrantischer, ostdeutscher und weiblicher Perspektive beleuchten.
RR: Nun, Aufbau versteht sich immer noch als ein Verlag der Aufklärung – so wie es die Gründer intendiert hatten. Selbst für den Bereich Unterhaltung, für den ich stehe, gilt simpel ausgedrückt: Auch bei Rütten, beim Taschenbuch sollen die Leserinnen und Leser nicht nur gutunterhalten werden, sondern – wenn möglich – ein wenig anders aus der Lektüre eines Buches wieder herauskommen.
Wie würden Sie selbst also die DNA des Verlags beschreiben? Wodurch zeichnet er sich aus?
CN: Wir fühlen uns dem literarischen Erbe des Verlages verpflichtet und legen deshalb im Jubiläumsprogramm einen besonderen Fokus auf große Autoren der Aufbau-Historie: Mit Hans Falladas Briefen an seine Kinder (Meine lieben jungen Freunde) und Victor Klemperers Tagebuchaufzeichnungen zu seinen Kinobesuchen (Licht und Schatten. Kinotagebuch 1929-1945) und mit Volker Weidermanns außerordentlichem Buch über Anna Seghers’ Jahre im mexikanischen Exil (Brennendes Licht) wird das in diesem Programm ganz deutlich. Die Stimmen der Gegenwart sind aber ebenso wichtig, und wir freuen uns besonders, dass in diesem Herbst Olga Grjasnowas neuer großer Roman Der verlorene Sohn erscheint und dass wir mit Cemile Sahins Roman Alle Hunde sterben eine der außergewöhnlichsten neuen Stimmen derdeutschsprachigen Gegenwartsliteratur im Programm haben.
RR: Die DNA des Verlages sind die Autoren und wie wir mit ihnen umgehen – streitbare, kluge, sprachmächtige Autoren, denen wir den roten Teppich ausrollen, damit sie ihr Publikum finden. Aufbau steht für das Besondere, für das man mitunter auch Geduld braucht, um es durchzusetzen. Im Bereich Spannung etwa Autoren wie Eliot Pattison, der über Tibet schreibt, oder Deon Meyer, der uns Südafrika nahebringt und erklärt.
Unverwechselbar mit dennoch klarer Linie also?
RR: Ja, Unverwechselbarkeit ist ein Ziel, das sich gewiss nicht immer einlösen lässt. Aber bei allen Büchern wollen wir ein Versprechen abgeben, dass man bei uns besondere Stoffe und Themen findet.
CN: Diese Unverwechselbarkeit entsteht nicht zuletzt aus der Verbindung aus der spezifischen Aufbau-Tradition und den neuen Stimmen, die wir für den Verlag gewinnen konnten.
Gab es auch Zeiten, in denen die klare Linie mal gar nicht so klar war? Phasen, in denen der vermeintlich „richtige“ Weg, sich als falsch erwies?
RR: Nach der Wende musste sicherlich einige Zeit experimentiert werden – nicht auf dem Feld der sogenannten hohen Literatur, da war Aufbau immer sehr sicher unterwegs, im Bereich Unterhaltungsbrauchte es jedoch einige Zeit, bis wir unsere Linie gefunden hatten. Zudem gab es Versuche im Kinder- und Jugendbuch, die dann aus anderen als programmatischen Gründen aufgegeben wurden.
CN: Bücher verlegen ist eine ständige Suche, eine Auseinandersetzung mit den Stimmen der Gegenwart und der Vergangenheit, das gelingt in manchen Jahren besser als in anderen …
Wie sind Sie mit schwierigen Zeiten umgegangen?
CN: Mit Leidenschaft für unsere Autorinnen und Autoren, mit Engagement für ihre Bücher-– wenn man Konstantin Ulmers soeben erschienene Verlagsgeschichte liest, die nicht zufällig das Fallada-Zitat im Titel trägt („Man muss sein Herz an etwas hängen, das es verlohnt. Die Geschichte des Aufbau Verlages 1945-2020“), dann wird diese Leidenschaft aller Akteure in Vergangenheit und Gegenwart ganz deutlich. Und natürlich mit Beharrlichkeit und dem Glauben daran, dass der Verlag eine Zukunft hat.
RR: Schwierige Zeiten waren für den Verlag immer besondere Herausforderungen, die das Team – Mitarbeiter und Autoren – eher noch mehr zusammengebracht haben. Ich denke etwa an die Insolvenz im Jahr 2008, die ja – obschon es wirtschaftlich nicht blendend lief – nicht an der Arbeit des Verlages lag. Wir sind aus dieser Phase gestärkt hervorgegangen – mit einem neuen Eigentümer, einem neuen Standort und einem erneuerten Selbstverständnis.
Welche Autoren haben den Verlag besonders geprägt – In der Vergangenheit und heute?
CN: In 75 Jahren sind das sehr viele Autorinnen und Autoren gewesen-– von Anna Seghers über Lion Feuchtwanger, Hans Fallada, Erwin Strittmatter, Christa Wolf, Herrmann Kant, Victor Klemperer, um nur einige unserer „modernen Klassiker“ zu nennen. Heute sind es junge Autorinnen und Autoren wie Olga Grjasnowa und Philipp Winkler, internationale Stimmen wie die Südkoreanerin Han Kang, der Franzose Olivier Guez oder die Amerikanerinnen Sigrid Nunez und Kristen Roupenian.
RR: Im Bereich Unterhaltung, der ja nicht ganz auf 75 Jahre zurückblicken kann, muss man natürlich Donna Cross und ihren historischen Roman Die Päpstin erwähnen. Mit diesem Buch haben wir eindrucksvoll bewiesen, dass wir auch einen anderen Markt als den hochliterarischen prägen können– wie wir das zurzeit mit unserer Künstlerinnen-Reihe tun, die ja von vielen Mitbewerbern kopiert wird. Als prägende Autoren in diesem Bereich muss man Ellen Berg, Michelle Marly, Caroline Bernard mit ihrem tollen Erfolg Frieda Kahlo nennen, aber auch Deon Meyer, Fred Vargas und Kristin Hannah.
Und heute, wo stehen Sie da?
RR: Wir sind – vereinfacht gesagt-– ein unabhängiger mittelständischer Verlag mit vielen erfolgreichen Autorinnen und Autoren, der nun im dritten Jahr in Folge massiv LeserInnen gewinnt. Ohne Aufbau ist kein Sortiment komplett – das haben zum Glück auch alle Buchändlerinnen und Buchhändler in diesem Land erkannt. Für dieses Vertrauen bedanken wir uns und arbeiten jeden Tag daran, es zu erneuern.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
RR: Zunächst einmal wünschen wir uns ganz konkret, dass es wieder Begegnungen mit LeserInnen, mit BuchhändlerInnen geben kann; wir möchten unsere Bücher breit präsentieren; das heißt, wir sind an Messen und Veranstaltungen interessiert und pflegen auch an unserem Standort am Moritzplatz den Grundsatz: , ein offenes Haus zu sein. Programmatisch werden wir sicherlich den Weg weitergehen, unsere Rechte noch breiter anzubieten,, heißt auch, im Bereich Audio noch bessere Angebote zu machen.
CN: Dass wir weiter unser Herz an all die Autorinnen und Autoren und ihre Bücher hängen dürfen, die „es verlohnen“.
Danke für dieses lange, offene und ehrliche Gespräch mit den beiden ‚Köpfen‘ des Aufbau Verlags!
Schön auch, dass die beiden a u c h an Robert Merle erinnerten. Und natürlich an den unvergleichlichen Hans Fallada!
Und hoffentlich komme ich bald dazu, die Verlagsgeschichte Ulmers zu lesen!!!
Herzlichen Glückwunsch zum 75. und alles Gute – und auf viele schöne Bücher in der Zukunft!