Am 30. Oktober feierte der Neukirchener Verlag sein 125-jähriges Bestehen. Anlass für Geschäftsführer Christoph Siepermann aus dem Blick zurück auch zu lernen und nach Ideen für morgen zu fragen. In einem ersten Schritt hat er ein neues Rabattmodell für Kalender eingeführt. Wer auf Remissionen verzichtet, bekommt am Ende des Jahres fünf Prozent mehr. Siepermann will seine Ideen zur Diskussion stellen, um sie weiterzuentwickeln. (Hier lesen Sie das vollständige Gespräch, aus dem Leser Auszüge im Aktuellen Interview unseres BuchMarkt-Heftes bereits lesen konnten.)
Buchmarkt.de: Was macht den Erfolg der Neukirchener Verlage aus? Wie konnte das 125 Jahre gut gehen?
Christoph Siepermann: Wir feiern ja ein Dreifach-Jubiläum: 125 Jahre Neukirchener Buchhandlung, 125 Jahre Neukirchener Kalender und damit auch 125 Jahre Verlagsgesellschaft. Alles begann 1888 mit der Verlagsbuchhandlung, die vom Neukirchener Erziehungsverein, der diakonischen Einrichtung, die den Kalender von Anfang an herausgab, gegründet wurde. Damals hieß der Neukirchener Kalender noch „Der christliche Hausfreund“. Er ist bis heute das Kontinuum und die Substanz im Verlag. Vielleicht ging das gut, weil sich der Verlag aus einer Buchhandlung heraus gegründet hat und man durch das diakonische Werk, dem Neukirchener Erziehungsverein, nah an den Bedürfnissen der Menschen war.
Wie hoch ist die Auflage des Kalenders heute?
Heute liefern wir pro Jahr um die 220.000 Stück in den verschiedensten Ausführungen aus. Die höchste Auflage hatte der Kalender 1942 mit 1,5 Mio. Es ist bezeichnend, dass dieser Erfolg mitten im Krieg möglich wurde.
Warum ist das bezeichnend?
In den Kriegsjahren war der Niederrhein stark vom Nationalsozialismus geprägt und die Kalender-Redaktion sollte von den Deutschen Christen (nationalsozialistisch orientierte Christen, Anm. d. Red.) übernommen werden. Die Muttergesellschaft, der Erziehungsverein, hat sich dem aber verweigert. Das war exakt 1942, im Jahr unserer höchsten Auflage. Der Kalender war für viele ein Anker im Widerstand. Danach wurde die Herausgabe des Kalenders verboten.
War das der Grund, warum der Verlag nach dem Krieg durchstarten konnte?
Schon vorher hatte der Kalender ja einen großen Erfolg. Bereits 1925 hatte seine Auflage die Millionen-Grenze überschritten. Um 1900 hatte der kleine Kalenderverlag den Mut, die Auslegung der Schrift von Calvin in 14 Bänden auf den Markt zu bringen. Ein Mut, den ich bis heute bewundere. Am Ende konnte die Herausforderung bewältigt werden. Es war die Grundlage für die theologische Seite des reformiert geprägten Verlages.
Aber wie konnte sich das durchtragen?
Das Erleben, während der Nazi-Zeit so stark unter Druck zu stehen, hat nach dem Krieg zum Wunsch geführt, ein theologisches Fundament zu legen. Es war eine Triebfeder zur Ausweitung des Wissenschaftlichen Verlagsprogramms. 1955 entstand der Biblische Kommentar zum Alten Testament, der bis heute nicht abgeschlossen ist (lacht). 40 Titel sind erschienen, weitere 20 sind in Planung und die Neubearbeitung der früheren Bände ist beauftragt. Das ist eine Mammut-Aufgabe.
Das bringt Renommee, aber keine Auflage.
Es gab von Anfang an aber auch neben dem wissenschaftlichen Programm die damals so bezeichnete erbauliche Literatur. Und was bis heute kaum einer weiß: Das Neukirchener Verlagsunternehmen hatte immer noch ein zweites Standbein, die Christliche Verlagsanstalt Konstanz. Darin erschien die Kinderbibel von Anne de Vries, die ab den 60er Jahren enorm erfolgreich wurde. Dort erscheint auch der Kalender „momento“ früher „Konstanzer Kalender“. Den haben wir im Markt bewusst als Konkurrenz zum Neukirchener Kalender antreten lassen. 1983 wurden die Verlage dann zusammengelegt. Jeder Bereich hat also seine Top-Autoren: Die Christliche Verlagsanstalt hatte die de Vries-Kinderbibel und Elliot Lawrence mit seinem Buch „Der Mann, der überlebte“ und bei Aussat ist es Pastor Wilhelm Busch aus Essen, der inzwischen eine Gesamtauflage von über 3 Millionen verkauften Büchern erreichthat. Außerdem feiern wir in diesem Jahr auch das 25. Jubiläum der Neukirchener Kinderbibel. Das sind bis heute unsere Perlen. Zum Jubiläum haben wir einige Titel in einer Sonderauflage zum Sonderpreis neu herausgebracht.
Das heißt, für den Erfolg braucht es ein ideelles Fundament?
In einem Gespräch sagte kürzlich ein Autor einmal: „Ihr seid ein Verlag an der Schnittstelle zwischen Glaubenspraxis und Lehre.“ Ich denke, besser kann man unser Alleinstellungsmerkmal nicht beschreiben. Immer mehr Verlage reduzieren ihren wissenschaftlichen Bereich oder bauen den glaubensbezogenen Programmteil ab. Als kleines Verlagsunternehmen mit seinen 20 Mitarbeitern nehmen wir das auch für die Zukunft sehr ernst und als unsere Position an.
Ist das die Botschaft an andere Verlage?
Ich will anderen nicht sagen, wie sie ihr Geschäft zu machen haben. Aber wir haben erfahren: Als Verlag braucht man ein nachhaltiges Fundament. (habe ich erfunden) Wir sind bewusst kein Verlag, der mit Nonbooks Umsatz machen will. Wir wollen bewusst wortorientert sein und Leser zu kritischem Denken ermutigen.
Und wie geht das?
Wir schauen uns an, wo die Menschen im Leben stehen. Und welche Fragen sie beschäftigen. Das wird deutlich an unserem Buch “Wie im richtigen Leben“ von Bettina von Clausewitz zum Thema Ehe und Lebensgemeinschaften. Zum Leben heute gehören Patchwork-Familien, Alleinerziehende, aber auch gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften. Das Thema hat ja auch gerade die Gemüter in der Evangelischen Kirche erhitzt. Wir bekommen viel Kritik wegen des Buches aber auch viel positive s Feedback, und vor allem kommen wir in die Öffentlichkeit. Das ist für manche vielleicht provozierend, aber wir zeigen: Evangelische Christen haben eine Bandbreite an Lebensentwürfen zu bieten.
Aber ganz ohne Nonbooks geht es auch bei Ihnen nicht.
Sie meinen die Memo-Spiele und Talk- Boxen. Auch die transportieren Inhalte und sind eigentlich nur eine andere Methode, Menschen über Lebensthemen miteinander ins Gespräch zu bringen. Und damit sind wir unserem Programmauftrag treu. Wir haben noch einige Ideen auf Lager, wie man Inhalte über andere Formen transportieren kann. Damit werden wir diesen Bereich weiter ausbauen.
Nun haben Sie im Jubiläumsjahr einen neuen Schritt gewagt und mit Majowski erstmals auch das Segment der Prominenten bedient.
Ja, seine Autobiografie ist unser erstes Promibuch. Entsprechend groß waren und sind unsere Erwartungen. Die wurden bisher noch nicht ganz erfüllt, wenngleich das Buch sich wirklich gut verkauft hat. Und Majowski ist bereit für eine echte Ochsentour, er ist gerade gestartet zu einer Lesereise an 23 Orten. Bei diesen Lesungen wird er sehr persönlich hinterfragt, was er aber liebt und dann absolut authentisch über seinen Glauben reden kann.. Wie viele Gläubige hat auch er ein Problem mit der verfassten Kirche, aber er hat das Gebet als Kraftquelle und die Bibel als Lektüre entdeckt, um Halt und Struktur zu finden. Und damit kommt er auch überzeugend bei den verschiedenen christlichen Buchhändlern an. Für uns war es eine gute Erfahrung, dass er auf uns zugekommen ist. Er wollte nicht nur wegen seines Promi-Bonus genommen werden, sondern er hat einen Verlag mit Nachhaltigkeit gesucht.
Nachhaltigkeit ist ja nicht, das, was sich verkauft…
Wieso nicht? Vielleicht ist es der Luxus eines kleinen Verlages. Aber wir haben gelernt, einen langen Atem zu haben. Wir streben einen guten Mix von Neuerscheinungen und Longsellern aus der Backlist an und bisher ist uns das auch gelungenWir starten mit kleinen Auflagen und schauen dann, wie die Titel ankommen. Zum Glück erlauben die heutigen Drucktechniken das ja. Lieber nachdrucken, aber lange und erfolgreich präsent halten, ist unsere Devise.
Ist das Ihr Zukunftskonzept?
Unser Zukunftskonzept ist: Wir wollen uns treu bleiben an der Schnittstelle zwischen Glaube und Lehre, Kirchengemeinde und Uni. Das macht uns attraktiv für Autoren und Leser, die damit eine Garantie bekommen. Wir wollen unsere traditionelle Leserschaft stärker bedienen, die umsatzstärksten Titel noch mal flankieren, um dort zuzulegen. Gleichzeitig wollen wir auch das Segment der jüngeren Zielgruppe mit dem Kalendern„vergissmeinnicht“ und den Talk-Boxen ausbauen.
Hand aufs Herz: Trägt sich das Programm selbst oder muss der Erziehungsverein zuschießen?
Die Neukirchener Verlagsgesellschaft ist eine GmbH, die ihre eigene Bilanz vorlegen muss. Als ich 2008 zum Verlagsleiter berufen wurde, haben wir in einem CI-Prozess die Produkte drei Verlagsprogrammen zugeordnet und die Abläufe dahinter vereinheitlicht. Der Verlag trägt sich selbst, allerdings waren in den letzten Jahren Einschnitte nötig, wie der Verkauf der Buchhandlungen.
Wie finden Ihre Produkte in den Buchhandel?
Der Zugang zu den Ketten ist sehr schwer. Ich bedauere es, dass die Vielfalt nicht genutzt wird, sondern die Sortimente immer stromlinienförmiger werden. Wir unterstützen gerne jede Buchhandlungen unterstützen und machen jede Kooperation mitmachen: Aber wir brauchen auch neue Ideen und Initiativen in der Branche. So wie einer meiner Vorgänger, der 1929 mit der höchsten Inflation zu kämpfen hatte. Weil sich die Preise jeden Tag änderten, kaufte kein Buchhändler mehr ein, weil er ja nicht wusste, zu welchem Preis später geliefert wurde. Für den Verlag war das existenzbedrohend , der Kalender war nicht mehr zu kalkulieren. Damals hat Johannes Meyer-Stoll mit einer ganzseitigen Anzeige im Börsenblatt bekannt gegeben, dass ab sofort das Datum der Bestellung den Preis der Lieferung bestimmt. Damit hat er sich von der üblichen Praxis abgewandt. Da haben dann sofort viele Buchhandlungen bestellt. Sie mussten zwar sofort ihre Rechnung begleichen, aber der Preis war garantiert. Der Verlag konnte Papier und Druck bezahlen , der Kalender war gerettet. Vielleicht müssen wir heute ähnlich ideenreich und risikobereiter werden.
Haben Sie etwas Konkretes im Blick?
Mit Beginn des Jahres haben wir unser Konditionmodell für Kalender noch einmal vereinfacht und ein neues odell eingeführt: Buchhändler, die von Vertretern betreut werden, erhalten generell 40 Prozent Rabatt mit vollem Remissionsrecht. Wir gewähren aber allen Buchhandlungen, die auf das Remissionsrecht verzichten, noch einmal fünf Prozent Bonus im Nachhinein. Aus unserer Sicht ist die Remissionswut nicht wirtschaftlich. Die Idee ist aus Gesprächen mit einem Buchhändler entstanden. Er hatte angefragt, ob er nicht mehr Rabatt bekommen kann, wenn er nicht remittiert. Die Anregung haben wir aufgenommen. Außerdem möchten wir honorieren, wenn jemand gut einkauft und aber aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen auf Remissionen verzichtet. Gut finde ich an diesem Modell, dass alle Buchhandlungen erst einmal gleich behandelt werden, betriebswirtschaftliches Handeln dann aber honoriert wird. Aber der Impuls muss von der Buchhandlung kommen, dann schreiben wir die Gutschrift.
Spannende Idee, aber ist das nicht noch ein Rabattmodell mehr? So viele verschiedene kann sich doch keiner merken?
Wir möchten damit ein Signal setzen. Und wir sollten endlich aufhören in Rabatten zu denken, sondern in Margen. Wenn ich als Buchhändler Kalender im Wert von 300 € einkaufe kann ich auch zum Barsortiment gehen. Aber wenn ich mit einem Verlag richtig Umsatz mache, kann ich mir auch die Konditionen merken.
Die Fragen stellte Matthias Koeffler