Jack Ketchum

Jack Ketchum (© Claudio Sforza)

Der Thriller-Autor Jack Ketchum ist im Alter von 71 Jahren gestorben. Dies teilt uns eben Heyne Hardcore-Verleger Markus Naegele mit. Mit den folgenden Zeilen erinnert er an den „Lemmy der Horrorliteratur“:

Menschen kommen, Menschen gehen. Jeder einzelne Verlust tut weh, doch mancher ganz besonders. Und so hat mich gestern Abend die Nachricht der amerikanischen Literaturagentin Alice Martell schwer getroffen, als sie ihre Email mit den Worten einleitete: „Please forgive the mass email, but I’m not sure how to do this . I’m writing with the intensely sad news that Dallas Mayr has died.“ Dallas Mayr war der bürgerliche Name von Jack Ketchum, der als Horrorautor weltberühmt wurde. Stephen King bezeichnete ihn als „furchteinflößendsten Autor Amerikas“. Mehrfach zollte er Ketchum seinen Respekt, der nie das Massenpublikum des Großmeisters erreichte, von seinen Fans aber innig geliebt wurde. Und so war es auch eine Rede von King im Jahr 2003 bei den National Book Awards, die uns auf Ketchum aufmerksam machte. Daraufhin recherchierten wir sein Werk und entschieden uns, für das damals frisch gegründete Heyne-Hardcore-Label die deutschsprachigen Rechte an mehreren seiner Titel zu erwerben. Wie konnte ein solch brillanter Autor all die Jahre unentdeckt bleiben?

1946 in Livingston, New Jersey, geboren, war Mayr ein Kind der Sechziger, der Flower-Power-Ära. Er verdingte sich als Schauspieler, Sänger, Lehrer, Holzverkäufer, bevor er eher durch Zufall Literaturagent wurde und als solcher die letzten Jahre von Henry Miller (neben seinem Mentor Robert Bloch eines seiner großen Vorbilder) begleitete. In der Kurzgeschichte „Henry Miller und der Schubs“ (im Storyband Buch der Seelen als Ebook erhältlich) schreibt er über diese Episode in seinem Leben. Einmal von der Literatur infiziert, schrieb er Stories und kurze Geschichten, die seinerzeit in Rock- und Herrenmagazinen abgedruckt wurden. 1979 erschien schließlich sein Debütroman Off Season (deutsch: Jagdzeit), ein beinharter Kannibalenroman, in dem aber bereits das große Talent von Ketchum zum Vorschein kam. Seine Romane waren immer Gesellschaftsromane, ein Abbild unserer Zivilisation mit all ihrem Elend und Leid. Bei ihm ging es stets darum, das Böse im Menschen zu erforschen. Und das tat er mit einer bildlichen Schärfe und stilistischen Brillanz wie kein Zweiter, weshalb wir ihn auch immer als literarischen Autor sahen und sehen. In den USA galt Horror zur damaligen Zeit als Trash, entsprechend sahen die Buchcover aus. Dem amerikanischen Verlag war Off Season zu explizit, so dass das Buch stark eingekürzt und zensiert wurde, worüber Ketchum wenig erfreut war, woraufhin sich die Wege trennten. Fortan veröffentlichte er abseits des Mainstream bei kleineren Spezialverlagen. Dies mag einer der Gründe dafür sein, weshalb Ketchum erst 2006 mit Evil sein deutsches Debüt feierte. Der Roman (im Original The Girl Next Door) gilt unter den Fans heute als einer der absoluten Klassiker des Psycho-Horrors und wurde in Deutschland bis dato weit über 50.000 Mal verkauft. Und wie es der deutsche Titel bereits andeutet, hier geht es wirklich um das Böse. Und das Böse befindet sich mitten unter uns, mitten im Reihenhaus nebenan. Dort werden zwei Mädchen von ihrer Tante und deren Söhnen gefangen gehalten und misshandelt. Das Ganze hat sich Ketchum aber nicht effekthascherisch ausgedacht; der Roman basiert auf wahren Begebenheiten und ist ein schwer erträgliches, aber unglaublich präzise geschriebenes Meisterwerk des Grauens.

Dreizehn Romane sind bis heute bei Heyne Hardcore erschienen, zuletzt 2016 der Roman Scar, in dem es um den Schönheitswahn junger Frauen und den Ehrgeiz ihrer Eltern geht.

Doch so sehr wir als Verlag weitere Bücher von ihm vermissen werden, so schmerzt uns vor allem, dass der Mensch Dallas Mayr nicht mehr unter uns ist. Wir haben ihn mehrfach getroffen, in Deutschland, wo er einige Male bei der Horror Convention zu Gast war und auch im Verlag vorbeikam, und dann in seiner Heimat New York, wo er seit Jahrzehnten in der Lower East Side in einer kleinen Wohnung lebte, zuletzt mit seiner Katze Zoey. Er war ein ungemein charismatischer Erzähler, der die Menschen mit seinem Lachen und seiner Herzlichkeit sofort für sich einnahm. Als ich vor einigen Jahren einige Wochen bei Random House in New York arbeitete, lud er mich regelmäßig in seine Stammkneipe ein, wo er sich jeden Tag mit einer Clique Künstler und Outlaws zur Happy Hour traf, einen Happen und einige Drinks zu sich nahm und dann beseelt nach Hause ging. Er stellt mich der Reihe nach seinem ganzen Freundeskreis vor und innerhalb weniger Stunden fühlte ich mich als Teil dieser verschworenen Gemeinschaft.

Und auch als unser damaliger Junglektor Kristof Kurz einmal in New York weilte, wurde er von Mayr bekocht und an die Hand genommen. Nachdem ich erfahren hatte, dass er zeitweise als Babysitter auf Lady Gaga aufgepasst hatte (beide Väter waren befreundet), organisierte er für meine Töchter Autogramme (typischerweise auf den Titelseiten seiner deutschen Bücher). So war er, Dallas Mayr. Ein großer Autor, ein großer Mensch. Für mich ist er der Lemmy der Horrorliteratur, er wird lange nachwirken.

Dallas Mayr ist gestern im Alter von 71 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben.

Abschließend noch letzte Abschiedsworte seiner Agentin: „I will always think of Dallas‘ telephone greeting to me, which raised my spirits every time I heard it and will raise my spirits going forward when I think of him – ‚Hello, Darlin'“.

Markus Naegele, Verlagsleiter Heyne Hardcore

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