Christian Brandstätter wird heute 80 Jahre alt. Johannes Thiele gratliert dem Wiener Verleger zum runden Geburtstag:
Der Wiener Verleger Christian Brandstätter ist ein vielgelobter Zeitgenosse. Für einen »geborenen, sogar den allergeborensten Verleger« hielt ihn der bekannte Kritiker Hans Weigel: »ein konstitutioneller Verleger, Macher und Liebhaber von Büchern in Personalunion, ein Besessener, ein Kenner, ein großer Gestalter.« Sein langjähriger Freund und Wegbegleiter André Heller sieht in ihm einen »Meister der genauen Wahrnehmung, einen Chronisten und Bewahrer von kultureller Schönheit.«
Was wäre dem noch hinzuzufügen? Nun, einiges schon, denke ich.
Wann und wo sonst hätte je ein Staat einen seiner Buchverlage gerettet? Die Republik Österreich hat es an einem kritischen Punkt der Verlagsgeschichte Anfang der neunziger Jahre getan. Seither gilt jedenfalls mit Fug und Recht: Christian Brandstätter ist der Verleger Österreichs. Nicht in dem Sinn allerdings, dass er je irgendwie staatshörig gewesen wäre, sondern weil er als durchaus rebellischer Geist die Anerkennung für eine großartige Leistung erfuhr.
Verlagshistorisch gesehen bestand sie in nicht weniger als der Revolution der Illustrated Books. Christian Brandstätter brachte die Ästhetik moderner Museen in die Buchgestaltung. Als kundiger Navigator durch unendliche Bilderwelten öffnete er in seinen Büchern Schauräume zum Flanieren und Staunen, zur Begeisterung und Betroffenheit. Es tritt immer ein Wow-Effekt ein, wenn man sich mitnehmen lässt in oft unvertraute, jedenfalls so noch nicht gesehene Welten. Angefangen von Die jüdische Welt von gestern und deren untergegangene Kultur. Bis hin zu seinen erst jüngst erschienenen Büchern Wien um 1900 (ein wahres Monumentalwerk über diesen Kristallisationspunkt der Moderne), und Das Wiener Kaffeehaus, deren Ausstattung Maßstäbe setzten. State of the art, wie immer.
Mit Christian Brandstätter kam eine elegante Linie in die illustrierten Bücher, unnachahmlich amalgamiert mit einer im wahrsten Sinne des Wortes wunderschönen Gestaltung. Buch um Buch schön – ein unglaubliches, mehrere hundert Titel umfassendes Lebenswerk. Kunst- und Kulturgeschichte mit Standardwerken über die Wiener Werkstätte und Gustav Klimt. Kulinarik von Wolfram Siebeck bis Ewald Plachutta (und über einer Million verkauften Büchern). Vor allem aber auch Photographie, Christian Brandstätters große Liebe, deren Schätze aus der Frühzeit des Mediums er voller Entdeckerlust und Sammlerleidenschaft hob.
Für mich persönlich war und ist Christian Brandstätter der Verleger, von dem ich das meiste gelernt habe – by the way, wohlgemerkt, denn er hat kein Talent (und vor allem keinen Willen) zur Belehrung, wohl aber zur Inspiration, was Verlegersein im eigentlichen Sinn bedeutet: etwas (manchmal auch alles) riskieren, für eine Idee, und sei sie noch so ausgefallen, für ein Programm, das letztlich immer Profil über Profit stellt. Ein Alptraum für Controller, ein Wunschtraum für Aficionados.
Das Bild zeigt Christian Brandstätter in einem Kaffeehaus, in dieser Institution mit der Lizenz zur Gelassenheit, aber auch zum Gespräch, wenn’s sich nicht vermeiden lässt. Wo auch sonst? Dort wird er immer sitzen, wie die Figur des Peter Altenberg im Café Central. Und sollte man ihn dort nicht antreffen – bei seinen Millionen Bildern ganz sicherlich. Er wird immer der Lordsiegelbewahrer der visuellen Traditionen, der Bücher- und Bilderschätze Wiens und Österreichs bleiben, wie seit einem halben Jahrhundert schon. Er wird immer unübertroffen sein.
JOHANNES THIELE