Mehr als 40 Jahre lang hat sie den Bilderbuchmarkt beobachtet und mitgestaltet: Nord-Süd-Verlagsgründerin Brigitte Sidjanski über das Geschäft mit einem ganz besonderen Produkt

BuchMarkt: 1961 haben Sie gemeinsam mit Ihrem Mann Dimitri den Nord-Süd Verlag gegründet. Warum?

Brigitte Sidjanski: Mein Mann war Schriftsteller und fand, dass ihm die Lektoren zu viel dreinredeten. Also beschlossen wir, die weiteren Bücher selbst zu verlegen.

Mit welchen Schwierigkeiten hatten Sie damals zu tun?

Das Problem war natürlich, dass wir kein Kapital hatten. Für die Lesebücher ließen sich kleine Drucker finden, die sehr lange Zahlungsziele gewährten – Dimitri hatte eine ausgesprochene Begabung, andere von etwas zu überzeugen. Diese Drucker versprachen sich mit dem Drucken von Jugendbüchern auch eine gute Reklame.

Brigitte Sidjanski

Bei den farbigen Bilderbüchern wurde es dann schwieriger, wegen der hohen Litho- und Druckkosten. Die Lösung war ein Stand auf der Frankfurter Buchmesse. Ein ganz kleiner Stand, schwarz ausgelegt, mit einem einzigen Buch: „Der Clown sagte nein“, der Text war von Dimitri unter dem Pseudonym Mischa Damjan, die Illustrationen von dem Schweizer Glasmaler Gian Casty.

Ein Stand mit einem einzigen Buch. Wie war die Resonanz?

„Der Clown sagte nein“ war ein ungewöhnliches Buch, das die Presse begeisterte. Und es lockte ausländische Verlage an: Im Handumdrehen waren Lizenzen verkauft nach Finnland, England, Südafrika, Frankreich, Deutschland und vor allem nach Amerika.

Wenn Sie an diese Anfänge des Verlags zurückdenken – wie sah damals der Markt für Bilderbücher aus?

Es gab keinen. Es gab nur wenige Klassiker, es erschienen keine regelmäßigen Neuerscheinungen, kein Verlag hatte ein Bilderbuchprogramm. Auch die Begriffe Backlist, RR und Ramsch waren in den ersten 20 Jahren noch fremd. Alle Titel blieben lieferbar, da Nachdrucke durch neue Lizenzverkäufe Auflagen von Minimum 20.000 Exemplaren erreichten, was eine vernünftige Kalkulation ermöglichte. Außerdem war der Buchhandel sehr offen und neugierig und kaufte ein, stellte die Bilderbücher sogar ins Schaufenster. Die Ausgaben stießen auch auf reges Interesse beim Publikum. Alle Türen waren offen.

Und die Illustratoren?

Die künstlerisch hochstehenden Illustrationen unserer Bücher lockten weitere Künstler an. Sie erlebten, dass man sie in Freiheit arbeiten ließ und keine Auftragsarbeiten vergeben wurden, bei denen der Vorstellung des Lektors gefolgt werden musste. Zudem war es für die Künstler ein völlig neues Wirkungsgebiet.

Das klingt nach einer heilen Welt…

Wie gesagt, damals standen dem Bilderbuch alle Türen offen. Man sprach nie von Verkäuflichkeit, von Marktanpassung, von Konkurrenzdenken. Da war einfach Begeisterung auf allen Seiten, man nahm es leicht und fröhlich. Die Verkaufspreise waren rund und wurden per Handschlag abgemacht.

Wann begann sich das zu ändern?

Jede Pionierarbeit hat mal ein Ende! In den 70er Jahren entschlossen sich verschiedene europäische Länder, selbst Bilderbuchoriginal-Ausgaben herauszugeben. Dabei hatten die wegfallenden amerikanischen Lizenzen die negativste Auswirkung auf uns, denn damals war der Kurs mal vier! Und es begannen immer mehr deutschsprachige Jugendbuchverlage Bilderbücher zu verlegen, es trat Konkurrenz auf.

Der Nord-Süd Verlag machte weiterhin ausschließlich Bilderbücher.

Ja. Für die anderen Verlage waren Mischkalkulationen möglich, sie hatten auch Kinder- und Jugendbücher, Schulbücher oder Erwachsenenliteratur. Bilderbücher waren für sie zum Teil Prestigesache und mussten sich nicht rentieren. Aber als reiner Bilderbuchverlag hatten wir auch Vorteile: Wir waren im Buchhandel bekannt und eingeführt. Als die Konkurrenz anfing, hatten wir bereits ein festes Team von interessanten, bekannten Illustratoren.

Wie wirkte sich der zunehmende Konkurrenzdruck auf die Bücher aus?

Mit der wachsenden Konkurrenz bildete sich immer mehr ein Publikumsgeschmack, damit aber auch eine Nivellierung der Illustrationsqualität. Es gab fast etwas wie einen Einheitsstil. Originalität war immer weniger gefragt.

Und wie reagierte der Handel?

Gewisse Titel, die vorher vom Buchhändler begeistert aufgenommen worden waren, fielen in Ungnade. Es begann mit dem „nicht passend für Kinder“, „nur für Erwachsene verständlich“. Dabei können ja gerade Kinder ausgezeichnet Bilder lesen.

Ein Beispiel: „Krokodil Krokodil“ von Binette Schroeder kam heraus. Ein Titel, der in der Presse sehr gelobt, vom Buchhandel aber als unkindlich erklärt wurde. Wir hatten damals in unserem Industriequartier eine kleine Messe, wir legten einen Stapel Bücher für die Kinder zum Schmökern aus. Und welches war das beliebteste Buch?
Um das sich die Kinder fast stritten? „Krokodil Krokodil“!

Aber Kinder gehen ja nicht in Buchhandlungen, sie kaufen keine Bücher. Ihre Meinung war also nicht von Interesse. Fachleute wussten, was gut für sie war.

„Krokodil, Krokodil“ ist bis heute lieferbar…

Ja, wir hatten einige Longseller, darunter auch Bernadettes „Rotkäppchen“, „Der Junge und der Fisch“ von Max Velthuijs, „Das Apfelmännchen“ von Janosch oder „Lupinchen“ von Binette Schroeder. Heute hingegen kann sich kaum ein Buch zum Best- oder Longseller entwickeln, weil der Buchhandel darauf ausgerichtet ist – bei der Buchschwemme vielleicht auch verständlich –, ein Buch schnell zu verkaufen, die Regale also zu räumen für Neues. Gewisse Bücher brauchen jedoch ihre Zeit. „Varenka“ von Bernadette zum Beispiel hat sich anfangs nicht so gut verkauft, erst nach einigen Jahren wurde es zum Longseller.

Aber auch in den 90ern gelangen Nord-Süd Bestseller – „Der kleine Eisbär“ von Hans de Beer und „Der Regenbogenfisch“ von Markus Pfister.

„Der Regenbogenfisch“ war das Buch, das unsere Situation auf dem deutschen Markt am meisten veränderte. Diese Verkaufszahlen schossen derart in die Höhe, dass alle Titel, die für uns früher Bestseller waren, plötzlich winzig wirkten. Man hätte diese Verkaufszahlen einfach nicht vergleichen dürfen.

Andererseits hat uns dieser riesige Verkauf auch viele Türen auf dem Markt geöffnet. Aber es blieb beim Buchhandel der Anspruch, dass so etwas wieder erreicht werden sollte. Wir waren also nicht mehr der Verlag mit künstlerisch anspruchsvollen Bilderbüchern für Kinder und Poeten, sondern ein Verlag, dessen Programm sich gut verkaufte. Das war in gewisser Weise ein Meilenstein.

Trotz dieses enormen Erfolgs und der zahlreichen internationalen Standbeine, die Ihr Sohn Davy als Verleger ab 1979 aufgebaut hatte, geriet der Nord-Süd Verlag Anfang 2002 in Schwierigkeiten, vor gut einem Jahr wurde er verkauft.

Ja, das hatte unterschiedlichste Gründe, auf die ich hier aber nicht näher eingehen möchte.

Damals sind sehr gute Titel im Ramsch gelandet, eine Tendenz, die auch bei anderen Verlagen zu beobachten ist und Buchhändlern den Verkauf von preisgebundenen Bilderbüchern zu Preisen ab zwölf Euro nicht leichter macht.

Die Tendenz, dass viele Titel im Ramsch gelandet sind, kam nicht im eigentlichen Sinn von den Verlagen her. Der Buchhandel sah sich vielmehr durch die Überproduktion gezwungen, sein Budget hauptsächlich für Neuerscheinungen einzusetzen und Kundenwünsche für Titel aus der Backlist nur noch auf Bestellung zu erfüllen. Das hieß für die Verlage: Lager räumen! Und für Nord-Süd der knappen Finanzen wegen erst recht.

Die Verlage mussten daraufhin ihre Verlagspolitik ändern und von Anfang an kleinereAuflagen drucken für die kürzere Lebensdauer eines Buches. Inzwischen scheint das unselige Wort „neu“ zu einem Gütesiegel geworden zu sein, das alle früheren Titel zu Ladenhütern macht, respektive zu Remittenden.

Haben die Veränderungen im Markt über die Jahre hinweg auch Einfluss auf die Zusammenarbeit mit den Künstlern genommen?

Die Zusammenarbeit mit den Künstlern hat sich schon etwas verändert. Neben der sehr persönlichen Beziehung stärkte früher auch der Pioniergeist die Beziehung untereinander. Man glaubte an die Arbeit. Je mehr sich ein Markt entwickelte, desto mehr Unsicherheit kam hinzu und auch die Überzeugung: „Wir müssen Qualitätsbücher machen.“ In den früheren Jahren hat man das einfach gemacht.

Dennoch, beim Nord-Süd Verlag blieb die Beziehung zum Künstler immer sehr stark auf das Persönliche ausgerichtet. Die Wellenlänge musste stimmen, ohne die kann man auch keinen Einfluss nehmen, kein Vertrauen und keine Glaubwürdigkeit aufbauen. Es war auch wichtig, die Probleme des Künstlers zu kennen und ihm dementsprechend die richtigen Texte zum Illustrieren zu geben. Ich denke schon, dass sich dies auf die Bücher ausgewirkt hat und das Nord-Süd-Programm zu etwas Besonderem gemacht hat. Ebenso ist es bohem press
gelungen.

Aber die Zeiten, in denen man einen Illustrator einem Verlag zuordnen konnte, sind vorbei. Viele, die sich durchgesetzt haben oder die auf dem Weg dahin sind, tauchen in mehreren Programmen auf. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Die meisten Lektoren heute sind flexibel. Sie sind mal bei diesem, mal bei jenem Verlag. Alleine damit wandern auch die Illustratoren. Ich glaube nicht, dass dies im heutigen Markt ein Problem ist. Das Bilderbuch interessiert den Buchhandel nicht mehr im selben Maß.

Das klingt düster. Wie kommt man aus diesem Tief wieder heraus?

Kunden klagen oft über den hohen Preis für so ein dünnes Büchlein. Vielleicht sollten Buchhändlerinnen, wenn sie überhaupt Zeit für einen Kunden haben, diesen schneller darauf ansprechen, dass ein Bilderbuch mehrmals in die Hand genommen wird, dass Kinder oft lange Zeit damit leben und Probleme lösen.

Dem Bilderbuch wird zu wenig zugetraut?

Ja, vielleicht sollte der Buchhandel wieder mutiger werden und durch gute Präsentation, die für ein Bilderbuch so wichtig ist, das Publikum reizen. Man könnte sogar in einer originellen, witzigen Weise eine kleine Mitteilung zum Preis des Buches dazulegen, damit der Kunde sensibilisiert wird darüber nachzudenken. Oder die Verlage müssten einen witzigen Flyer beisteuern, der nicht psychologisch wirkt, sondern zum Schmunzeln anregt.

Die Wiederbelebung des Bilderbuchs kann nur beim Buchhändler beginnen. Sein Laden ist der direkte Draht zum Leser. Das Angebot muss nicht immer groß sein, aber vielfältig und überraschend.

Die Fragen stellte Susanna Wengeler

Hintergrund
Brigitte Sidjanski gründete 1961 mit ihrem Mann Dimitri den Nord-Süd Verlag. 1979 übernahm ihr Sohn Davy die Verlagsleitung, Brigitte Sidjanski prägte weiterhin als Cheflektorin das Programm. Anfang 2002 geriet der Verlag, der stark auf das internationale Geschäft gesetzt hatte, im Zuge konjunktureller Probleme und des fallenden Dollarkurses in finanzielle Schwierigkeiten. 2004 wurde er an eine deutsch-schweizerische Investorengruppe verkauft und in NordSüd Verlag umfirmiert, Brigitte Sidjanski arbeitete weiterhin im Lektorat. Inzwischen hat sie sich in den Ruhestand zurückgezogen.

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