"Buchhandelsvertreter wie Axel Hundsdörfer werden heute nicht mehr gemacht" Nachruf auf Axel Hundsdörfer

Wir hatten es gemeldet: Am 19. April ist Axel Hundsdörfer gestorben, im 73. Lebensjahr an Herzversagen. Westend Geschäftsführer Andreas Horn erinnert mit seinem Nachruf auf seinen Freund an eine wohl aussterbende Vertreterspecies und an ein Stück Eichborn Verlagsgeschichte:

Buchhandelsvertreter wie Axel Hundsdörfer werden heute nicht mehr gemacht. Ich lernte diesen ganz besonderen Menschen auf meiner allerersten Vertreterkonferenz kennen. Ich war 25 und würde vier Wochen später als Vertriebsassistent bei Eichborn anfangen, sollte aber schon mal reinschnuppern. Eichborn, der legendäre Verlag mit der Fliege, hatte seine Vertreterinnen und Vertreter im April 1986 nach Bad Homburg eingeladen. Axel Hundsdörfer wüsste jetzt nicht nur das genaue Datum, sondern auch sofort mindestens fünf Bücher, die auf der Konferenz vorgestellt wurden. Literarischer Gast des Abends war der mit einem Pedersen-Rad angereiste Henning Boëtius, um aus seinem ersten Roman Schönheit der Verwilderung zu lesen. Neben Vito von Eichborn und meinem Namensvetter Bodo Horn war der komplette Verlag dabei: sieben Personen. Und natürlich die Vertreterinnen und Vertreter: Sie, nicht etwa der Autor, waren die Stars, um die sich zweimal im Jahr alles drehte. Jedenfalls wenn es um die Vorstellung der neuen Programme ging. Und der Star der Stars, der Wortgewaltigste und Belesenste unter all diesen großartigen Buchmenschen war Axel Hundsdörfer.

So eine Vertreterkonferenz war eine ziemlich ritualisierte Angelegenheit, und Axel stand in den 24 von mir moderierten Konferenzen meist im Mittelpunkt der Veranstaltung. Heute denke ich: Vielleicht wurden die Konferenzen sogar nur für ihn abgehalten. Das Ritual ging so: Der Lektor stellt ein neues Buch ausgiebig vor, der Verleger legt nach, die Pressefrau hat schon etwas eingefädelt, der Vertriebsleiter ergänzt noch das eine oder andere Verkaufsargument – und dann warten alle gespannt darauf: Was werden die Vertreter sagen? Was wird Axel sagen? Hat er denn das Manuskript schon gelesen? Natürlich! Er hat immer alles vorab gelesen, was wir ihm schickten. Ist das Buch sprachlich und vom Plot grandios, wenigstens überzeugend oder nur B-Ware? Wichtiger noch! Welche Vergleiche bringt er bezüglich der Qualität des Textes und vor allem der Verkäuflichkeit. Dann werden noch Cover, Ladenpreis und Ausstattung besprochen, für gut oder schlecht befunden. „Ans Cover müsst ihr aber nochmals ran!“ Geht klar! Das Wohl und Wehe eines Buches hing damals stark von den Vertretern ab, von ihrem Engagement, ihrem Verkaufsgeschick. Deshalb war das Urteil des „obersten Richters“ und Meinungsführers der Konferenz so wichtig. Und das kam bei Eichborn über 30 Jahre lang von: Axel Hundsdörfer. 

Der Höhepunkt der Eichborn-Konferenzen: Hans Magnus Enzensberger präsentiert im Plauderton die sechs neuen Bände der Anderen Bibliothek. Anders als beim restlichen Programm bekamen die Vertreter nie vorab etwas zu lesen, ja nicht einmal eine Vorabinformation. Auch all die anderen Regeln waren ausgesetzt. Weder Verleger noch Vertriebler wollten sich einbringen, gar Kritik an der Verkäuflichkeit eines Titels üben. Und wer wagte es, nach Hans Magnus Enzensbergers Vorstellungen der neuen Titel mit einer klugen Frage die ehrfürchtige Stille aufzulösen? Axel. Er ergriff als erster das Wort, gefolgt mit respektvollem Abstand von seinem langjährigen Freund, Kollegen und oft Rivalen in der Debatte Günter „Gü“ Domnick. Beide teilten nicht nur den Beruf des Vertreters, auch die Ausbildungszeit als Buchhändler in Freiburg und später ein gemeinsames Mietshaus. Axel und Gü, beide waren als Untervertreter von Helmi Schmitz zur Vertreterei gekommen, hatten meist dieselben Verlage in der Tasche: vor allem Beltz und Eichborn. Als Untervertreter übergab Helmi Schmitz den beiden ganz Süddeutschland – bis auf München, Stuttgart und Frankfurt, die sie selbst besuchte, um danach schnell wieder nach Griechenland abzureisen. Auf die Konferenzen kamen Axel und Gü dann über viele Jahre gemeinsam und debattierten vor uns als Publikum wie ein Diskurs gestähltes altes Ehepaar.

Als Axel Hundsdörfer in Bergen wohnte, fußläufig zum Konferenzhotel „Zur schönen Aussicht“, richtet er nach dem Auftritt Enzensbergers gern eine Abendveranstaltung in seiner Wohnung aus, und die Buchvorstellungen wurden dann bis in den frühen Morgen unter Hinzunahme einiger alkoholischer Getränke nachbearbeitet. Das ging dann selbst einem Hundsdörfer an die Kondition, sodass es am folgenden Vertriebstag leichter für mich war, den Diskussionswütigen zu zähmen.

Zwischen Konferenz und Reisebeginn fuhren Vertreter damals nicht in Urlaub. Nein, sie fuhren zum Lesen. Auch Axel war in diesen Wochen oft auf Ibiza oder in seinem Haus im Montafon. Nicht wenige Büchermenschen kennen diesen Ort der Lektüren, der angeregten, manchmal konfrontativen, oft berauschten Diskussion und des genussvollen Zusammenseins mit dem Hausherrn – und haben ihn und Sankt Gallenkirch in bleibender Erinnerung. Denn Axel sammelte mit exzessiver Lust nicht nur Bücher, sondern auch Menschen – Autoren, Kritiker, Kollegen,. Unvergessen die Buchmessenabende in seiner ersten kleinen Frankfurter Wohnung in der Rohrbachstrasse, in die er während der Messetage all die einlud, von denen er sich begeistern ließ, beziehungsweise die er für uns aufgabelte, um seine Lust zu teilen. Manches Messefest sah alt aus gegen seine Feten.

Während der Reise erhoben wir wöchentlich die Vormerkzahlen nach Vertretergebieten, und Axel war es Freude und Anreiz, wenn seine Zahlen bei den Titeln, die er für verkaufenswert hielt, die besten waren. Wir telefonierten in den wichtigsten Monaten der Reise an den Wochenenden, um uns über besonders gut funktionierende Verkaufsargumente auszutauschen. Axel war und lebte Eichborn mit Herz und Seele, mit Haut und Haar. Aber auch für seine anderen Verlage hat er ebenso gebrannt. Übrigens ist ihm auch mein jetziger Verlag Westend zu Dank verpflichtet. Bei dessen Gründung vor 18 Jahren entschied er sich spontan, den Verlag zu vertreten – und entschied gleich für alle anderen Eichborn-Vertreter mit, dies ebenfalls zu machen.

Axel Hundsdörfer hatte viele Fans in der Branche, aber seine Urgewalt schreckte auch den einen oder anderen ab. Eine Type wie er fiel nach und nach aus der Zeit, filigran bespielte Warenwirtschaftssysteme und Hundsdörfers immer gut auf Lektüre begründete Verkaufswut passten immer weniger zusammen. So kam es, dass der eine oder andere mich anrief und „diesem Hundsdörfer“ Hausverbot erteilten wollte, weil er Axels hartnäckiges Insistieren auf Qualität und Quantität, die unbedingt und nicht abwehrbar in die besuchte Buchhandlung gehöre, nicht mehr ertragen wollte. 

Für mich war Axel der Idealtyp des Buchhandelsvertreters, ein guter, allzeit hilfsbereiter Kollege und ein nicht immer einfacher Freund. Er war nämlich auch anstrengend mit seinem Enthusiasmus und seinem Sinn fürs Dramatische. Wie ein Berserker las er alles, was ihm vor Augen kam, und, durfte er es nicht verkaufen, musste er es sofort weiterempfehlen. Er sammelte exzessiv Bücher und Büchermenschen, und das Größte war für ihn, wenn es ihm gelang, einen dafür zu akquirieren, die ganze Nacht durchzumachen mit viel Wein, auch Äppelwoi und Mispelchen (der Vitamine wegen!), viel und gut zu essen und über Literatur und Politik und Musik und die Welt (er bereiste sie gerne, zuletzt vor allem Argentinien) zu debattieren. Ihn einen „barocken Menschen“ zu nennen, wäre gnadenlos untertrieben. So trieb er Raubbau am eigenen Körper, aber auch an seinen Beziehungen, denn für uns Normalos ist eine solche Urgewalt oft nur in Dosen aushaltbar. Der Hundsdörfer solle bitte bloß nicht mehr kommen, er würde zu lange den Betrieb aufhalten und den Laden gar nicht mehr verlassen, flehte mich einmal ein Buchhändler an. Ja, Axel Hundsdörfer brauchte Zeit – und nahm sie sich auch –, er schien unendlich viel davon zu haben. Und hat doch am Ende viel zu früh unseren Bücherplaneten verlassen. 

Verdammt, du Hund, du hättest uns doch noch ein paar weitere Jährchen erhalten bleiben und so schön auf die Nerven gehen können!

Dein Andreas Horn

 

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