Der andere Fragebogen Wie war Ihr Jahr, Frank Wegner?

Seit Nikolaustag fragen wir wieder bis zum 6. Januar 2023 (Heilige Drei Könige) in der Buchbranche herum: „Wie war Ihr Jahr?“. Heute beantwortet DrFrank Wegner (Programmleiter Internationale Literatur, Suhrkamp Verlag) unseren „anderen Fragebogen“:

Dr. Frank Wegner: „Rachel Cusks Coventry hätte ich noch viel mehr Leser*innen gewünscht. Wendige, tiefenscharfe und lebenskluge Essays, die die Welt zum Leuchten bringen“

 

Welcher Tag war Ihr schönster diesem Jahr?

Mein berufliches Glück besteht unter anderem darin, dass ich hier bei Suhrkamp unter Bedingungen gleichmäßig verteilter Schönheit arbeite – jeden Tag nämlich mit warmherzigen, smarten Kolleg*innen, die alle einen Sinn fürs Teamplay haben.

Worüber haben Sie sich 2022 am meisten geärgert?

Über so viel sinnloses Leiden; und dass unsere Kinder in einer entsprechend verfassten Welt leben müssen.

Was war 2022 Ihr schönster Erfolg?

Den Glauben nicht verloren zu haben.

Und Ihr traurigster Misserfolg war?

Das Ausmaß meiner Handynutzungszeit.

Ihre schönste Buchhandlung/Ihr liebster Verlag in diesem Jahr?

Entlang meiner tagtäglichen Berliner Wege liegen so viele mit überraschendem Eigensinn sortierte, von tollen Kolleg*innen betriebene Buchhandlungen, es ist geradezu skurril: Moby Dick, BUCHBOX!, Anakoluth, Uslar & Rai, Prior & Mumpitz, Pro qm, Ocelot, Hundt Hammer Stein… – wem würde man es da ernsthaft abverlangen wollen, nur eine einzige zu nennen! (Außer Konkurrenz, außerhalb Berlins, ein Lieblingsort seit Studientagen: die Pariser Libraire Vendredi im 9. Arrondissement, denn was wüsste man von den Geheimnissen der Welt ohne solche Buchhandlungen.)

Den zweiten Teil der Frage müsste ich ebenfalls im Plural beantworten, und es wären, weil ich ja berufsbedingt das internationale Geschehen zu sondieren versuche, eher nicht-deutschsprachig publizierende Verlage für die ich mich begeistere, derzeit also Anagrama in Spanien, Gallimard in Frankreich, Fitzcarraldo in England, FSG in den USA, Giramondo in Australien.

Von welchem Thema wollen Sie (warum) im kommenden Jahr nichts mehr lesen?

Von Feindseligkeiten aller Art.

Und über welches Thema wollen Sie mehr lesen?

Über Friedensprozesse aller Art.

Welchen Fehler aus diesem Jahr möchten Sie im kommenden Jahr vermeiden?

Könnte ich sachgerecht eigentlich auch nur im Plural beantworten, aber um einmal die Wurzel allen Übels zu benennen: Selbstüberschätzung.

Und welchen Fehler werden Sie trotzdem wiederholen?

Meine Kräfte nicht so toll einzuteilen.

Welches Buch hat Ihnen in diesem Jahr besonders viel Freude gemacht?

V.S. Naipauls The Enigma of Arrival, ein tastendes Buch – eine Vorsicht im Wort, die wohltut – über die Möglichkeit, einen eigenen Ort zu finden, langsam gelesen über sieben Tage, an einem Stadtstrand Tel Avivs, in der dort noch immer warmen Novembersonne.

Welches wird Ihr wichtigstes Buch im neuen Jahr?

Tom McCarthys „Dreh von Inkarnation“, eine hellsichtige Breitwand-Odyssee durch medizinische Labore, Computergrafikstudios und militärische Forschungseinrichtungen, dunkle Orte, an denen die Grenzen unserer Möglichkeiten ständig getestet und weiter verfeinert werden. Sensationell übersetzt von Ulrich Blumenbach. (Der Roman erscheint im April.)

Von wem würden Sie gern auch mal die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?

Von meinem alten jungen Freund Martin Kordić.

Welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie eigentlich gern beantwortet?

Welchem Buch hätten Sie noch viel mehr Leser*innen gewünscht?

Hier können Sie die auch beantworten:

Ach, da fallen mir einige ein 😉 – momentan aber vor allem Rachel Cusks „Coventry“, wendige, tiefenscharfe und lebenskluge Essays, die die Welt zum Leuchten bringen.

Gestern fragten wir Herbert Ullmann, morgen antwortet Matthias Koeffler

 

 

 

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