Literaturagent Lars Schultze-Kossack ist im Alter von 49 Jahren verstorben. Markus Naegele (Programmleiter btb) erinnert sich:
Es gibt Agenten, und es gab den Lars. Gab, weil Lars leider nicht mehr unter uns ist. Viel zu früh hat ihn der Typ da oben zu sich geholt. Mit 49 Jahren! Ich schrieb zum 40. Geburtstag für den BuchMarkt eine kleine Eloge auf ihn, er revanchierte sich zu meinem 50. Und eigentlich wäre ich jetzt im September wieder dran gewesen zu seinem 50. Und nun sitze ich hier nach einer wilden, euphorisierenden Lese-Musik-Veranstaltung in München völlig übermüdet im Zug nach Berlin, um der Wiederöffnung des Ramones-Museums beizuwohnen und schreibe diesen Nachruf. Die Welt ist manchmal eine Drecksau, ein stetes Auf und Ab, mal beglückend, mal niederschmetternd ungerecht.
Und dass ich Lars jetzt nicht mehr sehen soll, will mir nicht in den Kopf. Das kann gar nicht sein. Er war doch immer da. Gefühlt jeden zweiten Tag tauchte er bei uns im Verlagsgebäude auf, saß mit Lektor*innen in der Kantine, blickte mit grinsendem Gesicht in meine Bürotür und sagte bloß „Naaaaa! Ich wollte bloß kurz Hallo sagen.“ Und dann blieb er natürlich eine Stunde und wir redeten uns die Köpfe heiß. Kamen vom Höcksken aufs Stöcksken. Keiner wusste besser Bescheid, was sich hinter den Kulissen der Branche so tat. Lars war immer schon einen Schritt voraus.
Deshalb auch der erste Satz. Lars war eine Ausnahmeerscheinung. Normalerweise spielen Literaturagent*innen und Lektor*innen zwar auf demselben Spielfeld, aber auf unterschiedlichen Seiten. Beäugen sich, taktieren, wollen die Oberhand behalten. Bei Lars war das anders. Bei ihm hatte ich immer das Gefühl, dass wir gemeinsam an einem Strang ziehen, dass es nicht darum geht, wer hier gewinnt. Man kann ja eh nur gemeinsam gewinnen. Und Lars war eine Marke, ein schräger Vogel, wie es sie in dieser Verlagswelt leider viel zu wenige gibt. Ein langer dürrer Schlacks, anfangs noch mit langer Metaller-Matte (dazu kommen wir gleich noch!) und komischen, etwas unförmigen Anzügen. Und er nuschelte ein wenig. Manche Kolleg*innen waren irritiert von dem „Lars aus Hamburg“. Zu unrecht, wie sich bald herausstellen sollte.
Denn Lars war hartnäckig, hochgebildet, verdammt klug und fleißig. Und er hatte eine Frau an seiner Seite, die ihn antrieb, anfeuerte und – wenn es sein musste – auch scharf kritisierte. Nadja Kossack war damals noch berühmt-berüchtigte Lizenzfrau bei Hoffmann & Campe, eine Powerwoman par excellence. Laut und leise, aufbrausend und ganz zart. Die beiden waren für mich das Dreamteam dieser Branche. Sie stritten sich permanent und waren doch unzertrennlich. Allein die Tatsache, dass sich Nadja in diesen dürren Hering mit der langen Mähne verguckte, einen kreischenden Sänger in einer lokalen Thrash-Metal-Band namens Conspirator, war schon kaum zu fassen.
Die Band gewann 1994 tatsächlich den Nachwuchspreis der Stadt Hamburg, die Musik war das, was man wirklich harten Stoff nennt. Ein Jahr später sollte der Sänger von Conspirator eine literarische Agentur gründen, wie sollte das denn gehen?
Aber wer Menschen nur nach dem Äußeren bewertet, der läuft Gefahr, ganz viel zu verpassen. Denn Lars war – wie oben schon erwähnt – hochintelligent und gebildet, seine Magisterarbeit schrieb er über Bruno Lüdke, den ersten Serienmörder der Nachkriegszeit. Ich war immer wieder erstaunt, was Lars alles wusste. Man konnte mit ihm über Trash-TV-Formate und abseitige Bands diskutieren, über Politik und Geschichte, über Literatur, ja, über Literatur! Auch wenn Lars in seiner Agentur viele sogenannte Genreautor*innen betreute, so hatte er seine Klassiker im Gegensatz zu vielen selbsternannten „Literaten“ gelesen. Aber er machte darum nie eine Welle, er nahm all seine Autor*innen ernst, er unterschied nicht zwischen U und E, für ihn gab es nur gut oder schlecht. Und so wuchs seine Agentur Schritt für Schritt. Zu seinen Klienten gehör(t)en unter anderem Peter Wohlleben, Stefan Aust, Anne Jacobs, Waris Dirie, Romy Fölck, Mesut Özil, Rainer Löffler oder Gisbert Haefs, um bloß mal ein paar Namen zu nennen. Und plötzlich standen die Lektor*innen, die ihn vorher nicht auf dem Schirm hatten, Schlange, um einen Termin mit Lars zu ergattern. Das fand ich großartig.
Keine Messe ohne gemeinsames Abendessen. Mal lud er ein, mal ich, irgendwie sah man sich ständig. Lars war sowieso überall, ständig sprach er einen von der Seite an, es war fast so, als gäbe es Lars-Klone, auf den Gängen der Messehallen verteilt. Als ich dieses Jahr beglückt von der Londoner Buchmesse im März zurückkehrte, hatte ich unterschwellig die ganze Zeit ein komisches Gefühl, irgendwas war anders gewesen. Und am Morgen des 3.4.23, als ich von der furchtbaren Nachricht seines Todes erfuhr, wusste ich auch, was anders gewesen war: Ich hatte Lars nicht gesehen, er hatte gefehlt. Und wird ab jetzt immer fehlen. Lars, wo immer du bist, du warst etwas ganz Besonderes, ich vermisse dich jetzt schon sehr.
Markus Naegele
Lieber Markus Naegele,
wir kennen uns (leider) nicht, aber danke für diesen empathischen, herzlichen Nachruf auf Ihren Freund Lars. Ich verlor meinen Sohn 2019 mit 38 Jahren an den Scheiß-Krebs – und bin seitdem auf den da oben alles andere als gut zu sprechen.
Aber wer so verabschiedet wird, ist nicht wirklich tot, sondern immer noch unter uns.
Tot sind nur die, die vergessen sind!
Lieber Markus Naegele,
ich kannte Lars Schultze-Kossack nur vom Sehen und habe ihn durch Ihren wunderbaren Nachruf ein bißchen kennengelernt. Danke dafür.
Lars, Du wirst uns allen fehlen! Alleine die Metal-Battles sollten Dich eigentlich unsterblich machen!