Stefan von der Lahr ist promovierter Altertumswissenschaftler und arbeitet seit dreißig Jahren bei C.H.Beck, wo er im Lektorat insbesondere auch für historische Stoffe zuständig ist. In seiner Freizeit hat er sich mit dem Schreiben von Vatikan-Thrillern ein spannungsbasiertes Paralleluniversum erschaffen, in dem mit Dämonen im Vatikan nun zum dritten Mal sein Ermittlerduo Commissario Bariello und Weihbischof Montebello zum Einsatz kommen. Diesmal wird im hochsommerlichen Rom der tiefgefrorene Leichnam eines wichtigen Mitarbeiters des Osservatore Romano gefunden, des offiziellen Presseorgans des Heiligen Stuhls. Anlass für Fragen:
BuchMarkt: Herr von der Lahr, der Vatikan steckt seit Jahren in einer Dauerkrise. Haben Sie nicht ein wenig Mitleid mit dem Papst und seinen Geistlichen, dass Sie ihnen schon wieder einen handfesten Skandal zumuten?
Stefan von der Lahr: Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Was der hohe katholische Klerus und der Vatikan an Vertuschung und Repression den Gläubigen zumuten, ist derart skandalös, dass jeder Kriminalroman hinter dieser Wirklichkeit zurückbleibt und man doch vor allem Mitleid mit dem Kirchenvolk haben muss. Die Art und Weise, wie ich in meinem Roman unter anderem die Stellung der Frauen in der katholischen Kirche zum Thema mache, scheint mir doch sehr zivil, wenn ich sehe, wie sie – auch wider den Buchstaben und den Geist der Schrift selbst – von verknöcherten Hardlinern in deren männerbündisch-mafiös organisiertem Hauptquartier im Vatikan kleingehalten werden.
Aber mal ganz im Ernst gefragt: Kräht ein Hahn danach, ob es ein Grab von Frau Petrus unterm Petersdom gibt? Sie ist seit zweitausend Jahren tot …
Die Frau des Petrus hat es nun einmal nach der Heiligen Schrift gegeben, und Petrus hat sie mit auf Missionsreise genommen. Jesus hat es übrigens nicht gestört, dass er einem verheirateten Mann seine Kirche anvertraut hat, als er ihm sagte: „Du bist der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen.“ Das Gleiche gilt für andere Apostel Jesu, die ebenfalls verheiratet waren und ihre Frauen mitnahmen. Das ist ein Faktum. Ich habe zwar mit der Frage nach dem Grab der Frau des Petrus eine literarisch erlaubte Zuspitzung gewählt, um diesen absurden Zölibat zum Thema zu machen. Aber die katholische Kirche ist ein gewaltiges Kontinuum in Raum und Zeit, in dem Traditionen überragend wichtig sind. Daher ist, mit Verlaub, in diesem Kontext Ihre Frage falsch gestellt, weil deren Prämisse ist, dass jemand schon 2000 Jahre tot sei. Doch davon hängt nun mal in Kirchenfragen nicht die überdauernde Wirkmacht ab.
Nun haben Sie mit Bischof Montebello einen ebenso charismatischen wie mutigen Laienermittler erfunden. Könnte eine solche Figur im wahren Leben wirklich existieren?
Die Kirche hat zu allen Zeiten großartige Gestalten hervorgebracht – bis in die jüngste Geschichte hinein. Ich denke an Menschen wie Pater Maximilian Kolbe, Dietrich Bonhoeffer oder Erzbischof Romero oder Mutter Teresa – um nur diese zu nennen. Vor solchen Persönlichkeiten kann sich jeder Mensch, ob gläubig oder nicht, nur in größtem Respekt verneigen und sich fragen, ob und inwieweit sie ihm für das eigene Leben eine Quelle des Mutes und der Inspiration sein können. Mein Weihbischof Montebello ist Lichtjahre fern davon, solch eine moralisch überragende Gestalt zu sein, aber er verkörpert neben einer bodenständigen Religiosität nicht zuletzt Anstand, Wahrhaftigkeit und andere Charakterhaltungen, von denen sich manche Christinnen und Christen mehr in der katholischen Kirchenleitung wünschen würden.
Sie sind zum Protestantismus konvertierter Katholik. Das wirft die Frage auf, ob hier womöglich Rachegefühle am Werk sind.
Niemand, der in diesen Zeiten wie ich in der Kirche aktiv ist (konkret: als einer der Kirchenvorsteher:innen in der evangelischen Gemeinde in München-Freimann) und sich bemüht, die seit 2000 Jahren unveränderlich revolutionäre und beglückende Botschaft von Glaube und Gleichheit, von Hoffnung und Liebe weiterzutragen, würde sich mit „Rachegedanken“ aufhalten. Es schmerzt mich aber zutiefst, dass das römische Machtkartell durch eine menschenverachtende Kirchenpolitik – vgl. nur seine Haltungen zu den Themen Missbrauch, Segnung von homosexuellen Paaren, Segnung von Wiederverheirateten, Stellung der Frauen in der Kirche – die Gläubigen geradezu aus der Kirche prügelt. Der Katholizismus hat Opfer hervorgebracht, die vor allem im Hinblick auf ihre Erfahrung mit der katholischen Kirche erlösungsbedürftig scheinen. So wird katholische Kirche selbst zu ihrem gefährlichsten Gegner; doch damit schadet sie dem christlichen Glauben überhaupt.
Arbeiten Sie sich eigentlich mit diesen Romanen auch an der katholischen Kirche ab? Sie stellen ja schon durchaus immer wieder existenzielle Fragen.
Soweit meine eigene katholische Genesis in diesen Romanen aufscheint, ist das ganz und gar spielerischer Natur. Ich bin in einem Viertel in Trier aufgewachsen, wo es ohne Übertreibung mehr Geistliche als Kinder gab. Mein Onkel war Trierer Dompropst, mein Vater Angestellter im Bistumsarchiv, meine Brüder Messdiener, und ich selbst habe über zehn Jahre im Domchor gesungen. Mit den vielen geistlichen Herren, die ich dabei kennengelernt habe, verbindet mich – und das möchte ich ausdrücklich betonen – auch nicht eine einzige unangenehme Erinnerung. Vielmehr konnte ich im alltäglichen Umgang mit ihnen nicht zuletzt das feine Spiel der Macht und der Hierarchie und den mitunter durchaus heiteren Umgang mit Heiligen Texten erfahren. Um es ganz klar zu sagen: Ich bin dankbar, diese Welt kennengelernt zu haben, die mir einen ganz eigenen Weg zu Geist und Kultur vermittelt hat – aber keinen für mich auf Dauer gangbaren Weg zum Glauben. Je älter ich wurde und je mehr ich mich im Studium der Geschichte, Philosophie und Rechtswissenschaft mit Kirche, Glaube und deren Geschichte auseinandergesetzt habe, umso klarer wurde mir, dass mein Weg nicht in den von klein auf gewohnten Bahnen weiterverlaufen konnte. Nach dem Kirchenaustritt und einer Zeit der Konfessionslosigkeit bin ich bewusst in die evangelisch-lutherische Kirche eingetreten. Unabhängig davon verbindet mich übrigens mit einem katholischen Priester in München eine herzliche Freundschaft – ein wunderbarer, weltoffener Intellektueller, dem ich auch immer meine Manuskripte gebe, damit er mich ggf. auf sachliche Irrtümer hinweist.
In Ihrem Roman geht es allerdings nicht nur um historische Aspekte, die unvermittelt in der Gegenwart wirksam werden. Auch die Chinesen und ihre Neue Seidenstraße spielen eine Rolle sowie diverse andere sehr bedeutsame Motive. Alles hängt mit allem zusammen, möchte man meinen. Wie komponieren Sie eine solche Story? Gehen Sie von der Vergangenheit aus? Oder entdecken Sie ein Thema in der Gegenwart und suchen den historischen Aspekt?
Wer im 21. Jahrhundert als Christ in der Welt steht, kann eigentlich nicht anders als auch ein politischer Mensch zu sein. Das war ich mein Leben lang – mit einem ausgeprägten Gefühl für Macht, Machtmissbrauch und Ungerechtigkeit. Soweit ich diese Themen in meinen Romanen aufgreife, dürfen Sie sicher sein, dass dem eine gründliche Auseinandersetzung vorausliegt – das trifft in meinem neuesten Roman auf die Afrika-Politik Chinas zu und ebenso auf den Bereich der genetischen Veränderung des Menschen. Der nackte Affe – die dümmste Kreatur auf diesem Planeten, die als einzige an der systematischen Zerstörung ihrer Existenzgrundlagen arbeitet – hat sich realiter in den Besitz der Schlüssel der Evolution gebracht. Bis jetzt waren wir, egal was wir getan haben, wenigstens immer noch den Gesetzen der Evolution unterworfen. Nun schreiben wir sie neu, ohne auch nur den Hauch moralischer Befähigung dafür zu besitzen. Die Technik wird mehr und mehr zum Subjekt der Geschichte. Sie sehen: Die Wirklichkeit ist schaurig, nicht vorrangig meine Bücher. Solche Themen kommen mir entgegen, und ich verwebe sie zu einem Roman – und dabei bleibe ich, soweit es geht, hart an der Realität; vielleicht ist das die Stärke meiner Geschichten.
Bemerkenswert ist, dass Sie Ihr Buch mit einem Apparat versehen, als handelte es sich um eine wissenschaftliche Arbeit …
((Lacht!)) Das ist doch etwas zu viel der Ehre! Nein – es geht mir wirklich nur darum, ein paar Hinweise zu geben, wo meine Leserinnen und Leser hier und da einem Gedanken nachgehen können, wenn sie mögen. Aber, um die Wahrheit zu sagen, mein unerreichbares Vorbild in puncto Romanschriftstellerei ist Umberto Eco. Als ich vor vierzig Jahren seinen grandiosen Roman „Der Name der Rose“ las, war ich dankbar, dass er mir in einem Anhang manches erklärt hat, was zum Verständnis einiger Aspekte hilfreich war. Ein Stück weit ist mir das zum Berufsethos geworden, dem ich als Sachbuchlektor – meinem Brotberuf – versucht habe, gerecht zu werden: Es war mir immer wichtig, dass alle, die Bücher lesen, die durch mein Lektorat gegangen sind, so gut wie möglich „mitgenommen“ werden. Wem es gleichgültig ist, wenn er hermetische Bücher macht, die nur die happy few verstehen, hat in meiner Branche seinen Beruf verfehlt. Das ist jedenfalls mein Verständnis einer demokratischen Wissensvermittlung, der ich auch versuche, in meinen Romanen gerecht zu werden.
Werden Sie dem Monsignore noch weitere nervenzerrüttende Abenteuer zumuten? Oder lassen Sie ihn vielleicht im nächsten Buch Papst werden? Oder vielleicht beides?
Tatsächlich war keiner der drei Romane geplant, und so plane ich auch keinen vierten. Aber, wie Thomas Mann zu Beginn seiner Joseph-Romane schreibt: „Tief ist der Brunnen der Vergangenheit.“ Wer weiß, was da noch an die Oberfläche kommt, wenn ich einfach weiter wie bisher in meinem Alltag mit Begeisterung aus diesem Brunnen schöpfen darf – vielleicht blitzt da noch einmal irgendetwas auf, das mich zu einer neuen Geschichte inspiriert.