IG Digital und IG Nachhaltigkeit diskutieren über „Digitale Chancen in Zeiten knapper Ressourcen“ Das Arbeitsleben leichter und nachhaltiger machen

Hybrides Format, voller Saal: Die Tagung von IG Digital und IG Nachhaltigkeit in der Evangelischen Akademie in Frankfurt am Main

„Die Zukunft des Buches ist schön, wenn wir sie dazu machen“ – mit diesen Worten begrüßte Börsenvereins-Vorsteherin Karin Schmidt-Friderichs gestern die Teilnehmenden der erstmals gemeinsam tagenden IG Digital und IG Nachhaltigkeit in der Evangelischen Akademie in Frankfurt am Main, die heute unter der Überschrift „Digitale Chancen in Zeiten knapper Ressourcen“ fortgesetzt wird.

„War das mit dem Internet wirklich eine gute Idee?“

Die Publizistin Marina Weisband brachte in ihrem digitalen Grußwort Fluch und Segen digitaler Möglichkeiten auf den Punkt: Zuweilen hätte sie sich schon gefragt, ob das mit dem Internet eine gute Idee gewesen sei oder ob man das nicht lieber hätte lassen sollen. Letztlich aber bilde die Digitalisierung nur ab, was wir Menschen hineintun. Es lohnt sich, den knapp zehnminütigen Beitrag von Marina Weisband auf der Website des Börsenvereins anzuschauen.

Projekt „Robo-Reporter“

Dennis Horn, Digitalexperte in der ARD, sprach anschließend über „Künstliche Intelligenz – wie wir sie nutzen können, ohne dem Hype zu verfallen“. Und stellte gleich einen Zusammenhang zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit her, der gerne übersehen wird:  Ein durchschnittliches Machine Learnig Modell stoße während seines Trainings so viel CO2 aus wie fünf Autos in ihrer gesamten Laufzeit.

Spätestens seit ChatGPT werde viel über Künstliche Intelligenz gesprochen, aber keiner wisse, was da technisch eigentlich passiere. Es handele sich mitnichten um Magie, wie mancher Button inzwischen suggeriert, sondern um den Versuch, das menschliche Gehirn nachzubilden. Ein Phänomen dabei sei, dass die KI zuweilen halluziniere – also selbstbewusst Dinge behaupte, die nicht stimmen.

Gemeinsam mit der Sportschau wurde versucht, mit Hilfe von GPT-3 eine automatische Berichterstattung zu Fußballspielen zu erstellen. In der ersten Phase des Experiments standen dann plötzlich Spieler auf dem Platz, die nicht mal im Kader waren, und es wurden Spielszenen beschrieben, die nicht stattgefunden hatten. Wer sich für das Projekt „Robo-Reporter“ und weitere Ansätze des WDR Innovation Hub interessiert, findet sie hier dokumentiert.

„Verlagsmenschen arbeiten noch viel nach dem Prinzip Hoffnung“

Über die Frage „Wie drucken wir heute – und morgen?“ diskutierten der Logistiker Jörg Paul (COO Libri), Rowohlt-Herstellungsleiter Florian Enns, der sich bei Holtzbrinck auch um den Papiereinkauf kümmert, sowie Dominik Haacke (mediaprint solutions), moderiert von Nadja Kneissler, der Vorsitzenden des Ausschusses der Verlage im Börsenverein. Paloma-Verlegerin Anne Friebel hätte ebenfalls auf dem Podium sitzen sollen, musste aber kurzfristig absagen.

Nadja Kneissler, Florian Enns, Jörg Paul, Dominik Haacke

Den Trend vom Offset-Druck in Richtung Digitaldruck bestätigten alle drei Experten. Florian Enns beobachtet, dass Druckereien derzeit fast ausschließlich in den Digitaldruck investieren: „Verlage müssen eine bedarfsgerechte Auflage drucken, und kleinere Auflagen sind wirtschaftlicher im Digitaldruck.“ Dominik Haacke prognostizierte in fünf bis zehn Jahren einen Anteil von 50 Prozent für den Digitaldruck, derzeit liege er branchenweit etwa bei 14 Prozent. Print on Demand werde massiv ansteigen, meinte auch Jörg Paul. Man müsse nicht alles einlagern, um abzuwarten, bis es verkauft werde, zumal Hallen Flächen versiegeln.

Wie aber kann man sich die KI für die Auflagenplanung zu Nutze machen? Daran wird in den Verlagen gearbeitet. Florian Enns sprach für sein Haus: Disposition sei derzeit noch „Handarbeit von Kolleg:innen mit Expertise“, die KI könne aber im analytischen Bereich unterstützen. Denn der Sicherheitsgedanke, dass man etwas auf Lager liegen habe, das man dann zeitnah verkaufen kann, spiele bei menschlichen Entscheidungen sicher eine Rolle. Nadja Kneissler bestätigte: „Wir Verlagsmenschen arbeiten noch viel nach dem Prinzip Hoffnung.“

Die Frage, ob die Branche nicht Standards in der Herstellung schaffen müsse, um nachhaltiger zu werden, warf Zweifel auf. Florian Enns: „Man will ja unterscheidbar bleiben und einzigartig sein, um sein Produkt zu verkaufen.“ Daher sei die Ausstattung als Marketingmaßnahme nicht zu unterschätzen,

Nachhaltigkeit könne aber ebenso eine sein. Bertram Schmidt-Friderichs, Verleger des Verlags Hermann Schmidt, gab aus dem Plenum zu bedenken: „Schön gemachte Bücher werden nicht so schnell entsorgt – es gibt nicht nur einen ökologischen Fußabdruck, sondern auch einen Handabdruck.“

„Rotwein lieber ohne gedruckte Vorschau“

Auch der Buchhandel kam auf der Tagung der IG Digitalisierung und IG Nachhaltigkeit zu Wort. Daniel Hagemann, Inhaber der Bücherstuben Hamburg Nord und IGUS-Sprecher, berichtete im Gespräch mit Carmen Udina, Sprecherin der IG Digital, von den Digitalisierungs-Projekten für seine Buchhandlungen. Angetrieben habe ihn dabei der Wunsch, Wege zu finden, die ihm das Leben leichter machen.

Carmen Udina, Daniel Hagemann

„Hätten wir während Corona keinen Webshop gehabt, würde es uns jetzt nicht mehr geben“, erinnerte er zu Beginn. Damals hätten sich die Online-Umsätze verzehnfacht und inzwischen seien sie immer noch nennenswert höher als vorher. White Label Shops seien dabei eine gute Lösung, Daniel Hagemann sprach von „arbeitsbefreitem Umsatz“. IGUS und IG Dital haben 51 Fragen an Anbieter von Webshops geschickt. Die Ergebnisse lassen sich auf der Börsenvereins-Seite nachlesen, in der ausführlichen Version exklusiv für Mitglieder.

Weitere Digitalisierungsmaßnahmen: Die Bücherstuben Nord arbeiten ausschließlich mit VLBtix, „bei mir gibt es keine gedruckten Vorschauen mehr im Laden“, so Daniel Hagemann, und abends auf der Couch trinke er seinen Rotwein auch lieber ohne die Verlagsinformationen. 98 Prozent seiner Rechnungen erhalte er digital, erfasst werden sie mit Datev. Für Dienstpläne inklusive Urlaubsplanung empfiehlt er „Schichtplaner online“, „Ed Time“ bietet überdies eine Schnittstelle zur Lohnbuchhaltung. Und ein Appell von Daniel Hagemann: „E-Books sollten besser rabattiert werden – wir haben damit genau so viel Arbeit bei der Beratung wie mit Printbüchern, verdienen aber viel weniger daran.“

Herausforderung Digitales Schulbuchgeschäft

Wie viele Gedanken sich Bildungsverlage gerade über digitale Lernmedien machen, darüber sprachen Carsten Schwab (Edupartner) und Victor Wang (Cornelsen). Herausforderungen dabei: Bildungsinhalte sind anders, weil sie didaktische Konzepte erfordern und dabei meist komplexe Text-Bild-Kombinationen nutzen. Aufgaben und ihre Lösungen seien extrem „anspruchsvolle“ Contentstrukturen. Dazu hat man es mit einer heterogene Marktstruktur (Klassenstufe, Schulform, Bundesland) zu tun, und die normative Rahmen (föderale Strukturen, Lehrpläne) seien wenig standardisierbar. Einfache Zweitverwertungen wie EPUBs oder PDFs reichen also nicht aus.

Auch für den Buchhandel wandelt sich der Schulbuchmarkt: Einblick dazu gaben Volker Stuhldreher (Schweitzer Fachinformationen, Bremen, außerdem Sprecher der IG Lernmedien und aktiv in der IG Digital) und Reinhilde Roesch (Börsenverein des Deutschen Buchhandels). Auch wenn der Status quo im Schulbuchgeschäft derzeit noch mehr als 80 Prozent Print sei, stehen die Zeichen auf Veränderung. Nicht nur die Ankündigung, dass im Saarland künftig digital gelernt werden solle, hat im Buchhandel wie bei den Schulträgern für Unruhe gesorgt.

Reinhilde Roesch, Volker Stuhldreher

Volker Stuhldreher betonte: „Entscheidend ist, dass wir als Buchhändler bei der Distribution der Lerninhalte mitmachen können – wir wollen es, und wir können es.“ Zum Teil werde es auch schon umgesetzt, wenn z.B. Printwerke und digitale Zusatzangebote bestellt werden. Noch fehlten Plattformen dafür, aber es gebe welche, bei denen man sich anschließen könne. „Es geht nicht darum, dass es Schweitzer kann, sondern alle Kolleginnen, die vor Ort für Schulen zuständig sind.“

Der erste Schritt sei also, das digitale Schulbuchgeschäft gemeinsam mit den Verlagen anzugehen, zudem sei die Politik und damit der Verband gefragt. Auch Reinhilde Roesch riet, sich im Buchhandel nicht vom Schulbuchgeschäft zu verabschieden: „Es ist vielleicht nicht das ertragreichste, aber eine gute Basis. Wer es behalten will, muss sich in neue Wege einarbeiten.“

In den Kaffeepausen wurden die Themen in vielen Gesprächen in guter Atmosphäre vertieft, und am Abend lud das VLBtix-Team zum Sommerfest ins Haus des Buches ein. Die Tagung läuft noch bis heute Nachmittag – selbstverständlich hybrid.

Susanna Wengeler

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