Stefan Bollmann, im Hauptberuf Sachbuchlektor im Verlag C.H.Beck, ist auch ein erfolgreicher Sachbuchautor. Mit Der Atem der Welt hat er jetzt bei Klett-Cotta einen 600 Seiten – Wälzer zu „Johann Wolfgang Goethe und die Erfahrung der Natur“ (so der Untertitel) vorgelegt. Das war Anlass für Fragen an den Autor
Wie immer meine erste Frage: Worum geht es in Der Atem der Welt?
Stefan Bollmann: Das ist eine Goethe-Biographie, in der sich alles um Goethes Erfahrung und Erforschung der Natur dreht. Ich nehme Goethe als Naturwissenschaftler und Naturschriftsteller endlich einmal in der Weise ernst, in der er es verdient, und entdecke unter diesem Aspekt unseren größten Dichter neu: als Vorläufer eines grünen Denkens.
Und mit welchem Argument könnte man das welchem Kundentyp am besten verkaufen?
Den Leser*innen, die Literatur lieben: Sie erfahren hier vieles über Goethe und seine Zeit, das sie garantiert noch nicht wussten. Aber auch den Liebhaber*innen von Naturkunden: Wer angesichts von Klimawandel und Corona über unser Verhältnis zur Natur nachdenkt, erfährt hier vieles aus der Vorgeschichte der Ökologie. Außerdem ist das Buch schön erzählt und ganz ohne Vorkenntnisse zu lesen – ein echter Schmöker, der uns einen Goethe nahebringt, wie wir ihn bislang nicht kannten.
Ein Schmöker, der manchem Leser auf Grund seines Umfangs aber Angst machen könnte …
Angst vor dicken Büchern?
Bei mir ist es weniger Angst, sondern eine Zeitfrage. Bisher habe ich es erst durch den Prolog geschafft …
… dabei ist mein Buch für eine Goethe-Biographie sogar eher schmal …
… bin ja auch fest entschlossen durchzuhalten.
Das werden Sie, ich wollte halt nicht nur behaupten, sondern erzählen – welchen prägenden Eindruck das Erdbeben von Lissabon beim kleinen Goethe hinterlassen hat, wie er in Italien dreimal kurz hintereinander den Vesuv besteigt, was er alles zusammen mit Alexander von Humboldt erlebt und denkt, aber auch wie die Natur für ihn Trost und Stärkung war.
Das liest sich bis jetzt alles wirklich flüssig. Aber ganz naiv gefragt: Wann und wie findet Sie die Zeit, ein solches 600 Seiten – Buch überhaupt zu recherchieren und zu schreiben?
Nebenher, mit Leidenschaft und Disziplin! Ich bin keine Eule, sondern eine Lerche, schreibe, wie Goethe auch, gerne in den ganz frühen Morgenstunden. Vier Jahre habe ich gebraucht, das macht hierzulande auch an die 100 verregnete Wochenenden. An den schönen bin ich nämlich in der Natur, in den Bergen, an den Seen, auf den Wiesen.
Inzwischen hat sich auch in unserer Branche herumgesprochen, Sie sind als Autor ungemein erfolgreich, haben seit 2005 von neun Büchern weltweit eine halbe Million Exemplare verkauft. Was ist Ihr Erfolgsrezept, Leidenschaft und Disziplin allein reichen doch sicher nicht?
In seiner letzten Schrift, in der es übrigens um Naturforschung geht, zitiert Goethe Montaigne mit dem Satz „Ich lehre nicht, ich erzähle“. Das ist auch mein Motto. Erzählen unterhält, macht Dinge anschaulich, bezieht die Lesenden mit ein, braucht aber auch Raum. Außerdem kommt es natürlich auf die richtigen Themen an.
Die ersten Rezensionen sind enthusiastisch, gibt es aber schon Erfahrungen, wie sich das derzeit an der Buchhandelsfront auswirkt?
Corona ist für die von mir geliebten Lesungen bislang leider sehr hinderlich. Online hingegen tut sich einiges, aber ein richtiger Ersatz ist das nicht. Mutige denken aber auch schon an den Herbst und zücken den Kalender. Ich habe noch Termine frei.
Ihre Hoffnung jetzt?
Einen schönen Sommer mit weniger Viren und mehr Goethe und eine grüne Kanzlerin.
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz