In dieser Woche hatte der BGH die Klage von Maike Kohl-Richter gegen den Autor Heribert Schwan und den Heyne Verlag über eine Geldentschädigung in Höhe von „mindestens fünf Millionen Euro“ rechtskräftig abgewiesen. Entgegen der Vorinstanz hält der Bundesgerichtshof jetzt aber auch die Veröffentlichung von wahren Zitaten aus den Gesprächen zwischen Schwan und Kohl für rechtmäßig. Das war Anlass für Nachfragen für unser heutiges Sonntagsgespräch bei Rainer Dresen, dem Justitiar der Penguin Random House Verlagsgruppe, zu der der beklagte Heyne Verlag gehört:
Wie groß ist die Erleichterung?
Rainer Dresen: Wir freuen uns natürlich, dass nun, „kaum“ sieben Jahre nach Erscheinen, endlich feststeht, dass unsere Buchveröffentlichung keine Zahlungspflicht auslöst.
Das ist verständlich angesichts einer Forderung von mindestens fünf Millionen Euro Geldentschädigung an Heyne und die Autoren Schwan und Jens.
Aber wir waren von Anfang an überzeugt, dass die maßlos überhöhte, nur aus PR-Gründen so hoch bezifferte Klage schlussendlich keinen Erfolg haben kann. Der höchste bis dahin in Deutschland zugesprochene Klagebetrag betrug mit knapp 400.000 Euro gerade mal ein Zwölftel der hier aufgerufenen Summe. Und damals ging es um zahlreiche Berichte aus dem Intimleben des Wettermoderators Kachelmann, die das beklagte Boulevard-Blatt BILD seinen Millionen Lesern in aller Offenheit ausbreitete.
Wo ist der Unterschied?
Wir hingegen zitierten knappe Zitate eines der bekanntesten Politikers der deutschen Nachkriegsgeschichte, die sich noch dazu allesamt mit seinen politischen Einschätzungen befassten. Dafür gibt es nicht nur kein Schmerzensgeld, solche Zitate sind schon aus Gründen der Pressefreiheit erlaubt, deshalb hat der BGH ja auch alle nachweislich zutreffenden Zitate wieder erlaubt und nur einige wenige angebliche Fehlzitate untersagt.
War letztlich nicht auch entscheidend, dass Kohl verstorben war? Der BGH stellte maßgeblich darauf ab.
Gerichte entscheiden immer nur Sachverhalte, wie sie sich am Schluss der letzten mündlichen Verhandlung darstellen. Und 2021 war Kohl schon vier Jahre tot, weshalb keine Ausführungen des Senats zu der Situation 2014 zu erwarten waren. Anders als die bisher befassten Gerichte aber hat mit dem BGH endlich ein Gericht die Zitate eingehend geprüft und wahre Zitate für zulässig erklärt. Nur eindeutige sog. „Fehlzitate“, bei denen er den Kontext bemängelte, hat er untersagt und einige wenige „Mischformen“ zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an die Vorinstanz zurück verwiesen.
Was bedeutet das für die künftige Verlagspraxis?
Die Wiedergabe von bloßen Vertraulichkeiten, so das Gericht entgegen der Vorinstanzen, ist zulässig. Durch sie nämlich wird das Lebensbild des verstorbenen Ex-Kanzlers nicht beschädigt. Damit fehlt es dem in schlagzeilenträchtiger Rekordhöhe geltend gemachten Geldentschädigungsanspruch zu weiten Teilen schon an seiner dogmatischen Grundlage, nämlich einer unterlassungspflichtigen Rechtsverletzung. Es spricht deshalb Vieles dafür, die Entscheidung so zu deuten, dass der BGH sie wohl auch zu Lebzeiten des Kanzlers kaum anders getroffen hätte. Auch schon damals, so steht zu vermuten, hätte der BGH wahre Zitate eines bedeutenden Politikers für zulässig erachtet – und als naheliegende Begründung dafür auf die überragende Bedeutung der Pressefreiheit verwiesen. Diese ist bekanntlich durch die Verfassung garantiert und hat immer schon ermöglicht, zutreffende Berichte aus der Sozialsphäre eines Politikers der interessierten Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen.
Aber wie erklären Sie sich, dass viele Gerichte lange Zeit anders als der Bundesgerichtshof entschieden haben?
In der Tat mussten wir lange Zeit gegen, so unser Eindruck, mutmaßliche Kohl-Fans auf den Richterbänken angehen. Mit immer neuen Begründungen und eindeutigen Sympathien für die Klägerseite entschieden sie anfangs jeden Prozess gegen uns, obwohl die Schriftsätze der Gegenseite oft kaum tragfähige rechtliche Überlegungen aufwiesen und sich seitenweise lasen, als hätte die Witwe sie den fast schon willfährig erscheinenden Juristen direkt in die Feder diktiert. A propos: Stets wurde in Nordrhein-Westfalen geklagt, wobei es dabei sicher nicht geschadet hat, dass der Namensgeber der bis kurz vor Schluss befassten Anwaltskanzlei, Helmut Kohls Freund und Vertrauter Holthoff-Pförtner, in eben jenem Bundesland als Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales über einen gewissen Einfluss verfügen dürfte. Zufall oder nicht: Kaum wechselte die Klägerin die befasste Anwaltskanzlei und kaum verließ das Verfahren das Land NRW und landete beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe, verließ die Witwe auch das Prozessglück.
Der BGH hat viele Zitate für den Verlag wieder freigegeben. Gilt das auch für Heribert Schwan? Durfte er tatsächlich vertrauliche Gespräche veröffentlichen?
In der Tat differenziert der BGH zwischen Autor und Verlag. Bei Heribert Schwan geht auch der BGH davon aus, dass der Autor durch eine stillschweigende Vertraulichkeitsabrede an jeder Verwertung gehindert war und bleibt. Hiergegen läuft eine Verfassungsbeschwerde, und ich bin dezidiert der Meinung, dass Kohl ausdrücklich darauf verzichtet hat, mit Heribert Schwan Vertraulichkeit zu vereinbaren, und deshalb keine Vertragslücke besteht, die man mit einer fragwürdigen Rechtskonstruktion ausfüllen muss. Die Verlagsverträge zum damaligen Droemer-Projekt, der offiziellen Kohl-Biographie wurden von Kohls Juristen selbst formuliert und sind eindeutig: vertraulich sollten die Vertragspartner Kohl und Schwan nur die jeweiligen Vertragsbedingungen behandeln.
Sie haben mir die Kopien gezeigt, da ist von einer Vertraulichkeit bezüglich Gesprächsinhalten nicht die Rede.
Im Gegenteil wird den Vertragspartnern ausdrücklich empfohlen, alles Weitere direkt untereinander zu regeln. Das ist nie geschehen, und dabei war Helmut Kohl ja einer der gewieftesten Politiker aller Zeiten. Bekanntlich hat er gegen den Widerstand Vieler die deutsche Wiedervereinigung durchgesetzt, bekanntlich hat er Franz Josef Strauß viele Jahre auf Distanz gehalten. Ihn muss kein Gericht nachträglich durch die Annahme einer stillschweigenden Abrede vor unbedachten Rechtshandlungen schützen, wie etwa ein älteres Mütterchen vor irgendwelchen übereilt abgeschlossenen Haustürgeschäften geschützt werden muss.
Gab es dazu nicht sogar eine Beweisaufnahme mit prominenten Zeugen?
Peter Kohl, der Sohn des Altkanzlers, hatte in einem Interview mit dem ZEIT-Magazin 2018 unter anderem gesagt, er habe seinem Vater und Schwan bei deren Gesprächen „einmal zwei Stunden zugehört“. Sein Vater habe bei dem Gespräch mit Schwan „maximal offen“ geredet, „wie man eben privat spricht“. „Aber hier lief ein Tonband mit – ich habe damals versucht, meinen Vater und seinen Anwalt dazu zu bringen, eine entsprechende Vertraulichkeitsvereinbarung mit Herrn Schwan zu schließen.“ Aber damit habe er sich „leider nicht durchsetzen können“. Als ich das las, war ich wie elektrisiert. Endlich ein Zeuge, der aus erster Hand die These von der stillschweigenden Abrede widerlegt. Und tatsächlich, er wurde auf unseren Antrag hin vom Gericht als Zeuge geladen und bestätigte seine Angaben aus dem Interview. Einmal in Fahrt, teilte er auch gleich mit, was er von seiner Stiefmutter hält: Maike Kohl-Richter sei „keine Historikerin“ und kenne sich nicht aus mit der Geschichte seines Vaters. Sie habe „keine Ahnung“ und wolle die Deutungshoheit über das politische Vermächtnis seines Vaters erlangen und „auf Ewigkeiten“ besetzen.
Und wieso bestätigte das Gericht trotzdem die Sichtweise, dass eine stillschweigende Abrede bestehe?
Das ist uns immer noch ein kleines Rätsel, diese Frage wird letztlich noch Thema eine Verfahrens sein, das gleich nächste Woche, am 9.12.2021, vor dem OLG Köln geführt wird, angestrengt natürlich wiederum von der Witwe. Vielleicht spielte auch eine Rolle die Aussage des damaligen Droemer-Verlegers Dr. Hans-Peter Übleis, der von der Witwe als Gegenzeuge zu Peter Kohl benannt worden war und der eine denkwürdige Vorstellung gab. Nicht nur erzählte er, sichtlich ergriffen, von der seinerzeitigen Droemer-Vertreterkonferenz, als er den Saal nicht alleine betrat, sondern der damals neu für Droemer gewonnene Helmut Kohl als Überraschungsgast hinter ihm herlief und alle Blicke der Anwesenden auf sich zog. Übleis, so seine felsenfeste Erinnerung nach knapp 20 Jahren in der Aussage vor Gericht, erklärte, dass für Helmut Kohl damals die Frage der Vertraulichkeit der Gespräche mit Schwan sehr wichtig gewesen sei. Diese Aussage musste Übleis dann – ein sehr ungewöhnlicher Vorgang – aufgrund sofortigen Beschlusses des skeptischen und von sich selbst überraschten Gerichts („da ist man kaum 20 Jahre Richter und schon ordnet man seine erste Vereidigung an“) beeiden.
Wird es also eine neue Print-Auflage geben? Das E-Book war ja mit Auslassungen immer lieferbar.
Wir meinen schon, dass dieses Buch, das ja in gewisser Weise auch Rechtsgeschichte geschrieben hat, in der einen oder anderen Weise für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich sein sollte. Nach Vorliegen der Urteilsbegründung werden wir sorgfältig prüfen, welche der vielen in der ersten Auflage verwendeten Zitate und bislang verbotenen, jetzt aber vom Bundesgerichtshof wieder freigegebenen Zitate wir wieder veröffentlichen können. Und von den auf über 3000 Seiten Tonbandabschriften haben wir ja bisher ohnehin nur einen Bruchteil in unserem 240 Seiten-Buch veröffentlicht. Material gibt es also in Hülle und Fülle. Wichtig ist nur, dass wir noch stärker als bisher die Zitate in den historischen Kontext stellen, was in der Erstauflage schon aus Zeit- und Platzgründen nicht immer erfolgte. Stand heute aber wird der Autor des Werkes nicht Heribert Schwan heißen können, denn er darf, wie erwähnt, bis auf Weiteres keine Zitate veröffentlichen.
Seit der Buchveröffentlichung, Sie sagten es eingangs, sind sieben Jahre vergangen, eine lange Zeit. Wie haben Sie das alles persönlich erlebt?
Es ist viel passiert in all den Jahren. Der damalige Heyne-Verleger und auch der seinerzeitige Random House-CEO haben längst das Haus verlassen, auch der Nachfolger des Heyne-Verlegers ist schon wieder weg, zwei von vier Prozessbeteiligten – Helmut Kohl und Tilman Jens – verstarben unterdessen. Ich hingegen, manchmal wundere ich mich selbst, bin immer noch da und war auch sonst nicht untätig. Im Privaten habe ich die Zeit genutzt und geheiratet und bin zum zweiten Mal Vater geworden. Aber meine Haare sind grauer und die Falten im Gesicht zahlreicher geworden, und das ist auch kein Wunder, denn wie meine Frau nicht nur einmal leicht gequält anmerkte: Helmut Kohl war immer ein Thema und eigentlich in jedem Urlaub „dabei“. In der Tat, es war auf Samos, da erfuhr ich zum ersten Mal, dass Heribert Schwan über Tonbandmitschnitte verfügt. Am Comer See habe ich das Manuskript geprüft, auf Korsika die ersten Klageerwiderungen vorbereitet und auch in allen weiteren Ferien war die Causa Kohl immer im Gepäck. Immerhin, damit versuchte ich meine Frau zu trösten, sind wir nie, weder zur Recherche noch zur Erholung, an den Wolfgangsee gefahren.
In sieben Jahren ist sicherlich auch im Verfahren selbst so einiges passiert. Woran erinnern Sie sich, abgesehen von Schriftsätzen und Urteilen?
Da gab etwa Gespräche mit dem beim gemütlichen Beisammensein nach dessen ARD-Talkshow fröhlich Winzer-Witze erzählenden Günter Jauch („Welches sind die drei besten Arten, sein Geld auszugeben? Am schnellsten geht es an der Börse, am schönsten ist es mit Frauen und am sichersten mit einem eigenen Weingut“.) In der noch zu Lebzeiten Kohls stattfindenden Sendung hatte Heribert Schwan in Anwesenheit von Willy Brandts Witwe von Maike Kohl-Richter bereits als „der künftigen Witwe“ gesprochen. Daraufhin wurden alle anderen bereits gebuchten Talkshow-Auftritte des Autors von den besorgten Redaktionen anderer Sender umgehend abgesagt. Oder der Buchmesse-Auftritt 2014 von Kohl. Zeitgleich mit dem Erscheinen unseres Buchs machte er ungewollt mächtige PR für unsere Veröffentlichung. Eigentlich, aber diese Detail erschloss sich vielen nicht, wollte er nur sein eigenes Buch zum Thema Europa präsentieren, und wurde dabei von niemand Geringerem als dem damaligen BILD-Chef Kai Diekmann fürsorglich auf den Droemer-Verlagsstand gerollt. Unvergessen ist mir auch der einzige Auftritt von Maike Kohl-Richter vor Gericht. Sie war vor dem OLG Köln erschienen, als es darum ging, die in erster Instanz zugesprochene Million durch persönlichen Einsatz zu verteidigen. Das ging dann eher schief. Ich sprach sie während der Verhandlung direkt an, von Beklagtenbank zur Klägerbank: „Frau Kohl-Richter, warum diese Unversöhnlichkeit? Heribert Schwan hat ihren verstorbenen Mann doch auch verehrt. Erst kürzlich war er sogar an dessen Grab.“ Ihre Antwort kam sofort, und kaum eine der zahlreichen PressevertreterInnen (Ausnahme Ulrike Posche im STERN) hat sie je veröffentlicht, so entlarvend lautete sie: „Mein Mann hat nun mal mich geliebt – und nicht den Herrn Schwan!“ Danach hat sie wohlweislich keinen Gerichtstermin mehr wahrgenommen.
Wohlweislich?
Lassen Sie mir meine Interpretation. Aber ein Gedanke kommt mir auch noch: Die einzige von mir im Vorfeld der Buchveröffentlichung als wirklich bedenklich angesehene Passage wurde nie von der Klägerseite angegriffen. Sie ist bis heute im lieferbaren E-Book ungeschwärzt enthalten und damit für künftige Historiker-Generationen jederzeit zugänglich.
Damit machen Sie mich neugierig: Worum geht es da, steckt da ein Scoop für BuchMarkt drin?
Es geht dabei um eine bis zu unserer Entdeckung vielleicht aus guten Gründen besser verborgen gebliebene private Seite, nämlich um einen besonderen Aspekt von Helmut Kohls Kleidungsvorlieben, bzw. das Fehlen derselben und eine Situation, wo selbst der sonst so wirkmächtige Kanzler der Einheit auf Granit biss. Aber lesen Sie selbst:
„Anders als Gatte Helmut war Hannelore berührungsscheu, sittenstreng und prüde. Einmal, am Ende des ersten Gesprächs nach ihrem Tod, seufzt er, habe seine Frau ihm verboten, im heimischen Swimmingpool ohne Badehose zu schwimmen, obwohl das sicher bequemer gewesen wäre. „Da war sie ganz eigen.“
Die Fragen stellte Christian von Zittwitz