„Ich bin ja eigentlich nur ein wildgewordener Lektor, der das Glück hatte, in all den Jahren mit tollen Autoren und in tollen Verlagsteams arbeiten zu können“ sagte Dr. Wolfgang Ferchl gestern abend, als er als Verleger von Penguin in den Ruhestand verabschiedet wurde.
Viele seiner Weggefährten aus seinen Verlagsjahren und die jetzt bei Random House waren gestern Abend der Einladung seiner Nachfolgerin Britta Egetemeier in das Münchner Hofspielhaus gefolgt, um ihm auf seinem Weg „zu mehr Freiheit“ nach seiner einzigartigen Verlegerkarriere zu begleiten.
Gemeinsam mit Claudia Vidoni und Susanne Klein hatte sie ein buntes Programm auf die „anarchische Bühne“ der gestern bestens bewachten Münchner Spielstätte im Herzen der Stadt geholt, die allerdings nicht wegen Ferchls anarchischer Vergangenheit zuvor bei Verlagen wie Hitzeroth, Rotbuch, Eichborn und der verdächtigen Standnachbarschaft damals mit Trikont fast völlig abgeriegelt war. Das lag an der jährlichen Sicherheitskonferenz, über deren Sinnlosigkeit sich Henryk M. Broder („du warst immer Anstifter, meine Bücher haben sich dann von selbst geschrieben“) von der Bühne aus amüsierte.
Und für alle, die nicht dabei sein konnten, reichen wir hier diese Rede nach:
Liebe Festgäste! Liebe Britta! Liebe Wegbegleiter und Mitverschwörer!
Lieber Wolfgang!
Ich habe Britta versprochen, den Abend nicht wie einen Staatsakt mit einer formellen Laudatio zu beginnen. So etwas gerät leicht zu einem Nachruf zu Lebzeiten, und nichts wäre unangebrachter. Zudem verleihen wir Wolfgang kein Verdienstkreuz, auch keine Tapferkeitsmedaille – beides ging für mich in Ordnung -, sondern wir wollen zusammen feiern! Und zwar wollen wir unsere jeweils unterschiedliche Zeit und unsere unterschiedlichen Erfahrungen mit einem der herausragendsten und eigenwilligsten verlegerischen Köpfe der letzten Jahre und Jahrzehnte feiern – Wolfgang Ferchl.
1991 hat Wolfgang Ferchl ein Buch veröffentlicht, in dessen Titelformulierung drei Begriffe das Feld abstecken, dem sich der Autor thematisch widmet: es sind die Begriffe „Schlüsselroman“, „Kolportage“ und „Artistik“.
Das finde ich interessant. Zwar soll man nicht jede Äußerung eines Autors oder Sprechers penibel daraufhin abklopfen, welche lebensgeschichtlichen Erfahrungen sie unbeabsichtigt verraten. Nicht alles ist Autobiografisch. Andererseits jedoch ist es bemerkenswert, mit welcher prophetischen Kraft die drei Begriffe Wolfgangs Lebenswerk und Lebensleistung als Buch- und Verlagsmensch umreißen.
Dieses Frühwerk Wolfgangs – auf das weitere warten wir – bringt also schon in seiner Überschrift eine Poetologie des künftigen Verlegers zwischen Kunst, Kommerz und Kritik zum Ausdruck. Was fehlt, aber unbedingt auch zu Wolfgang gehört, ist zum einen die Komik. Und, um die Alliteration auf die Spitze zu treiben, der Kairos! Sein Gespür für den richtigen Augenblick der Entscheidung!
Nach den Jahren des Lernens und Forschens, die unter anderem in dem genannten Buch gipfelten, ging Wolfgang – vielleicht nicht gemäß den strengen Regeln der Chronik, aber doch nach denen meiner Logik – in den Sport: er wurde Trainer einer Volleyball-Mannschaft. Ich halte das für entscheidend!
Wir leben in Zeiten, in denen alle Welt nach Orientierung und Führung ruft. Alle sind angeblich von der Vielzahl ihrer Optionen verwirrt, und brauchen dringend Hinweise, wo sie entlang gehen sollen, woransie sich festhalten können, wie das Ziel aussehen könnte, ob in der Politik, in Unternehmen oder im Privaten. Hier ist Wolfgang in seinem Element! Er ist Ratgeber nicht nur in allen Textfragen, sondern auch in allen Lebens- und Unternehmenslagen – für Einzelne sowie für Gruppen! Wie hat er das gelernt? Ich habe darauf eine doppelte Antwort.
Wolfgang war unter anderem beim Rotbuch Verlag, von 1997 bis 2002 bei Eichborn, es folgten die Piper-Jahre von 2003 bis 2008, und 2009 kam er zu Knaus. Er hat eine Dekade Random House hinter sich, 10 Jahre derwechselseitigen Reibung mit dem größten Publikumsverlagshaus in Deutschland, zunächst vom damals vielleicht kleinsten, jedenfalls verwundbarsten Verlag innerhalb der Konzernfamilie aus. Ich würde sagen, in diesen Jahren der konstruktivenUnterwanderung durch Wolfgang, hat er die Verlagsgruppe stärker nach seinem Bild geformt, als dass er sich hätte randomisieren lassen.
2014 wurde ich Wolfgangs Vorgesetzter: die Aufgabe, mich zu führen, hat er sofort beherzt ergriffen! Und gemeinsam haben wir, glaube ich, doch einiges zu Wege gebracht. Klar ist jedenfalls, der Penguin Verlag und die Marke Penguin stünden ohne Wolfgang sicherlich nicht so in der deutschen Buchlandschaft, wie sie heute da stehen – als ein starkes Fundament, auf dem wir weiter bauen wollen.
Lieber Wolfgang, der heutige Abend dokumentiert nicht zuletzt eindrücklich, dass du bei allen Wechseln deiner Stationen und Wirkungsstätten zu großer Treue neigst – Treue zu Ideen, mehr noch aber zu Menschen. Lange Freundschaften prägen Deinen Weg, du selbst bist ein Wegbegleiter für die lange Strecke, nicht für den Sprint. Darum bist Du auch ein Autorenverleger!
Dass Du mit deinem potentiell in jedem Augenblicksich bahnbrechenden Hang zum Grundsätzlichen einen immer mal wieder auch in den Wahnsinn treiben kannst, will ich zumindest erwähnt haben. Aber am Ende ist es Dein nicht weniger ausgeprägter Hang zum Gegensätzlichen, oder besser zum Gegensatz, also zum klaren Widerspruch, von dem zumindest ich über die Jahre enorm profitiert habe.
Dafür danke ich Dir persönlich, aber auch für unsere Verlage – also für die Autorinnen und Autoren sowie die Kolleginnen und Kollegen!
Auf Dich, Wolfgang!