Markus Gasser erzählt in Die Verschwörung der Krähen (C.H.Beck) über Wahrheit und Würde in einer korrupten Welt, über Armut, Seuchen und Krieg – und den schmalen Grat zwischen Schuld und Unschuld. Anlass für Fragen:
BuchMarkt: Worum geht es in Ihrem Buch?
Markus Gasser: Der Roman spielt in London um 1700, das aus zwei Welten besteht: Unten ist „Romeville“, das Revier der Unterwelt. Darüber das London Queen Annes, um deren Gunst Minister und Höflinge buhlen − hier ist man schneller zum Staatsfeind erklärt, als man atmen kann, und landet im Hochsicherheitsgefängnis Newgate Prison. Dazwischen bewegt sich unser Held Daniel de Foe. Eines Tages stellt ihn die Queen vor die Wahl: Im Hochsicherheitsgefängnis Newgate Prison zu verrotten oder der Krone als Geheimagent und Fake-News-Journalist zu Diensten zu sein. Die aberwitzigen Rollen, die De Foe von nun an zu spielen gezwungen ist, bringen ihn und seine Vertrauten in Lebensgefahr − bis er den Spieß umdreht und mit seinen eigenen Waffen zurückschlägt. Als er entdeckt, wer in England wirklich die Fäden zieht, verbündet er sich gegen die Obrigkeit mit den Deklassierten der Unterwelt und bringt dabei den heimlichen Herrscher Londons zur Strecke − mit dem Beistand seiner scharfsichtigen Frau Mary de Foe und der respektlosen Margaret „Midge“ Crane.
Wie entstand die Idee, darüber ein Buch zu schreiben?
Ich war im Frühling 2019 mal wieder in London und bin zusammen mit meiner Frau nach einem Vormittagsguinness in einem Pub gegenüber dem Gerichtsgebäude Old Bailey im Keller des Pubs tiefunten auf die Überreste von Newgate Prison gestoßen. Dort war auch Daniel de Foe über viele Monate inhaftiert. Das gab den Ausschlag. Dann habe ich ein Dutzend Biografien zu De Foe studiert und herausgefunden, dass sich diese Biografien über die Fakten von De Foes Leben uneinig sind. Und dass diese Biografien wiederum mit den Einträgen in der Encyclopedia Britannica, im Brockhaus und auf Wikipedia nicht übereinstimmen: Diesem De Foe ist es doch perfekt gelungen, seine Identität wieder und wieder zu verbergen und seine Spuren zu verwischen − über De Foes letzte Jahre wissen wir gar nichts mehr, er war eines Tages plötzlich verschwunden. Und diese Rätselhaftigkeit versprach einen Spannungsroman mit thrillerhaften Zügen. Die uns − zunächst − fremd wirkende Zeit um 1700 in London, die Ober- und Unterwelt jener Jahre, die Epoche der ersten parlamentarische Demokratie in Europa, diese Epoche der Seuchen und der politischen und religiösen Verfolgung: − sie taten das Übrige. Leser:innen diese fremde Zeit vertraut zu machen war allzu verführerisch und wurde zu einer Notwendigkeit. Dabei sollten Leser:innen einerseits ruhig „eskapistisch“ in jene Welt wegtauchen und sich darin verlieren können; sie sollten andererseits aber Parallelen zu unserer Gegenwart erkennen. Und: Sie sollten diese unsere Gegenwart als wie schon vergangen, als historisch betrachten können. Auch das gibt dem Roman seine Dringlichkeit, macht die Lektüre zu einem Vergnügen, bringt neue Einsichten; und es erleichtert uns das Leben, das wir in einer völlig verrückten Welt verbringen müssen. Denn als verrückt stellt sich die heutige für uns alle dar.
Die Themen Ihres Romans sind teilweise doch heftig: Korruption, Verrat, Intrigen. Wie nah kommen Sie dabei denn der heutigen Realität?
Das Buch ist eine Art Historienfilm zwischen zwei Buchdeckeln, der zugleich unsere Gegenwart spiegelt, ohne dass ich dies dem Stoff künstlich unterjubeln musste: Denken Sie an den Journalisten Deniz Yücel, den der türkische Präsident Recep Erdoğan als angeblichen „Agent-Terroristen“ im Hochsicherheitsgefängnis Silivri Nr. 9 eingesperrt hat. Deniz Yücel beugte sich nicht, das können heute nur wenige von sich behaupten, und auch ich hätte mich bestimmt anders als Yücel entschieden, nämlich wie De Foe: In dem Moment, da De Foe weggesperrt wird und für ihn abzusehen ist, dass er Newgate nicht mehr verlassen wird, wechselt er die Fronten und wird zum Spion und Trickster nach dem Vorbild Kardinal Richelieus − und zu einem Menschen, der seine Rollen so vollendet spielt, dass er sie selber glaubt. Dieser Spion und Trickster De Foe hat einerseits Fake News in die Welt gesetzt, wie sie uns heute geläufig sind: Das Phänomen ist also ganz und gar nichts Neues. De Foe machte den Anfang damit. Zum anderen aber schuf De Foe den Enthüllungsjournalismus und die True-Crime-Reportage, die heute den rundum florierenden Serienkiller- und Großverbrecher-Dokus- und -Biopics Nahrung gibt: De Foe machte aus Einbrechern, Prostituierten und Massenmördern Celebrities, Berühmtheiten. Man stand vor Newgate Prison Schlange, um die Delinquenten nur einmal kurz sehen zu dürfen, denen De Foe in der Zeitung zu solcher Prominenz verholfen hatte.
Kann sich die Leserschaft auf ein Happy-End freuen?
Bei mir immer. Der Roman hat allerdings zwei Enden, einmal die Wiedervereinigung der Liebenden Mary und Daniel de Foe, dann das Schicksal von Midge Crane, die von London aus nach Amerika geht, um ihren Lebenstraum zu verwirklichen. Ob ihr dies gelingen wird, verrate ich natürlich nicht.
Wird es eine Fortsetzung geben?
Der Roman ist in sich geschlossen und in jeder erdenklichen Hinsicht zu Ende erzählt, das Leben eines Menschen und eine ganze Welt in einem Roman von 200 Seiten. Außerdem wiederhole ich mich nie. Also wird es ein neues, ebenfalls historisches Buch geben, an dem ich bereits arbeite. Es spielt in einer anderen Zeit und an einem anderen Ort, aber mit ähnlich brennenden Fragen, die indirekt auch in unsere Gegenwart zielen.
An welche Leserschaft richtet sich das Buch?
An alle, die gute, witzige Dialoge, klare, spannende Plots und Schlawiner, Halunken und entschlossene Frauen als Protagonist:innen lieben, deftige Charaktere, die ich so auf die Beine stelle, dass der Boden unter ihren Füßen kracht. Es richtet sich an alle, die Hilary Mantel und Margaret Atwood mögen − und meinen Hausheiligen: Gabriel García Márquez.
Mit welchem Argument kann der Buchhändler das Buch im Laden ideal verkaufen?
„Schaut mal her, da hat einer ’nen historischen Spannungsroman mit literarischem Anspruch geschrieben, der auch von unserer Gegenwart erzählt: Rasant, bewegend und komisch. Sowas kriegt Ihr doch nicht alle Tage zu lesen. Also: Greift zu!“
Welche 3 Wörter beschreiben das Buch ideal?
Kraftvoll, fantastisch, atemlos. Daniel Kehlmann hat über „Die Verschwörung der Krähen“ gesagt:„Ein kraftvoller erzählerischer Wurf, ein fantastisches Buch, das man atemlos liest.“ That’s it.
Die Fragen stellte Franziska Altepost