Das Sonntagsgespräch Frau Meyer, wie fühlt es sich für einen Kleinverlag an, wenn ein Autor den Friedenspreis erhält?

Katharina Eleonore Meyer ist Verlegerin bei Merlin. Bereits im aktuellen BuchMarkt-Heft (Special Independents [mehr…]) wies sie darauf hin, wie die Ankündigung, daß Boualem Sansal den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhält, die Aufmerksamkeit von Presse und Handel für kleinere Verlage befördert hat. Heute nun wird der Preis verliehen – Anlaß genug, mit der Verlegerin ein paar Worte zu wechseln.

Heute hat Boualem Sansal den Friedenspreis erhalten – wie fühlt sich das an für den Verlag?

Katharina Meyer

Katharina Eleonore Meyer: Es fühlt sich sehr sehr gut an: wir sind sehr stolz – es ist die Krönung unserer mehr als 10jährigen Arbeit für und mit diesem wunderbaren Autor.
Außerdem ist es ein dringend notwendiger Motivationsschub: Die letzten 10-15 Jahre waren für Merlin – wie für viele andere in der Branche – eine Zeit, in der positive Signale selten waren. Ich denke an die vielen unabhängigen Buchhandlungen und Verlage, die sich wie wir aus Überzeugung, aber mit großem Kraftaufwand für den Erhalt der Vielfalt und der Qualität in der Branche eingesetzt haben. (Für Merlin kommt hinzu, dass wir in diesen Jahren den Generationenwechsel vollzogen haben, der viele einschneidende interne Veränderungen mit sich brachte.)
Wir alle sind belohnt worden für unsere Beharrlichkeit und die feste Überzeugung, dass es richtig ist, sich für Autoren wie Boualem Sansal einzusetzen, auch wenn die Betriebsberater landauf landab noch immer behaupten, dass auch in der Kultur allein die Masse zählt.

Sie haben den Autor seit Jahren im Programm, und ich vermute, Sie haben keine 100.000er Stückzahlen abgesetzt. Hat der Preis etwas bewirkt?

Ja, klar hat der Preis etwas bewirkt: er hat uns eine gebündelte Aufmerksamkeit beschert. Und jeder, der beobachtet, wie Wahrnehmung funktioniert, weiß, dass gebündelte Aufmerksamkeit zu einer erhöhten Nachfrage führt.
Wir hatten auch schon vor dem 9. Juni mehrere Ordner voller Rezensionen zu Boualem Sansals Werken, und Herr Sansal hatte, seit sein erster Roman auf Deutsch erschienen ist – also 2002 – eine Vielzahl von Lesungen in vielen deutschen Städten, und übrigens auch etliche Auftritte in Kultursendungen im Fernsehen und im Hörfunk. Aber die Artikel und Beiträge erschienen immer punktuell, selten gebündelt. Aber weil wir alle tagtäglich mit einer Flut von Informationen überschüttet werden, nehmen wir in erster Linie das wahr, was innerhalb eines kurzen Zeitraums häufiger erwähnt wird oder was uns brennend interessiert.
Mit der Bekanntgabe des diesjährigen Preisträgers fokussierte sich die Presse auf einen Autor, den viele Journalisten, mit denen ich in den darauf folgenden Tagen und Wochen gesprochen habe, vorher noch nicht wahrgenommen hatten. Ich mache ihnen das nicht zum Vorwurf, es geht mir ja nicht anders, bei dem vielen, was passiert. Aber dieser Umgang mit Informationen ist längst Teil des Systems geworden. Und auf einmal ist die Größe eines Verlags ein Problem. Man hält es gar nicht mehr für möglich, dass so etwas wie jetzt geschehen, passieren kann.
Es gab skurrile Äußerungen von Journalisten, die bei mir den Eindruck hinterlassen haben, dass gar nicht mehr kritisch hinterfragt wird, wie die Dinge „am Markt“ in der Praxis „ablaufen“ und warum.
Der Preis hat insofern nicht nur bewirkt, dass Buchhändler, die den Autor Sansal bislang nicht im Sortiment hatten, sich nun mit ihm auseinandersetzen, ihn entdecken und ihrem Publikum empfehlen. Er hat auch bewirkt, dass die durch die Marktmechanismen hier und da verzerrte Wahrnehmung sich ein wenig relativiert: Auch in einem kleinen unabhängigen Verlag werden wichtige Autoren verlegt, Autoren, die vielleicht sogar ganz groß sein können. Ich glaube, viele Kollegen, haben das ähnlich empfunden und ich hoffe, auch sie erleben nun einen Motivationsschub: Es lohnt sich doch, offen zu sein und den Blick ringsum schweifen zu lassen und beharrlich seinen Weg zu gehen.

… deutlich wird das seit einigen Jahren bei der Long- und Shortlist der großen Buchpreise. Direkt gefragt: Kann es sich eine Buchhandlung überhaupt leisten, Titel aus den unabhängigen Verlagen zu ignorieren?

Die Frage ist doch nicht, ob in den kleinen unabhängigen Verlagen inhaltlich viel stattfindet. Warum bitteschön sollte denn dort inhaltlich weniger stattfinden als in den großen Verlagen? Die Frage ist vielmehr, schätzen wir wert, was dort stattfindet?
Im Moment leben wir in dem Paradox, dass unsere Gesellschaft das Individuum sehr hochschätzt und zugleich werden wir als Käufer in unserer Individualität reduziert und sollen uns den Regeln des Massenmarktes unterordnen.
Als Käufer bin ich darauf angewiesen, dass man mich in meinen individuellen Bedürfnissen ernst nimmt und mich kompetent berät. Und gerade das Lesen ist nun etwas sehr individuelles, das den Einzelnen ungemein herausfordert.

Nein, ich glaube nicht, dass sich eine Buchhandlung leisten kann, auf die Programme der unabhängigen Verlage zu verzichten. Aber das sollte kein Dogma sein, jeder Buchhändler muss unter Berücksichtigung seines Publikums entscheiden, wie er seine programmatischen Schwerpunkte setzt. Ich denke allerdings, auch ein Buchhändler sollte sich seiner Verantwortung bewusst sein. Wir leisten uns in Deutschland den verminderten Mehrwertsteuersatz und die Buchpreisbindung, weil wir der Auffassung sind, dass das Buch als Kulturgut einen besonderen Schutz am Markt verdient. So wie ich als Verlegerin die Pflicht habe, nicht nur ökonomische Überlegungen anzustellen, sondern auch inhaltliche und formale Fragen zu berücksichtigen, wenn ich ein neues Werk ins Programm nehme, so sollte auch ein Buchhändler Willens und in der Lage sein, sich dieser kulturellen und gesellschaftlichen Aufgabe zu stellen – Entscheidend ist in jedem Fall, Bücher muss man lieben, um sie verkaufen zu können. Wenn man sie einfach nur hinlegt und erwartet, dass sie sich im Stapel verkaufen, dann braucht man logischerweise andere Mittel, um diese Bücher ins Gespräch zu bringen, z.B. aufwändige Werbung, Presse-Kampagnen, Werbekostenzuschüsse, etc.
Das sagt allerdings a priori über die inhaltliche Relevanz eines Titels gar nichts aus, sondern ist schlicht Marktwirtschaft. A propos: In Deutschland werden jedes Jahr Bücher im Wert von Millionen remittiert: bezahlte Produktionen, die offenbar kein Leser haben will – ich wage die Behauptung, dass es weder die Produktionen des Merlin Verlags noch die der anderen kleinen unabhängigen Verlage sind, die den wesentlichen Anteil an dieser Überproduktion bilden!

Welche Reaktionen gab es auf die Verkündung des Friedenspreises seitens des Sortiments oder der Presse bei Ihnen?

Von einigen skurrilen Reaktionen in der Presse abgesehen, war das Echo durchweg positiv, ja sogar eine Art Rührung konnten wir vielfach spüren: Die Kollegen, mit denen wir zu tun hatten – vielfach Buchhändler, die seit vielen Jahren erstmals wieder direkt mit uns Kontakt aufgenommen haben – haben sich ehrlich gefreut und die Entscheidung der Jury für diesen Autor auch als ein positives Signal für die Branche gewertet.

In einem Statement im aktuellen BuchMarkt-Heft nannten Sie die unabhängigen Verlage „kreative Spielmacher im Sortiment jeder Buchhandlung“. Hat der Friedenspreis für Boualem Sansal auch weitere Titel Ihres Verlags in Sortiment gezogen?

Naja, wir unabhängigen Verlage sind sicherlich insofern die kreativen Spielmacher, als wir in der Regel flexibler und individueller sind. Das hat für den Buchhändler viele Vorteile, aber natürlich auch Nachteile. In der Wahrnehmung überwiegen offenbar die Nachteile. Und da wir ein so gutes, ausgeklügeltes Grossistensystem im Buchhandel haben, ist die Entscheidung für den Buchhändler in der Praxis sehr einfach: er kann ja alles im Barsortiment ziehen, wenn ein Kunde sich für den neuen Merlin-Titel von Tahar Ben Jelloun oder den Schmöker von Antje Babendererde bei Merlin interessiert. Das Problem ist nur: Wenn er diese Titel gleich im Regal stehen hätte, würde er sie nicht nur eventuell einmal sondern gleich mehrfach verkaufen können, denn diese Autoren sind ja durchaus bei den Lesern im Gespräch.
Genau das ist die eigentliche Herausforderung, die für uns mit der Auszeichnung an Boualem Sansal verbunden ist: Die Nachhaltigkeit der Verlagspräsenz im Buchhandel zu erreichen.
Ich freue mich schon sehr auf die bevorstehenden Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen über unser Programm!

In diesem Statement nennen Sie die Juroren mutiger als die Kritiker im Feuilleton. Was wünschen Sie sich vom Feuilleton?

Vom Feuilleton wünsche ich mir nichts mehr und nichts weniger als Offenheit und ehrliche Auseinandersetzung. Ich weiß, dass der Druck im Feuilleton groß und dass die Flut an Neuerscheinungen jedes Jahr unmenschlich ist. Aber es gehört nun einmal zu den Aufgaben einer Feuilletonredaktion, sich alljährlich mit den Verlagsprogrammen auseinanderzusetzen. Das heißt nicht, dass jedes Buch aus dem Verlagsprogramm besprochen werden muss, aber manchmal würde ich mir mehr Mut wünschen, sich auch für das vermeintlich Abseitige zu öffnen. Die Vielseitigkeit unserer Branche ist keine Last sondern hat einen wesentlichen Anteil an der bunten, vielfältigen und kreativen Kulturlandschaft, die wir in Deutschland haben, dessen sollten sich alle Beteiligten bewusst sein!

Wer den Autor Sansal immer noch nicht kennen sollte: Können Sie kurz und knapp zusammenfassen, warum man ihn unbedingt gelesen haben muß?

Was mich an Boualem Sansals Romanen von Anfang an fasziniert hat, ist die lebendige, dem Menschen zugewandte Dynamik seiner Sprache. Sansal vermischt unterschiedliche Sprachstile und Genres. Das macht seine Texte sehr modern und gegenwärtig. Als Leser erkennen wir uns in den Protagonisten seiner Geschichten wieder, obwohl er uns von Menschen erzählt, die in den Alltag und in die besonderen Lebensumstände seiner algerischen Heimat verstrickt sind. Es ist eine Literatur, die Menschen verbindet, weil sie universelle Konflikte behandelt und sich an den humanistischen Prinzipien orientiert.
Davon abgesehen ist Boualem Sansal ein sehr kluger, messerscharfer Analytiker der gegenwärtigen Situation in der globalen Welt und hat etwas zu sagen!

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