Die Kurt Wolff Stiftung nimmt Stellung zur Situation von künstlerisch Arbeitenden in Zeiten des Coronavirus. Hier die Erklärung im Wortlaut:
„In den Zeiten des Coronavirus, in denen einige nur an sich selbst denken, sehen wir zeitgleich auch, wie viele Menschen bereit sind, in dieser Notlage solidarisch an die ganze Gemeinschaft zu denken. Das ist beruhigend.
Und so sehr die Absage der Leipziger Buchmesse und weiterer großer und kleinerer Veranstaltungen auch ins Herz der literarischen Welt trifft: Es war und ist absolut richtig, Lesungen und weitere kulturelle Events abzusagen, um auf diese Weise die Verbreitung des Virus zu verlangsamen. Sollte man mit diesen Maßnahmen auch nur ein einziges Leben retten können, hat es sich bereits gelohnt.
Der Shutdown des öffentlichen Kunstlebens heißt auch, dass zunächst die Künstlerinnen und Künstler, die meist freischaffend sind, auf ihre Einnahmen verzichten müssen. Da Freischaffende sowieso häufig prekär leben, kann das schon in wenigen Wochen existenzbedrohend werden. Ebenso ist bei vielen unabhängigen Verlagen die geschäftliche Situation nach dem VG-Wort-Urteil, nach der KNV- und Libri-Krise, den Portoerhöhungen der Post und all den anderen Problemen der vergangenen Jahre schon angespannt. Wenn jetzt Möglichkeiten fehlen, Bücher zu bewerben – wie sie die Buchmesse und die Lesungen geboten hätten – und wenn zudem die Buchhandlungen demnächst schließen müssen, so kann dies eine große Welle von Insolvenzen mit sich bringen.
Virtuelle Lesungen, Postings und Aktionen in den sozialen Medien sind zwar hilfreich und ein schönes Zeichen für die gesellschaftliche Solidarität, sie können allerdings an der eigentlichen Misere nur wenig ändern.
Daher ist es schön zu sehen, dass die Beauftragte für Kultur und Medien, Prof. Monika Grütters, sowie auch die Kulturministerien der Länder sofort die Situation erfasst haben und Hilfen angekündigt haben.
Doch sollte man genau überlegen, welche Hilfsmaßnahmen wirksam sein können. Steuerleichterungen oder -stundungen werden unabhängigen Buchhandlungen, Verlagen, vor allem aber den Urheberinnen und Urhebern kaum helfen, denn ihr Einkommen sinkt dramatisch und somit auch ihre Steuerlast. Billige Kredite sind ebenfalls nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn viele Menschen in der Buchbranche sind bereits verschuldet und brauchen Einnahmen statt neuer Schulden.
Es sind also andere Maßnahmen gefragt, die kurzfristig greifen, etwa strukturelle Fördermaßnahmen – für Autorinnen und Autoren, Buchhandlungen und Verlage – oder auch unkonventionelle Ideen, wie das Bereitstellen und Verteilen von Geldern zum Kulturankauf.
Auch sollten die Medien nun den Platz, den ausbleibende Konzerte, Preisverleihungen, Tagungen, Sportereignisse oder Bundestagsdebatten frei werden lassen, dazu nutzen, um Künstlerinnen und Künstler gleich welcher Kunstsparte oder Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vorzustellen, um über deren Werk zu reden oder ihre Bilder und Texte zu veröffentlichen. Das Material ist da, man muss es nur wollen – und man sollte es bezahlen wollen.
Denn diese Gesellschaft, die sich nun in Isolation als Gemeinschaft bewähren muss, braucht Kunst, braucht Debattenbeiträge, braucht Bücher für ihre Selbstvergewisserung. Damit diese vorhanden sind, müssen nun aber Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass jene, die Bilder, Texte und Bücher herstellen und vertreiben, dies auch tun können. Hier geht es nicht um Besitzstandswahrung von Künstlerinnen und Künstlern, von Buchhandlungen und Verlagen – hier geht es um die Möglichkeit zur Selbstverständigung aller.
Das kostet nicht viel. Doch diese Kosten müssen getragen werden.“
Leipzig, den 16. März 2020
Der Vorstand der Kurt Wolff Stiftung
Britta Jürgs
Leif Greinus
Jörg Sundermeier