Steffen Meier ist Herausgeber des digital publishing report – einem „digitalen Magazin für die Medienbranche“, das alle 14 Tage erscheint. Heute im Sonntagsgespräch reden wir mit ihm über seine Einschätzung zum Dauerdisput Print vs. Digital:
BuchMarkt: Herr Meier, wie kommt man auf die Idee, heutzutage ein Magazin wie den „ditial publishing report“ herauszugeben? Ist nicht alles schon gesagt, alles schon irgendwo (kostenlos) veröffentlicht?
Steffen Meier: Dass es alles schon irgendwo gibt, vielleicht sogar kostenlos, muss einen nicht hindern, eine Dienstleistung aufzubauen. Der digital publishing report ist nichts als eine Dienstleistung, größtenteils werden im alle zwei Wochen erscheinenden PDF-Magazin auch schon „irgendwo“ erschienene Artikel kuratiert. Wobei inzwischen der Teil originärer Inhalte, die von Branchenteilnehmern beigesteuert werden, immer mehr zunimmt. Entstanden ist das ganze Projekt als Ergebnis vieler Gespräche mit Kolleginnen und Kollegen, die einerseits konfrontiert waren mit digitalen Herausforderungen, aber andererseits nicht wußten, wie man/frau an entsprechende Informationen dazu kommt. Und zwar in einem vertretbaren zeitlichen Umfang. Und dann das Ganze auch auf „Verlag“ übersetzt. Deswegen heißt der digital publishing report ja auch im Untertitel
„Das Digitale Magazin für die Medienbranche. Kuratiert, kommentiert, eingeordnet“
und das ist eher als Leser-Service einzuordnen. Letzten Endes ist jede Unternehmung von Medienunternehmen eine Dienstleistung. Die fatale Fehleinschätzung der letzten Jahrzehnte war, sich im eigenen Selbstverständnis auf eine Produktform zu fokussieren, sei es Zeitung, Zeitschrift oder Buch. Verlage produzieren kein bedrucktes Papier. Verlage leisten Dienste, sei es Unterhaltung, Information oder was auch immer. Ein Kanal ist eben immer noch oft Buch, aber letzten Endes sollte der Leser über den Kanal entscheiden dürfen, nicht der Produzent.
Spannend für mich selbst war beim Digital Publishing Report natürlich, viele Methoden oder Prozesse, die ich gerne anderen empfehle, auch einmal selbst einzusetzen – vom Businessplan (der inzwischen natürlich Makulatur ist) bis zu dem Punkt, das heutzutage Technologiekosten kein Thema mehr sind. Software, Mailsysteme, Blogsoftware, alles kein oder ein überschaubares Investitionsvolumen. Das Mindset, zeitliche Budgets oder das Netzwerk ist entscheidend, und das meine ich jetzt bewusst auch ganz allgemein.
Langweilt Sie die Frage, ob das gedruckte Buch bleibt?
Ehrlich gesagt: Ja.
Da werden gern auch mal Gegensätze geschaffen, die eigentlich gar keine sind.
Dreht man den Spieß wie oben beschrieben um, lässt den Leser entscheiden, wie er eine Dienstleistung möchte, dann gibt es einen Dauerdisput gar nicht, wie er leider nach all den Jahren von Haptikfreunden oder-gegnern ausgetragen wird. Dann kann ein opulentes Gartenbuch, gedruckt als Coffee-Table-Book, ganz selbstverständlich neben einem Reiseführer über London für Freunde der georgischen Architektur als Website oder E-Book bestehen. Das eine möchte ich daheim auf dem Sofa genießen, das andere brauche ich mobil, vernetzt mit Geo-Informationen.
Was halten Sie von der Diskussion der letzten Monate im Zeichen sich stabilisierender Print-Umsätze und zurückgehender E-Book-Erträge?
Auch hier sehen wir doch wieder die unseligen, oben beschriebenen Gegensätze. Mal ernsthaft: hören Sie die Benziner-und Dieselsparte von Daimler-Benz darüber jubeln, dass Elektroantriebe sich nicht in dem Volumen durchsetzen wie es vorausgesagt wurde? Ich empfinde das schon an der Grenze zur Fahrlässigkeit was da teilweise an hämischer Argumentation um die Ecke biegt.
Vor kurzem war ich auf einer Konferenz in München – die übrigens ein Verlag ausgerichtet hatte – auf der der Chefredakteur eines großen deutschen Werbeblatts als Redner auftrat. Zur großen und unverhohlenen Freude eines großen Teils des Publikums, übrigens Marketingleute, keine Börsenvereinsapologeten, wurde da wieder einmal die Vinyl-Argumentation hervorgezogen. Im Sinne von: schaut her, die Leute kaufen wieder Schallplatten und so wird es dem gedruckten Buch auch gehen.
In solchen Augenblicken würde mir, wäre ich nicht so altmodisch erzogen worden, am liebsten ein jugendlichen „WTF“ über die Lippen kommen. Zum einen halte ich branchenübergreifende Vergleiche immer für schwierig, speziell mit der Musikindustrie. Da stehen einige wenige große Major-Label weltweit hierzulande fast 2.200 Buchverlagen in unterschiedlichsten Formen und Größen gegenüber. Und wer sich bei dem Gedanken an das angebliche Wiedererstarken der Schallplatte zurücklehnt, davon ausgehend, dass es dem Buch genauso geht, sollte sich vielleicht die Umsatzstatistiken nicht der letzten zwei, sondern der letzten zwanzig Jahre anschauen. Natürlich ist es in der Nische puschelig und warm, aber es bleibt eben doch eine Nische. Und das kann ja kaum im Sinne derjenigen sein, die immerfort vom nationalen „Kulturgut Buch“ reden. Aber vielleicht sollten wir doch das Thema wechseln, mein Arzt meinte, ich müsse auf meinen Blutdruck achten.
Ernsthaft: deutlich mehr Sorge macht mir die Möglichkeit, dass die jüngere Generation nicht nur keine Medienbudgets mehr für die Produkte der Medienunternehmen hat, weil der größte Teil für Netflix und Spotify ausgegeben wird. Inzwischen gibt es im digitalen Raum Entwicklungstendenzen, die sich mit zwei Worten beschreiben lassen: „Visueller Kontext“ und „verbale Kommunikation„. Eine Generation, die mit Youtube-Videos und Sprachein-und ausgabesystemen wie Alexa aufwächst, wird gegenüber schriftlicher Kommunikation und Informationsaufnahme nicht besonders aufgeschlossen sein. Da helfen dann auch keine E-Books, die sowieso nur eine Brückentechnologie mehr sind.
Man überlege sich, unter welchen Schmerzen sich die Buchbranche dem Produkt E-Book angenähert hat, dieser dumpfen und interaktionssperrigen Buch-Kopie, um dann vielleicht in zehn bis zwanzig Jahren auf ein Publikum zu treffen, das Videos will und weder mehr aufnehmen als auch selbst schreiben kann denn einen Facebook-Post?
Aber macht in Zukunft nicht der Branchennachwuchs dann Produkte für die eigene Generation? Löst sich damit nicht das Problem von selbst?
Branchennachwuchs. Noch so ein Thema. Es gibt sehr viele zu meiner großen Überraschung sehr engagierte Leute in den Medienbranche. Überrascht deswegen, weil die Rahmenbedingungen für mein Gefühl wenig attraktiv sind, sei es Gehalt, Entwicklungsmöglichkeiten, Arbeitsmodelle usw.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn viele jüngere Kolleginnen und Kollegen nach Ausbildung und Studium gerne erst einmal in Agenturen oder zu Dienstleistern oder Startups gehen, um Erfahrungen zu sammeln, die sie im Verlagswesen aus unterschiedlichsten Gründen nicht sammeln können. Da kann man nur hoffen dass diese Leute dann irgendwann wieder in den verlegerischen Mutterschutz zurückkehren – was ich persönlich nicht glaube.
Wenn Sie vieles so negativ sehen – warum sind Sie eigentlich noch in der Buchbranche?
Ich habe in jungen Jahren nichts Vernünftiges gelernt und bin hier gestrandet. Nein, mal im Ernst: ich persönlich finde es extrem spannend, mitten in der Buchbranche zu stehen, die einen massiven Umbruch erlebt. Auch wenn es nicht nach Umbruch aussieht – aber 1492, als Kolumbus sich so fürchterlich verfahren hatte, stand auch nicht in goldenen Lettern am Himmel „Achtung! Die Neuzeit hat begonnen! Bitte weitersagen!“
Umbrüche sind längere Phasen, die erst später als neue Epochen definiert werden, und ich habe den Eindruck, dass wir global in einer solchen Phase stecken, und eine bestimmte Ausprägung ist die Digitalisierung.
Und ich möchte doch einen feinen Unterschied zwischen einer schlechtgelaunten Unke und jemandem machen, der auf negative Entwicklungen und Verhaltensweisen hinweist. Und da bin ich ha auch nicht der Einzige, der das doch recht weit verbreitete Jammern und Zähneklappern, sobald sich Amazon oder der Leser bewegen, etwas mutlos findet.
„Jammern ist kein Geschäftsmodell“
Es gab in der Verlagsbranche immer wieder Phasen, in denen mutige Verleger (und heutzutage gottseidank auch Verlegerinnen) sich spannende Produkte überlegten. Da müssen wir zwingend wieder hin.
Nach einem weiten Bogen zurück zu Ihrem digital publishing report – wie sieht Ihre weitere Planung aus?
Ganz grundsätzlich haben wir mit einem kleinen, freiwilligen internen Redaktionsteam und vielen Autorinnen und Autoren nach nicht einmal neun Monaten das Magazin und die Marke fest in der Branche etabliert und erreichen die definierte Zielgruppe fast vollständig – und darüber hinaus, viele Leser sitzen inzwischen nicht nur in klassischen Verlagen, sondern auch in Marketingargenturen, Startups, Softwareunternehmen usw. Aber das war jetzt auch nur der erste Schritt – nicht, weil die Aufmerksamkeit der Leser ein flüchtiges und begrenztes Gut ist. Sondern weil viele Ideen auch aus dem Netzwerk, das der digital publishing report bedient und aus dem er sich speist, nach und nach umgesetzt werden. Hier ist der nächste Fixpunkt für den nächsten Coup die Buchmesse in Frankfurt.
In der vergangenen Woche sprachen wir mit Leander Wattig über „persönlichen Austausch und realen Begegnungen“