Offener Brief von Auszubildenden „Kulturelle Auseinandersetzung ist unser USP“

Mit ihrem offenen Brief richten sich Buchhandels-Azubis aus Bayern an den Börsenverein und ihre Arbeitgeber. Vor allem aber wollen sie so eine branchenweite Diskussion über die Inhalte und Werte der Ausbildung anstoßen.

(Im aktuellen BuchMarkt lesen Sie dazu ein Interview mit dem Auszubildendem Moritz Sachon – auf Seite 40, oder hier im E-Paper)

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir bitten Sie freundlich, unserem Anliegen einige Minuten Ihrer Aufmerksamkeit zu schenken. Wir sind Auszubildende im Buchhandel und sorgen uns um die Qualität unserer Ausbildung in den Berufsschulen, die uns unseren Erfahrungen nach nur schlecht auf unser Buchhändlerdasein vorbereitet.

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Immer weiter spitzt sich die Lage des Buchhandels zu. In der Ausbildung hören wir, die wir am Beginn unseres Lebens als Buchhändler stehen, ständig, wie bedroht die Existenz dieses Berufes ist und dass wir doch einen Plan B haben sollten, denn unser Beruf sei ja nicht gerade zukunftsfähig.

Die einzige Antwort, die uns jungen Buchhändlern in den Berufsschulen auf diese Frage unserer Zukunft gegeben wird, ist eine ökonomische: immer weitere Rationalisierung. Der Buchhandel soll sein Selbstverständnis und damit sein Agieren verändern in Richtung eines reinen Vertriebs. Damit unterscheidet sich der Buchhändler nicht mehr von jedem beliebigen Händler und das Buch wird zum bloßen Wirtschaftsprodukt, das auch durch jedes andere ersetzt werden könnte. Damit wird der Buchhandel zusätzlich in eine Identitätskrise gestürzt und wir Azubis, die wir diesen Beruf ja nicht wegen seiner ökonomischen Perspektiven gewählt haben, fühlen uns betrogen.

Buchhandlungen sind für uns immer noch Orte kultureller Auseinandersetzung und Bildung. Das gesamte Spektrum unserer Kultur, Wissenschaft und Politik spiegelt sich wieder im Sortiment einer Buchhandlung, von ganz normaler Unterhaltung bis zu den großen Gedanken der Philosophie. All das ist Kultur und all das zeigt sich in einer Buchhandlung verdichtet, wie nirgendwo sonst. Der Beruf des Buchhändlers, der auf eine lange Tradition verweisen kann, ist in unserer Sicht immer auch ein kulturschaffender Beruf: Wir Buchhändler schaffen damit einen Ort kultureller Auseinandersetzung. Verliert der Buchhandel dieses Selbstverständnis, dann wird er austauschbar, macht sich dadurch vom Internethandel nicht mehr unterscheidbar und sich selbst überflüssig.

Ein Buchhändler braucht neben einer ökonomischen deshalb auch eine besonders umfassende kulturelle Bildung, um zum einen dieses Selbstverständnis ausbilden zu können, aber auch um zu wissen, was er eigentlich verkauft. Wie wollen wir einen Titel einschätzen können, unsere Kunden beraten können, wenn ich die Bezüge, den Kontext in dem ein Buch steht, nicht verstehe? Um den Beruf des Buchhändlers wirklich ausüben zu können, brauchen wir eine Bildung, die es uns ermöglicht, die kulturelle Welt im weitesten Sinn zu verstehen und uns darin bewegen zu können. Diese kulturelle Bildung sowohl in ihren Grundlagen wie auch aktuellen Bezügen zu vermitteln ist Aufgabe der Berufsschulen und sie versagen dabei kläglich. Das Argument, dass dies in den Berufsschulen nicht nötig sei, da die meisten Buchhändler bereits eine gymnasiale Ausbildung hinter sich haben, betrachten wir als eine Ausrede. Es impliziert erstens, dass das Abitur Voraussetzung für eine Buchhandelslehre sein sollte und außerdem ist die Art Bildung, wie wir sie als Buchhändler brauchen, auch in den Gymnasien heutzutage eher dekoratives Beiwerk.

Der einzige Raum, in dem die Berufsschule diesem, auch für unser Selbstverständnis zentralen Bildungsauftrag ansatzweise nachgeht, ist der Literaturunterricht. Diesen gibt es für uns an der Berufsschule München jedoch nur im ersten Schuljahr und dort, bezogen auf die Gesamtstundenzahl in einem erstaunlich geringen Maß. Nicht einmal das ist jedoch eine Selbstverständlichkeit, denn in anderen Berufsschulen existiert keinerlei eigenständiger Literaturunterricht mehr. Sofern ein Literaturkurs überhaupt angeboten wird, hat ein Buchhandelslehrling auch keinen Anspruch auf einen Platz in einem solchen Kurs. Es ist also mehr oder weniger ein Glücksfall, ob wir überhaupt eine literarische und literaturhistorische Ausbildung erhalten.

Es kann unseres Erachtens so nicht weiter gehen, wenn der Buchhandel seine einzigartige Sonderstellung erhalten und so längerfristig überleben will.

Gezeichnet,

Auszubildende des Buchhandels aus Bayern

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