An neuem Ort, im Frankfurt Pavilion mitten auf der Agora, fand die Eröffnungs-Pressekonferenz der Frankfurter Buchmesse statt. Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, bezog sich auf die vielen Darstellungsmöglichkeiten, die die diesjährige Rednerin, die aus Nigeria stammende Autorin Chimamanda Ngozi Adichie, anmahnt und selbst praktiziert: „Niemand besteht nur aus einer Geschichte und aus einer Perspektive. Das wäre eine gefährliche Taktik. ‚Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren’, heißt es im vor 70 Jahren unterzeichneten Menschenrechtsabkommen der UN. Dafür setzt sich die Buchmesse besonders mit ihrer Initiative ‚on the same page’ ein.“
Die Buchbranche wolle einen Beitrag zum Gelingen einer demokratischen Gesellschaft leisten. „Gerade der Artikel 19 der Menschenrechtscharta, in dem das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit festgelegt ist, wird weltweit oft verletzt. Zum Beispiel sind in der Türkei, einem Erstunterzeichner der Charta, Menschenrechte gefährdet. Das Thema Menschenrechte wird in den nächsten Tagen viel Raum einnehmen.“
Zur Lage auf dem Buchmarkt sagte Riethmüller, dass „eine Art Aufbruchstimmung zu verspüren“ sei. Verlage und der Buchhandel setzten sich so intensiv wie noch nie mit ihren Kunden auseinander. „Die Branche arbeitet in allen Bereichen daran, das Buch wieder näher an den Leser zu bringen. Doch es gibt nicht nur eine wahre und richtige Lösung dafür“, betonte der Vorsteher. „Bücher sind ein – wenn nicht das – zentrale Medium zur Meinungsbildung. Trotz aller Kritik ist die Buchbranche die größte in der Kreativindustrie.“
Im September sei zwar der Umsatz im Vorjahresvergleich um 1,1 Prozent gesunken, doch ein gutes Weihnachtsgeschäft könne das noch wettmachen.
Bewegung gebe es bei den Rahmenbedingungen in der Branche, E-Books werden nun gleich besteuert. Die EU-Urheberrechtsreform wird weiter besprochen, eine Richtlinie sollte möglichst noch vor den EU-Wahlen im Frühjahr 2019 verabschiedet werden.
Messedirektor Juergen Boos hatte beobachtet, dass 53 Buchtitel nebeneinander im Regal sich mit einer Person beschäftigten – das sei bedenklich und überspannt.
Beobachtet werde eine zunehmende alltägliche Diskriminierung. Doch wie begegnet man dieser Tendenz? „Die Frankfurter Buchmesse setzt die Kampagne ‚on the same page’ dagegen. Sie bietet ein Podium für den Dialog, nicht jedoch für Positionen gegen Demokratie und Freiheit“, betonte Boos.
Er stellte sich auf Max Czolleks Seite, der in seinem Buch Desintegriert euch! dazu aufruft, die leidige Debatte nach einer deutschen Leitkultur zu beenden. Czollek stellt eine radikale Vielfalt dagegen. Micha Brumlik beispielsweise bezeichnete Heimat als territorialen, sozialen und geistigen Ort.
Auf der Buchmesse werde in diesem Jahr stärker programmatisch gearbeitet: „Wir bringen relevante Akteure zusammen“, sagte der Messedirektor.
2018 seien drei Prozent mehr Aussteller in Frankfurt, nämlich rund 7300 aus 102 Ländern. Es gebe unendlich viele Möglichkeiten der Rezeption von Literatur, hybrides Denken sei gefragt.
Erfreulich sei die Tatsache, dass die Gastländer der nächsten fünf Jahre feststehen.
2018 gibt es in Halle 5.0 einen Themenschwerpunkt Afrika mit 34 Ausstellern aus 19 Ländern. In Halle 4.0 präsentieren sich auf dem Asean Forum junge Märkte.
Frankfurt EDU ist eine neue internationale Plattform für innovative Konzepte, Inhalte und Technologien der Bildungsbranche.
„Der neue Frankfurt Pavilion soll zum Dreh- und Angelpunkt der Messe werden“, wünschte sich Boos abschließend.
„Ich mag Frankfurt“, begann Chimamanda Ngozi Adichie ihre Rede. Das gefalle den Leuten, habe ihr ein Freund geraten. Der Beifall zeigte: Er hatte recht.
Sie erzählte eine Geschichte aus ihrer nigerianischen Heimat. Als Kind sei sie gerne in die Kirche gegangen, niemand habe ihr das verwehrt. Als junge Frau wurde sie von jungen Männern zurückgewiesen; die Ärmel ihres Kleides seien zu kurz und bedeckten die Haut zu wenig. „Wer schützt eigentlich diese Männer vor sich selbst?“, fragte sie. Frauen seien weltweit unterdrückt, auch in der literarischen Welt. „Man muss aussprechen, was nicht gerecht ist – das mache ich. Man muss laut sein. Aber ich bin keine Aktivistin, sondern eine Autorin.“ Sie sei auch eine Bürgerin, die für Wahrheit und Gerechtigkeit eintrete. „Vor Jahren verabschiedete Nigeria ein Gesetz, das Homosexualität unter Strafe stellt. Das finde ich zutiefst unmoralisch.“ Die Welt verändere sich, werde dunkler, man müsse neue Wege finden, um Wahrheit und Gerechtigkeit durchzusetzen. Es sei an der Zeit, mutig zu sein. Fragen nach Emigration müssten gestellt und auch beantwortet werden.
„Es ist Zeit, dass Männer Bücher von Frauen lesen“, sagte Adichie außerdem. Noch immer seien Frauen auf der Welt zu wenig sichtbar. „Ich habe viel aus Büchern gelernt, Literatur ist meine Religion. Sie erweitert nicht nur Horizonte, erklärt und verdeutlicht. Sie berührt auch.“
Chimamanda Ngozi Adichie, von der bisher sechs Bücher in Deutschland veröffentlicht wurden, musste nach ihrer Rede, die mit viel Beifall bedacht wurde, schnell zum Flughafen – sie erhält am Abend in London den PEN-Pinter-Preis.
Im allgemeinen Wirbel und Aufbruch ging die geplante Fragerunde an Boos und Riethmüller unter. Viele waren wohl auch froh, von den kühlen Sitzen aufstehen zu können. Kuschelig warm war es im Pavilion jedenfalls nicht.
JF