Guido Knopp über sein Buch: „Putins Helfer – Die Hintermänner der russischen Diktatur“ (Quadriga) „Putin ist das Synonym für einen Mann, in dem sich allzu viele allzu lange getäuscht haben“

Guido Knopp: „Korruption ist in der russischen Gesellschaft allgegenwärtig: die allgemeine Bereitschaft, sich auf allen Ebenen des Lebens korrumpieren zu lassen.“ (c) privat

Mit seinem neuen Buch „Putins Helfer – Die Hintermänner der russischen Diktatur“ (Quadriga) legt der vielfache Bestsellerautor Guido Knopp ein aktuelles Werk vor, in dem er Russland anhand seiner mächtigsten und geheimnisvollsten Protagonisten erklärt. Einmal mehr steigt er kommende Woche damit in die Spiegel-Bestsellerlist ein. Bei BuchMarkt erzählt er seine Sicht auf das System Putin.

Herr Knopp, „Putins Helfer“, das erinnert an Ihre Bestseller unter dem Titel „Hitlers Helfer“. Rücken Sie damit Putin nicht in die Nähe eines Diktators?

Guido Knopp: Putin rückt sich selber hin. Es war ein langer Weg von jenem „lupenreinen Demokraten“, als den ihn sein Freund Gerhard Schröder einmal pries, zum Diktator dieser Jahre. Putin ist das Synonym für einen Mann, in dem sich allzu viele allzu lange getäuscht haben. Ein Tyrann, der seine wahre
Botschaft erst am Ende offenbart hat: Krieg, Gewalt und Terror. Und dennoch: Präsident Selenskyi hat Putin unlängst mit Hitler verglichen. Das stimmt insofern, als Putin ohne Kriegserklärung in die Ukraine eingefallen ist. Das ist schon vergleichbar mit Hitlers Überfall auf Polen. Und auch wenn Putin nicht nur dadurch Hundertausende von Menschen auf dem Gewissen hat – es ist doch noch mal ein Unterschied zu jenem Hitler, der Urheber des Holocaust gewesen ist.

Wie groß ist Ihrer Meinung nach der Anteil der Paladine am Wesen von Putins Regime?

Putins Paladine sind die Träger und Garanten seiner Herrschaft. Sie halten ihren Herrscher an der Macht und profitieren allesamt von ihm. Als schwerreiche Millionäre und zum Teil auch Milliardäre sind sie Träger einer Kleptokratie, die die russische Gesellschaft zerfrisst. Sie haben völlig
unterschiedliche Funktionen: Oligarchen wie Abramowitsch sind für die Finanzen zuständig; routinierte Jasager wie Sergej Lawrow sind auf internationaler Ebene die willfährigen Sprachrohre des Herrschers – und ein Patriarch wie Kyril l., Oberhaupt der Orthodoxen Kirche, ist gleichsam der
insgeheime Chefideologe des Putin‘schen Systems. Auf seiner strikt konservativen Weltsicht beruht das Weltverständnis Putins.

Ist der Kreml-Herrscher nur von Kriegstreibern umgeben? Oder gibt es auch eine Art gemäßigte Fraktion?

Keiner jener Paladine wagt es momentan, gegen den Diktator aufzumucken. Was ihm dann geschehen würde, hat man ja am Schicksal von Prigoschin gesehen. Dessen legendärer Marsch auf Moskau war ja kein versuchter Putsch. Er wollte sich dem Herrscher gleichsam nur, von Mann zu Mann, zu Füßen werfen, um von ihm Vergebung zu erlangen. Die hat er nicht bekommen. Und was ihm dann geschah, das wissen wir.

Sie waren häufig in Russland und haben selbst viele russische Freunde. Ist Ihr Eindruck, dass das russische Volk hinter Putin steht?

Es herrscht in Russland eine Art von Friedhofsruhe. Die Opposition ist ins Ausland emigriert oder in der inneren Emigration. Oder sie sitzt im Gefängnis wie der arme Nawalny. Die russische Bevölkerung erhält ja keine echten Nachrichten, sondern wird tagtäglich von üblen Propagandisten wie Wladimir Solowjow beschallt, den ich in meinem Buch ja auch porträtiert habe. Trotzdem hat es letzthin eine Online-Umfrage ergeben, dass 80 Prozent der Befragten bei den nächsten Wahlen einen Präsidenten ablehnen, der älter als 70 Jahre sei. Das spricht gegen den 71jährigen Putin.
Andererseits berichtet ein anderes Institut von 82 Prozent Zustimmung für Putin. Auch wenn man gegenüber Meinungsumfragen in einer Diktatur skeptisch sein muss, so entspricht das doch dem momentanen Stimmungsbild in Russland. Und das bestätigen auch meine Gesprächspartner.

Putin gibt sich ja als bescheidener Mann. Dabei umgibt er sich mit Männern, die in seinem Dunstkreis fantastisch reich werden. Auch hier drängt sich ein Vergleich mit dem „Dritten Reich“ auf. Ist Putin der, für den er sich gibt?

Korruption ist in der russischen Gesellschaft allgegenwärtig: die allgemeine Bereitschaft, sich auf allen Ebenen des Lebens korrumpieren zu lassen. Das beginnt bei den Schwestern in den Krankenhäusern, die nur für persönliche Zuwendungen bereit sind, ihre Pflicht zu tun, und endet bei
den Ärzten, die etwa vor Operationen ihre Patienten noch einmal privat zur Kasse bitten. Und auf den obersten Sprossen der Leiter gehen die entsprechenden Beträge dann leicht in die Millionen, mitunter gar in die Milliarden. Patriarch Kyrill, der lange Zeit den zollfreien Import von Alkohol und Zigaretten leitete, hat ein Privatvermögen von etwa 8 Milliarden Euro nebst einer Reihe von Palästen, einer Jacht und einer Maybach-Luxuslimousine. Und sein Präsident verfügt nach neuesten Schätzungen über ein Vermögen von rund 200 Milliarden Euro. Korruption ist die ewig blutende Wunde der russischen Gesellschaft. Von ganz unten bis ganz oben.

Sie sind Historiker. Wenn Sie sich einen Eintrag im Geschichtsbuch überlegen müssten, den Putin selbst gerne über seine Rolle in der Weltgeschichte läse, wie würde der aussehen?

Putin nannte ja einmal den Untergang der alten Sowjetunion die „größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Und daran gibt er seinem Vorvorgänger Gorbatschow eine gehörige Mitschuld. Die Staaten im Kaukasus, die asiatischen Republiken, von Kasachstan bis Usbekistan,
sind weg, das weiß er. Aber was er will und was sein Wunschtraum ist, das ist die Wiedervereinigung der slawischen Staaten mit Russland, also Belarus und vor allem die Ukraine. Und deshalb ist er dort auch eingefallen. Putin träumt von einem neuen großrussischen Reich.

Müssen wir Angst vor Putin haben?

Angst ist ein schlechter Ratgeber. Die jahrzehntelang gehegte Hoffnung, dass sich Russland wandeln würde – Wandel durch Handel, durch wirtschaftlichen, kulturellen Austausch, ist zerstoben. Also müssen wir nun die kaputtgesparte Bundeswehr ertüchtigen, die Ukraine unterstützen und dem großen Land im Osten zeigen: Nein, so geht es nicht. Aber Putin ist nicht Russland. Es wird auch eine Zeit nach Putin geben. Dafür müssen wir gerüstet sein – in jedem Sinne.

 

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