Am Dienstag, 11. Februar, stellte der Publizist Roger de Weck im Gespräch mit der Medienredakteurin der „Süddeutschen Zeitung“ Claudia Tieschky sein im Herbst 2024 bei Suhrkamp erschienenes Buch Das Prinzip Trotzdem: Warum wir den Journalismus vor den Medien retten müssen im Münchner Literaturhaus vor.
Die Leiterin des Literaturhauses Tanja Graf lobte bei der Begrüßung „diesen äußerst inspirierenden Essay von dem wohl besten Kenner der Materie“ und wies darauf hin, dass das Thema „brisanter ist denn je – unsere Demokratien könnten davon abhängen.“ Kurz vor dem Start der Münchner Sicherheitskonferenz sei die Frage nach dem Einfluss und der politischen Bedeutung der Medien eine, die in vielerlei Hinsicht beschäftige, so Graf.
Roger de Weck sieht die Gesetze des guten Journalismus und die des Medienbetriebs immer weiter auseinanderdriften. Der Journalismus sei nüchtern, suche Fakten, halte Distanz zu den Mächtigen und dem eigenen Publikum, der Medienbetrieb hingegen sei zunehmend emotional und biedere sich an: „Dort herrscht eine Meinungsinflation“, so De Weck. Er sieht mit Sorge, wie sich journalistische Medien zunehmend den Sozialen Medien angleichen. Das beginne schon bei den Messmethoden. Es werde auch dasselbe Vokabular verwendet, beispielsweise die „Engagement Rate“ (wie viele Leute haben mit einem Artikel interagiert) oder die „Conversion Rate“ (wie viele Leute haben ein (Probe-) Abo gelöst, um einen Artikel hinter der Bezahlschranke zu lesen). „Wenn aber alle nur das tun, was angeblich funktioniert, also Klicks bringt, dann machen alle das Gleiche.“ Die Sozialen Medien seien ein „Tummelplatz des Plakativen“ und auch der Journalismus werde immer plakativer.
Journalismus verschlechtere sich zusehends, auch weil er digital geworden sei. Wenn man sich von der Nachfrage leiten lasse und nicht vom Willen zur Gestaltung eines guten Angebots, dann werde es gefährlich, dann näherten wir uns dem Populismus. „Wir erleben derzeit den Strukturwandel von der Aufmerksamkeitsökonomie zur Aufregungsökonomie. Viele meinen, Aufregung sei Aufmerksamkeit. Aber Aufregung ist das Gegenteil von Aufmerksamkeit. Wenn ich aufgeregt bin, lese ich nicht konzentriert“, so de Weck. Aufmerksamkeit werde zerstört durch die Erregungswirtschaft. „Ich arbeite in der einzigen Branche der Welt, die meint, wenn der Absatz nicht stimmt (als Abo- und Klickzahlen), muss man die Qualität senken.“ Er plädiert für Stiftungen als Reparaturbetrieb des Journalismus und wünscht sich wieder mehr Journalisten, die gründlicher recherchieren, nicht nur reflektieren.
Der frühere Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ wundert sich auch über die Zunahme des „Ich-Journalismus“: der Berichterstatter werde manchmal wichtiger als der Gegenstand der Berichterstattung. Besonders schmerzt ihn die Reduktion der Kultur in den Medien: Ein beträchtlicher Teil des öffentlichen Lebens, Tagungen, Ausstellungen, Veröffentlichungen und Bücher, „Abende wie dieser“ würden nicht mehr rezensiert. „Die Meinungsbildung, die erkenntnisorientierten Debatten werden nicht mehr abgebildet, weil sie nicht geklickt werden.“ So bildeten Populismus und „Boulevardismus“ eine Allianz. „Für mich ist die Belletristik hochpolitisch. Wer Belletristik liest, der betritt andere Welten, entdeckt neue Perspektiven. Das fördert die Empathie. In einer Zeit der Rechthaberei ist Belletristik das Gegenteil davon. Man entdeckt neue Denkweisen“, sagte de Weck zur Freude des Literaturhauspublikums. Zudem warnte er, die Künstliche Intelligenz kenne nur das Bekannte. „Journalisten sind aber dafür da, das Unbekannte zu suchen. KI kennt nur das Bekannte im Internet, und das ist nur die halbe Welt.“ Nicht nur deshalb bleibe journalistisches Recherchieren entscheidend, auch investigativ im Feuilleton. Roger de Weck selbst nutzt Instagram (www.instagram.com/rogerdeweck/) sehr zurückhaltend, eher X, LinkedIn und bevorzugt Bluesky vor allem zur Werbung für seine Publikationen.
Nicola Bardola