Am Dienstag wagte sich die Berliner Zeitung über ihr eigentliches Verbreitungsgebiet, in der sich vielleicht trotz der Zuzüge der jüngsten Zeit noch immer nicht genug spannende Verlagsgeschichten zutragen, hinaus in die große weite Welt der europäisch agierenden Verlage. Allerdings war es eine eher banale Auseinandersetzung, die der Münchner Prestel Verlag mit einem englischen Vertriebspartner zu führen hat, welche die Aufmerksamkeit eines für die Zeitung tätigen Journalisten erregte.
Unter der Überschrift „Streit um die Zerstörung von 12741 Büchern. Random House und der kleine Trolley Ltd Verlag vor Gericht“ wird zutreffend berichtet, dass Trolley seine Bücher früher von Prestel vertreiben ließ und nun Prestel mit der Behauptung verklagt, dass man dort mehr als 12.000 Trolley-Bücher makuliert habe, ohne dass dies mit Trolley vorab ausdrücklich schriftlich vereinbart worden war. Der Bericht zitiert neben dem stolzen Betrag, den Trolley von Prestel fordert (155.508,76 Euro) auch die vor Gericht von Prestel vertretene Auffassung, wonach man damals eine in funktionierenden Vertriebspartnerschaften übliche und rechtlich zulässige mündliche Makulatur-Absprache über unverkäufliche Bücher getroffen habe. Der Bericht schließt mit dem drohenden Hinweis, dass es wohl bald eine gerichtliche Beweisaufnahme zu der Frage geben werde, ob eine mündliche Einigung erfolgt ist und dem mahnenden Ausspruch, dass „man zumindest in der Justiz noch viel Wert auf Formalismus“ lege.
Vom latent anklagenden Tonfall der Berliner Zeitung aufgeschreckt hat nun auch das „Börsenblatt“ den Fall aufgegriffen und will das Ergebnis eines anstehenden Verkündungstermins, bei dem wohl nichts außer dem Termin der Beweisaufnahme mitgeteilt wird, veröffentlichen. Immerhin hat man beim „Böbla“ von einer offenbar kurzzeitig geplanten Vorab-Eilmeldung über den Zeitungsbericht Abstand genommen. Ob der Fall gestern auch noch in der Tagesschau kam, kann ich nicht sicher ausschließen, ich war um 20 Uhr beim Yoga.
Die Geschichte hinter Geschichte, die wieder mal niemand außer BuchMarkt kennt, ist aber auch sehr interessant: Am 8. Juni fand die gerichtliche Verhandlung zu dem Rechtsstreit statt. Der Berliner Anwalt, der Trolley vor dem Münchner Gericht vertritt, hatte es für gut befunden, den gar nicht ausdrücklich geladenen Geschäftsführer von Trolley aus London einfliegen zu lassen, begleitet von einer nicht näher vorgestellten Dame und dem Dolmetscher. Erfahrungsgemäß bekommt es manchen Anwälten nicht, wenn ihre Mandanten persönlich anwesend sind und sich so ein Bild vom Auftritt ihres Anwalts machen können. Aus Sicht des Gegenanwalts ging es schon nicht gut los, um sich dann rasch deutlich zu verschlechtern. Als der Richter wie üblich zu Beginn der Sitzung für das Protokoll die Präsenz feststellte, musste der auswärtige Berliner Anwalt seinen Namen nennen. Mein Gesicht und mein Name waren dem Richter von zahlreichen vor ihm geführten Übersetzerprozessen her bereits bekannt, ich musste mich nicht vorstellen.
Als der Richter dann in seinen einleitenden Worten auch noch erklärte, das es zwar darauf ankomme, ob zwei namentlich benannte Prestel-Zeugen eine mündliche Makulaturabrede bestätigen können (Trolley-Zeugen für die Gegenauffassung gibt es außer dem prozessual als Zeugen nicht in Frage kommenden Geschäftsführer offenbar nicht), Trolley aber nach derzeitiger Richterauffassung selbst bei Fehlen einer Abrede keinesfalls mehr als 4.000 Euro zugesprochen werde, da dies nun einmal der Gesamtumsatz der makulierten Bücher der letzten zwei Jahre sei, explodierte der Berliner Anwalt. Es sei kein Wunder, dass er hier benachteiligt werde, wenn er sehe, dass der Prestel-Anwalt bei Gericht bekannt sei.
Das wiederum brachte den Richter auf die Palme. Er krempelte sich die Ärmel seine Robe hoch, beugte sich über die Richterbank ganz nach vorne und brüllte den bedauernswerten Berliner Anwalt mit einer Lautstärke, die meinen damaligen Rekrutenausbilder bei der Bundeswehr vor Neid hätte erblassen lassen, ins Gesicht. Die netteste Auslegung der nun folgenden Richterworte lautet ungefähr dahingehend, dass es ihm ja noch nie passiert sei, dass er von einem Anwalt der Parteilichkeit bezichtigt werde, nur weil er den Justiziar der Beklagten von zahlreichen Auftritten vor Gericht kenne und weil er eine klare Rechtsauffassung des Richtergremiums geäußert habe. Der Anwalt solle das sofort zurücknehmen.
Von der bayrisch-deftigen Ansprache sichtlich beeindruckt ruderte der Anwalt zurück, er habe das alles nicht so gemeint, aber die Szene, in der ein brüllender Richter mit flatternder Robe den eigenen Anwalt zur Schnecke macht, dürfte der Trolley-Geschäftsführer so schnell nicht vergessen. Da dürfte ihn doch sehr beruhigen, dass sich nun sogar eine Hauptstadtzeitung des Falles annimmt. Wie es der Berliner Anwalt genau schaffte, einen für die Berliner Zeitung schreibenden renommierten, Polit-Redakteur dazu zu bringen, sich für den Fall zu interessieren, bleibt eines der Rätsel dieses Falles, das auch BuchMarkt nicht aufklären kann. Dass die Berliner Zeitung zur DuMont-Verlagsgruppe gehört und deren Kunst- und Ausstellungsbücher in direkter Konkurrenz zu Prestel stehen, ist sicher nur Zufall.
Rainer Dresen, Dresen-Kolumne@freenet.de, 46, arbeitet als Rechtsanwalt und Verlagsjustiziar in München auf dem Gebiet des Urheber- und Medienrechts. In seiner Freizeit schreibt er gerne selbst Juristen- und Yogabücher (Kein Alkohol für Fische unter 16; Beim ersten Om wird alles anders). Zur letzten Kolumne: „Verständnis für Sysiphus. Oder: Was tun gegen Missbrauch der Rezensionsmöglichkeiten bei Amazon?“ geht gehts hier lang: [mehr…].