Liebe VG Wort,
im letzten Oktober hast du dich darum bemüht, neue Rechtseinräumungen durch deine Wahrnehmungsberechtigten zu organisieren. Es ging dabei um die Vergütung von Nutzungen im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz. Für alle, die es nicht wissen oder schon verdrängt haben: Konkret änderte die VG Wort ihren Wahrnehmungsvertrag dahingehend, dass sie zukünftig berechtigt sein sollte, Unternehmen und Institutionen die Nutzung von Texten auf dem Wege entsprechender Lizenzvergabe zu erlauben und dafür Erlöse zu erzielen.
Ein Modell, das durchaus sinnvoll ist, wenn man davon ausgeht, dass eine solche Rechtseinräumung mehr Nutzen als Schaden bringt. Wer der Verwertung seiner Texte durch KI skeptisch gegenüber stand (wie der Verfasser dieser Zeilen), fand sich vor folgender Problematik: Bisher haben die Tech-Konzerne mein geistiges Eigentum ohne jedes Recht ausgebeutet. Und jetzt soll ich es für die Zukunft legitimieren?
Denn wozu sich die VG Wort bisher kaum eingelassen hat, ist die Frage, wie mit den millionenfachen Nutzungen von Texten ihrer Wahrnehmungsberechtigten in der Vergangenheit umgegangen werden soll, die KI überhaupt erst ermöglicht haben. Längst ist der größte Teil der verfügbaren Literatur – und zwar jeglicher Art – verwendet worden, um Programme künstlicher Intelligenz zu füttern und zu trainieren. Für diese Verwendung gab es keinerlei Rechtsgrundlage. Mit anderen Worten: Die Urheber sind bestohlen worden.
Autorinnen und Autoren geht es dabei genauso wie den Urhebern der musikalischen Welt. Im Unterschied zur VG Wort hat allerdings die Wahrnehmungsgesellschaft der Musikerinnen und Musiker, die GEMA, den Schritt gewagt, Klage gegen die KI-Konzerne einzureichen. Die VG Wort zieht einen solchen Schritt bisher nicht in Erwägung.
Statt sich darum zu bemühen, eine Rechtseinräumung zu bekommen, um die kläglichen Reste des Geschriebenen für zukünftige Nutzungen zu lizenzieren, sollte die VG Wort ihre Satzung zunächst dahingehend ändern, dass ihr nachträglich die Geltendmachung von Ansprüchen aus der ungerechtfertigten Nutzung von Texten in der Vergangenheit anvertraut wird. Sich auf den Standpunkt zurückzuziehen: „Wir haben nicht die Rechte, wie sie die GEMA hat“, ist nichts anderes als Feigheit vor dem Feind. Und die hat eine so mächtige und würdige Einrichtung wie die VG Wort ganz und gar nicht nötig.
Millionenfach wurde Diebstahl geistigen Eigentums begangen, Milliardenwerte wurden damit erschaffen. Die Urheber haben Anspruch darauf, an diesen Milliardenwerten beteiligt zu werden. Und nicht nur sie! Denn nicht nur Urheber sind Wahrnehmungsberechtigte. Auch die Verlage sind es.
Autorinnen und Autoren ebenso wie die Verlage sollten deshalb die entsprechenden Rechte an die VG Wort einräumen, die als einzige Institution der literarischen Welt groß genug ist, sich mit den KI-Konzernen anzulegen. Allerdings sollten sie das im ersten Schritt nicht für die „noch übrigen“ Texte tun, sondern für die bereits von den KI-Entwicklern verwendeten.
Die VG Wort sollte sich diese Rechte also rückwirkend einräumen lassen und sie dann auch durchsetzen, und zwar so zeitnah, dass die Tech-Riesen nicht bis zu einer etwaigen Verjährung auf Zeit spielen können. Die Forderungen, die die VG Wort stellt, sollten dem Wert, den die KI-Konzerne mit dem geschriebenen Wort von Hunderttausenden Wahrnehmungsberechtigten erschaffen haben, angemessen sein.
Ob in einem zweiten Schritt die VG Wort auch für die Zukunft tatsächlich Lizenzen einzuräumen berechtigt sein soll, kann entschieden werden, wenn sich gezeigt hat, zu welchen Ergebnissen die Forderung nach rückwirkender Vergütung geführt hat. Den großen Diebstahl der Vergangenheit für eine kleine Lizenz in der Zukunft nonchalant zu übergehen, kann nicht im Interesse der Wahrnehmungsberechtigten liegen – und damit auch nicht im Interesse der VG Wort. Unsere Forderung an die VG Wort lautet deshalb:
- Lassen Sie sich rückwirkend die Lizenzrechte für die Nutzung der Texte Ihrer Wahrnehmungsberechtigten bis 31.12.2024 einräumen.
- Machen Sie die Verletzung dieser Rechte durch die KI-Konzerne geltend.
- Verklagen Sie Open AI und die anderen Tech-Unternehmen, die ihre KI mit Texten Ihrer Wahrnehmungsberechtigten gefüttert und trainiert haben, und zwar in Milliardenhöhe.
- Lassen Sie sich nicht in eine epische Diskussion um Beweise ein, welches Werk tatsächlich für die jeweilige KI genutzt wurde. So wenig, wie Sie beweisen können, dass jedes Werk genutzt wurde, kann Ihr Gegner beweisen, dass er keines genutzt hat. Deshalb:
- Bemühen Sie sich um einen Vergleich mit den Urheberrechtsverletzern, aber machen Sie ihn schnell und teuer.
- Kehren Sie die so erzielten Erlöse im Wege einer Sonderausschüttung an Ihre Wahrnehmungsberechtigten aus, und zwar pro Werk (denn die KI kann jedes Buch nur einmal einlesen, egal ob es sich um einen Bestseller handelt oder eine Nischenpublikation).
- Wenn das erledigt ist, fragen Sie die Wahrnehmungsberechtigten, ob sie bereit sind, Ihnen die Lizenzrechte auch für die Zukunft einzuräumen.
Es mag sein, dass an der Stelle einzelne Aspekte der rechtlichen Situation verkürzt oder nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Wenn die VG Wort allerdings der Ansicht ist, sie kann sich Lizenzrechte für KI-Anwendungen einräumen lassen, dann bedeutet das, dass sie von der Existenz dieser Rechte ausgeht. Und dass sie – rechtsgültige Übertragung vorausgesetzt – diese Rechte im Interesse ihrer Wahrnehmungsberechtigten geltend machen kann.
Wird es eine große Anstrengung sein? Aber ja! Ist es die Sache wert? Unbedingt! Hat die VG Wort eine Wahl? Nicht, wenn Sie uns fragen. Diese Aufgabe stellt sich, sie stellt sich drängend – und sie muss erledigt werden. Und ganz ehrlich: Danke, VG Wort, dass es dich gibt! Wir verlassen uns auf dich. Nie warst du so wertvoll wie heute!
Mit den besten Wünschen und Grüßen
Thomas Montasser & die von der Montasser Medienagentur vertretenen Autorinnen und Autoren
Lieber Thomas Montasser,
als Betroffener wie als langjähriger Beobachter der US-Tech-Szene unterschreibe ich jede einzelne Zeile Ihres offenen Briefes!
LG aus dem Taunus
Lieber Thomas Montasser,
vielen Dank für die offenen Worte. 100% Zustimmung. Bei aller Liebe zur Technik, wenn wir nicht aufpassen, wer macht es denn sonst noch? Ich dachte bisher, das wäre die VG Wort, falsch gedacht. Kleiner Tipp am Rande: Lest den „Atlas der KI“ von Kate Crawford und lasst gemeinsam dafür sorgen, dass wir nicht zum Kaninchen werden, dass vor einer Schlange sitzt.