Am vergangenen Freitag und Samstag fand im Bilderbuchmuseum auf Burg Wissem der 13. Workshop der Stiftung Illustration statt. Das Thema: „Klassiker neu gemacht“. Museumsdirektorin Pauline Liesen begrüßte rund 50 Teilnehmerinnen zu der von Ines Dettmann in Zusammenarbeit mit Paula Peretti konzipierten und moderierten Veranstaltung.
Im Eröffnungsreferat setzte sich Heidi Lexe, Leiterin der Abteilung Literatur in der Erwachsenenbildung der STUBE in Wien, mit dem Thema „Klassiker in der Kinder- und Jugendliteratur – Neubefragung oder Nostalgie?“ auseinander. Dabei entlehnte sie die Begriffe „Textpflege“ und „Sinnpflege“ von Jan und Aleida Assmann und benutzte sie „mit deutlich verändertem Bedeutungshorizont, um einige Aspekte der Klassikerbildung in der Kinder- und Jugendliteratur zu verdeutlichen. Mit der Textpflege meine ich dabei eine historisch-kritische Tradierung eines Textes; mit der Sinnpflege dessen Auslegung und lebendige Rezeption.“ Heidi Lexes These: „Um die Textpflege schert sich die Kinder- und Jugendliteratur selten; außer natürlich es geht um die Inkriminierung von Einzelbegriffen; die Sinnpflege aber hat auch und gerade in der illustrierten Literatur ein Zuhause gefunden.“
Der Frage, warum und wie Verlage Kinderbuchklassiker neu inszenieren, gingen Bärbel Dorweiler, Verlegerin Thienemann-Esslinger, und Anna Kindermann, Verlegerin des Kindermann-Verlags im Gespräch mit Paula Peretti nach.
Anschließend konnte am Freitagabend eine ganz besondere Ausstellung im Bilderbuchmuseum eröffnet werden, die im Rahmen des Workshops entstanden war: Henriette Sauvant, Professorin für Illustration und Buchgestaltung an der Hochschule Trier, hatte Klassiker in den vergangenen Semestern zum Seminarthema gemacht. Weil der Workshop in Troisdorf coronabedingt zweimal verschoben wurde, sind dabei eine ganze Reihe von Projekten entstanden.
So sind nun bis zum 23. Oktober Illustrationen von Studierenden zu Texten wie Der Panther von Rainer Maria Rilke, Der Erlkönig von Johann Wolfgang von Goethe, Krabat von Otfried Preußler oder Die Wand von Marlen Haushofer zu sehen. Henriette Sauvant sprach beim Workshop stellvertretend für alle Ausstellenden mit Katja Gerischer, die ihren Erlkönig vorstellte, und Jessica Frascht, die über ihren Panther berichtete. Außerdem sind Werke von Iris Jackel, Max Braun, Antonia Rib, Sandy Reuter, Elena Guthmann, Nina Maria Drangmeister, Luca Maria Julien, Benita König, Ferhad Ahmad, Paula Strehle, Viviane Lautejoul, Helen Marie Michel, Luca Steffen, Michelle Donnert, Kathrin Schneider, Theresa Ellenrieder, Irina Ruprecht, Valerie Simanowski, Sarah Schotte, Lisa Schädler, Nils Schmitz, Klara Driessen, Alina Beck, Renee Loric, Larissa Goffert, Lena Simon, Nele Kran, Annika Höfer, Hannah Schwickerath, Jacqueline Schnoor und Ketevan Tskjadadze zu sehen.
Am Samstag gaben Illustratorinnen und Illustratoren Einblick in die Entstehung ihrer Illustrationen für neue Klassiker-Ausgaben: Isabelle Kreitz berichtete über ihre Umsetzung mehrere Stoffe von Erich Kästner in Graphic Novels im Atrium Verlag, Sabine Wilharm erzählte, warum sie für die Bilder zum Erlkönig im Kindermann Verlag eine Rahmenhandlung geschaffen hat.
Tobias Krejtschi schilderte sein Konzept für die Kinderbibel nach einem Text von Georg Langenhorst beim Katholischen Bibelwerk, und Jonas Lauströer zeigte, wie er Phantasie in seine Wissenschaftsillustrationen bringt und die Wissenschaft umgekehrt ein Projekt wie Das Elefantenkind bei Minedition bereichert.
Nina Dulleck schließlich erzählte, dass sie bei der Neuillustration der Sams-Bände von Paul Maar (Oetinger) viel über den Kinder- und Jugendbuchmarkt gelernt habe.
Gabriele von Glasenapp, Leiterin der Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendmedienforschung (ALEKI) in Köln, schilderte in ihrem Vortrag, wie Lehramtsstudierende heute Klassiker wahrnehmen – zunächst einmal nämlich als Bücher, die im Lehrplan stehen, und die man sonst nicht gelesen hätte. Bei der Beurteilung von Kinderbuchklassikern spiele die eigene Lesebiografie eine große Rolle, und meist würden eher die Buchtitel als die Namen der Autor*innen erinnert.
Heidi Lexe ging im Gespräch mit Ines Dettmann auf die Rezeption von Harry Potter ein – mit in die Runde kam dann die Illustratorin der ersten Harry Potter-Cover in Deutschland, Sabine Wilharm. Ein besonderes Phänomen bei dieser Buchserie: Die erste Generation von Leser*innen konnte Jahr um Jahr mit den neu erscheinenden Bänden mitwachsen, wogegen es heute möglich ist, die Serie zu „bingen“.
Einen Blick in die Realität von Buchhandlungen und Bibliotheken gewährten Sandra Rudel, Leiterin der Kinderbuchhandlung Schmitz junior in Essen-Werden, und Ulrich Schmitter, der 38 Jahre lang die Nettetaler Stadtbücherei leitete, bevor er Ende 2021 in den Ruhestand ging. Beide machten deutlich, dass Klassiker nur ein Teil des riesigen Segments Kinder- und Jugendbuch sind. Sandra Rudel pflegt ein gut sortiertes Klassiker-Regal, verkauft die Titel aber vor allem, wenn Eltern oder Großeltern sich bei Novitäten unsicher sind und lieber auf Bewährtes zurückgreifen. Neuausgaben begrüßt sie, denn auch wenn sie beispielsweise mit den neuen Bildern von Katrin Engelking für Pippi Langstrumpf anfangs aufgrund ihrer eigenen Lesegewohnheit gefremdelt habe, weiß sie: „Die kleinen blauen Bände mit den Schwarz-Weiß-Illustrationen würde ich heute nicht mehr verkaufen können.“
Ulrich Schmitter verwies auf die Hotzenplotz-Bände für Erstleser – sie seien der Durchbruch für die bekannten Hotzenplotz-Bände in der Bibliothek in Nettetal gewesen. Auch Titel der Weltliteratur aus dem Kindermann Verlag würden häufig ausgeliehen, wobei es auch sein könne, dass sie von Erwachsenen gelesen werden, die denken, die müsste man gelesen haben, aber eine einfachere Textvariante bevorzugen.
Viel Lob gab es in der Abschlussrunde: Für die Beiträge ebenso wie für die umsichtige Organisation des Museums-Teams, das von der Technik bis zum leiblichen Wohl inklusive Food-Truck mit frischer Pizza die Grundlagen für den zwei Jahre lang schmerzlich vermissten Austausch gelegt hatte. Denn eigentlich ist der Workshop der Stiftung Illustration in Troisdorf längst selbst zum Klassiker geworden, mit jährlichem Relaunch. Wer ihn diesmal verpasst hat, sollte zumindest die Ausstellung „Klassiker neu gemacht“ nicht versäumen.