Das Sonntagsgespräch Prof. Christian Uhlig: Warum die Zeit im Buchhandel nie lang war

Prof. em. Dr. rer. pol. Christian Uhlig, der Autor des Lehrbuches „Der Sortimentsbuchhandel“, (20. Auflage), wird am 20. September achtzig Jahre alt. Das war Anlass für Fragen von Christian von Zittwitz an den damaligen Gründungsprofessor des Studiengangs Buchhandel und Verlagswirtschaft Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig.

Herr Professor Uhlig, Sie wirken so, als hätte Ihnen Ihr Berufsleben Spaß gemacht.

Christian Uhlig

Christian Uhlig: Ja, das stimmt. in achtzig Jahren habe ich viel erlebt: Es gab immer wieder neue Lebensstationen und neue Lebens- und Lernplätze von meinem Geburtsort Leipzig über Düsseldorf, Hamburg, New York, Nancy, Bochum, Antananarivo/Madagaskar und dann wieder Leipzig und jetzt wieder Bochum.

Das hört sich spannend an.

So ist es. Es war manchmal schwierig und fordernd, etwa das Sich-Zurechtfinden im Beruf und seinem Umfeld oder sich in fremden Ländern und Kulturen im Verhalten, in Sprache und Verhandlungsformen anpassen zu müssen. Aber es war immer wieder interessant und bereichernd.

Ihr Blick zurück…

….zeigt mir aber: Trotz Krieg und Nachkrieg hatte ich eine glückliche Kindheit in Leipzig. Der Ernst des Lebens zeigte sich erst nach 1945. Um zum Überleben der Familie beizutragen, musste ich nicht nur Hamstern gehen, sondern auch meinem Vater beim Briefe- und Rechnungen-Schreiben, beim Pakete-Packen und -Versenden helfen. Das war meine erste Einführung in das Buchhandels- und Kunstgewerbe-Geschäft. Ich wusste also bald, was eine Faktur, eine Remission oder der Börsenverein ist.

Was haben Sie damals gelesen?
Das damals Typische: Heldensagen, „Kampf um Rom“, Karl May oder Robinson, Reisebücher wie „Die Donau“, im Krieg „Bomben auf Engelland“, nach dem Krieg KuBa, auch Ilja Ehrenburg. In der Schule lasen wir das Nibelungenlied, Brecht, Gorki und vor allem Thomas Mann, in Latein Vergil, in Griechisch Homer und Sophokles’ „Antigone“, in Englisch irgendeinen Tauchnitz-Band, in Russisch Gorki. Heute kann ich allerdings nur noch die griechisch oder kyrillisch geschriebenen Busaufschriften in Athen oder Moskau lesen.

Dann sind wir schon zwei, wobei ich Russisch nur ein halbes Jahr eher halbherzig versucht habe…

… ja, das ist es eben, das erzwungene Lernen der Sprache im damaligen politischen Umfeld Ostdeutschlands hatte eher negative Effekte, an sich eine kulturelle Katastrophe! Der sprachliche Kontakt zu unserem großen östlichen Nachbarn (mit knapp 150 Mio. Menschen) ist heute wieder minimalisiert – aber was wären wir denn ohne die große russische Literatur?

Sie aber ließen Leipzig hinter sich…

… ich habe ab 1950 mit Freude meine Ausbildung zum Sortimentsbuchhändler in Düsseldorf bei der Schrobsdorff’schen Buchhandlung ( Dr. Mayer und Frau) gemacht. Dr. Mayer – der bekannte Thomas-Mann-Forscher – hatte damals meiner Mutter, die extra aus Leipzig über die „grüne Grenze“ gekommen war, um eine Lehrstelle zu finden, ihr diese zugesagt, ohne mich zu kennen und das mit der Bemerkung: den Sohn von Dr. Friedrich Uhlig kann man blind nehmen. Meinen Eltern und Dr. Mayer bin ich bis heute sehr dankbar. 1952 kam die Buchhandlungsgehilfenprüfung an der Buchhändlerschule in Köln mit dem gefürchteten Prüfer Herrn Gonski. Schön waren die Jahre von 1953-55 in Hamburg im Rowohlt-Verlag, mit den legendären Ernst Rowohlt und Heinrich-Maria Ledig-Rowohlt. Vielen dort verkehrenden Schriftstellern wie Polgar, Mehring, Kusenberg, Ceram, dem „Maghebinier“ v. Rezzori, dem französischen Karikaturisten Jean Effel, Rühmkorf, Klaus Röhl konnte ich begegnen, und ich lernte die neue amerikanische Literatur mit Hemingway, Thomas Wolfe, Faulkner und Steinbeck, aber auch die deutsche mit Tucholsky und vor allem Robert Musil kennen.

Sie haben dann studiert, was?

Ja. Ernst Rowohlt erhöhte zwar mein Gehalt auf 250 Mark mit der Bemerkung „Sonnabend ist frei“ – allerdings bei einer 45-Stunden-Woche! Das war keine Alternative. So studierte ich Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre, Sozialwissenschaft und Recht in Hamburg (zu Weihnachten wurde bei Schrobsdorff gejobt.) Mittendrin kam ein Sprung über den Großen Teich nach New York als Buchhändler/Trainee und Nachfolger von Jürgen Könnecke in der sagenumwobenen Kunstbuchhandlung Wittenborn (1957/58). Ach, die Stadt, die Buchhandlung und George Wittenborn – das war einfach fabelhaft. Nach der Prüfung zum Diplom-Volkswirt in Hamburg, studierte ich ein Jahr am Centre Européen der Universität Nancy/Frankreich. Ab 1960 war ich Wissenschaftlicher Assistent von Prof. Dr. Karl Schiller am Institut für Außenhandel und Überseewirtschaft der Universität Hamburg. Dort habe ich 1965 promoviert.

Aber der Kontakt zum Buchhandel riss nicht ab…

… nein. Dem Buchhandel war ich durch Mitarbeit im Institut für Buchmarktforschung in Hamburg (mit Dr. Wolfgang Strauß, Dr. Peter Meyer-Dohm und Franz Hinze) weiter verbunden. Ich habe über den amerikanischen Buchmarkt gearbeitet sowie Übersetzungen veröffentlicht.

Wie kam es zu Ihren vielen anderen Auslandsaufenthalten?

Durch mein Interesse und die Vorliebe für Wirtschafts- und Entwicklungspolitik. Auf Entwicklungsländer habe ich mich auch nach meinem Wechsel an die Ruhr-Universität Bochum in der Forschung spezialisiert. Das war mit verschiedenen Forschungsaufenthalten in Afrika verbunden und gipfelte schließlich in einem drei-einhalbjährigen Aufenthalt in Madagaskar als Repräsentant und Projektleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung (1970-74).

Was war dort die besondere Aufgabe?

Neben der Betreuung von Sozial- und Bildungsprojekten die Realisierung einer Schulbuchdruckerei mit entsprechendem Verlag. Also blieb ich im Fach! Nach meiner Rückkehr nach Bochum galt ich nun u.a. als Spezialist für Fragen von Schulbuchdruckereien und -verlagen. So habe ich verschiedene Projekte in Indien, Somalia, Benin, Ruanda und der VR China begutachtet und beraten, eine interessante Sache.

Sie waren 1992 als Gründungsprofessor für den Aufbau des Studiengangs Buchhandel/Verlagswirtschaft an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) zuständig.

Dieser Ruf nach Leipzig zählt zu den schönsten Erfahrungen in meinem Leben. Für mich schloss sich sozusagen ein Lebenskreis – von Leipzig nach Leipzig. Die Tätigkeit dort war kein Kinderspiel und mit viel Arbeit, Geduld und Diplomatie verbunden, später dann auch voll in der Lehre. Aber gestützt auf eine großartige, kompetente Kollegenschaft und tolle Studierende mit Interesse, ja Liebe zum Buchhandel ist da etwas nachhaltig Bleibendes entstanden. Wie praktisch die Ausbildung ist, zeigt sich daran, dass wir eine auch technisch voll ausgerüstete Lehrbuchhandlung „BuMerang“ gründen konnten. Aus einer studentischen Initiative entstand die „Leipziger Lerche“, die 35. Nummer erscheint zur Herbstbuchmesse 2011. Es ist zu einem „Fachblatt mit jungem Blick“ geworden. Man kann konstatieren: Leipzig ist – zusammen mit anderen Bildungsprojekten – als buchhändlerische Ausbildungsstadt wieder da.

Eng verbunden ist Ihr Name mit dem „Sortimentslehrling“…

… na, eher der meines Vaters. Aber nach seinem Tod habe ich schon 1978 die 18. Auflage als „Der Sortiments-Buchhändler“ bearbeitet und herausgegeben. 2008 erschien dann das von mir völlig neu bearbeitete und gestaltete Lehrbuch als „Christian Uhlig, Der Sortimentsbuchhandel“ wie bisher im Verlag Dr. Ernst Hauswedell in Stuttgart. Diese Arbeit habe ich mit Freude gemacht, konnte ich doch viele meiner Erfahrungen als Buchhändler und Dozent für Buchhandelsbetriebslehre einbringen.

Was machen Sie jetzt?

Ich wohne wieder in Bochum, pflege Haus und Hof (und mich). Dazu führe ich ehrenamtlich die Geschäfte von mehreren Vereinen, die sich mit der Förderung ausländischer Studierender, der Wohnumfeldplanung, sozialen Projekten und weltweiten Nothilfeprojekten sowie der Förderung einer Stadtteilbibliothek beschäftigen. Ich verfolge das Geschehen im Buchhandel, besonders auf den Buchmessen. Da ist man gut ausgelastet.

Und wie denken Sie über die Buchwelt heute?

Die Buchwelt befindet sich im Umbruch – wie schon immer. Neue Informationsformen im Mediengeschäft erfordern bei allen Beteiligten Anpassungsfähigkeit. Neue Ideen sind gefragt, aber keine Panik: das „Prinzip Buch“ bleibt.

Ihre Argumente für diese These?

Auch das E-Book ist ein Buch, nur in anderer Erscheinungsform, fast ebenso ist es beim Hörbuch. Die neuen Angebotsformen machen dem gedruckten Buch sicher Konkurrenz. Aber es wird wegen seiner Griffigkeit, seiner Stapel- bzw. Sammelfähigkeit über die Zeit in öffentlichen und privaten Bibliotheken wie auch wegen der Möglichkeit, durch seine Erscheinungsform (Layout, Ausstattung, die haptischen Gefühle) anzuregen, weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Die Verfügbarkeit für den Kunden wird durch die verbesserten Möglichkeiten der elektronischen Titelsuche und Bestellung schneller und damit individuell besser. Wichtig erscheint mir, dass die Verlage weiterhin mit Layout und Ausstattung des Buches das „Gestaltgefühl“ der Kunden besonders ansprechen. Das Sortiment muss durch vertieften Service nicht nur für das „gute Buch“, sondern für alle Veröffentlichungsformen – eben auch die elektronischen – ständig Aktualität und Kompetenz zeigen.

Der E-Reader ist also keine Konkurrenz?

Doch. Es ist schon verführerisch, wenn man mehrere tausend Titel über einen Apparat abrufen kann. Manche Leser begeistert das, aber die Mehrheit? Für wissenschaftliche Texte mag die schnelle und abgegrenzte Vermittlung angepasst sein, aber ist das beim Lehrbuch auch so?
Ändern wird sich das Leseverhalten sowohl in Form als auch Inhalt. Nicht nur der Aufstieg von iPad & Co., sondern auch das Aufkommen von neuen, anderen Leserschichten und Inhalten steht zur Debatte. Das Lesen muss differenziert, besonders mit Bezug auf ein Buch, geübt werden. Aber Sprach- und Lesetraining ist nicht alles. Wichtig ist auch, sich um die sprach- und buchfernen Schichten mit Immigrationshintergrund zu kümmern. Die sind kaum mit Schiller, Goethe oder Thomas Mann zu erschließen. Vielmehr müssen sich Sortimenter-Buchverkäufer mehr in fremde Kulturen eindenken, sich Wissen über dortige Literaturen und Modetrends aneignen, um kompetent beraten und dadurch diese „fremden“ Kunden über die Ladenschwelle locken zu können. Das ist nicht nur ein wichtiger Beitrag zur Integration, sondern eröffnet vor allem ein neues interessantes Geschäftspotential.

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