Zweiter Novembersonntag, Nachmittag, grauer Nieselregen, ungemütlich kalt. Was ist da besser als ein guter Tee und ein gutes Buch? Genau das dachte sich wohl Sewastos Sampsounis, Größenwahn-Verlag, als er im schönen Wintergarten des Hauses die erste Veranstaltung von Tea Time eröffnete, eine Kooperation mit steinbach sprechende bücher und dem Dryas Verlag. „Es ist der Beginn eines literarischen Quartetts mit einem Moderator und drei Juroren. Zur Premiere stehen Krimis auf dem Programm“, erläuterte der Verleger. Im Fokus: Medien unabhängiger Verlage.
Moderatorin Sandra Thoms, Geschäftsführerin des Dryas Verlags Frankfurt, sprach mit Literaturagentin Adrienne Schneider, Moderator und Autor Martin Maria Schwarz und dem Historiker und Vorsitzenden der deutsch-englischen Gesellschaft Gießen, Lawrence de Donges-Amiss-Amiss.
Diskutiert wurde zunächst in chronologischer Reihenfolge über Stablefort. Ein Krimi aus Cornwall von Rob Reef, Dryas Verlag, übersetzt von Alan Gross. Der Krimi spielt im England des Jahres 1936, ein Golf-Turnier mit acht Teilnehmern ist geplant, darunter der Literaturprofessor Stableford, der sich nach einem Mord gerne als Detektiv betätigt.
Schwarz äußerte zum Buch: „Eine charmante Idee, es ist ein überwiegend gelungener Vintage-Krimi, der an Agatha Christie und Dorothy L. Sayers erinnert und die Erwartungen des Lesers erfüllt. Die Figuren bleiben, passend zum plastisch vermittelten Unwetter auf dem Platz, bis zum Ende diffus.“
Schneider bemerkte: „Das Lesen hat Spaß gemacht, Parallelen zu Wallace-Krimis kamen mir in den Sinn.“
De Donges-Amiss-Amiss, an diesem Sonntag, an dem in England der Gefallenen des Ersten Weltkrieges gedacht wird, mit einer Poppy (Mohnblume) am Revers, sagte: „Der Autor arbeitet mit Augenzwinkern.“
Schwarz lotete tiefer: „Es gibt Kleinigkeiten, die stören. Das Spiel, das am Anfang aufblitzt, geht leider im Laufe der Handlung verloren. Außerdem hat der Krimi kein rechtes Ende.“ „Mir kommt es vor, als ob es fünf Enden gäbe“, wandte Schneider ein und beklagte, dass das Buch kein neues Setting präsentiere. „Es endet wie erwartet; die Bösen bekommen das, was sie verdient haben“, meinte De Donges-Amiss-Amiss. Thoms erklärte zum Ende: „Es musste so erzählt werden, weil weitere Bücher folgen und dieser Krimi der Anfang einer Reihe ist.“
Tea Time. Eine Pause folgte nach dem ersten Buch, die Besucher probierten ausgewählte Tees, das heiße Wasser dazu füllten sie aus einem großen Samowar auf. Kleine herzhafte und süße Köstlichkeiten standen bereit.
In der zweiten Runde stand das Hörbuch Der Tag X von Titus Müller, steinbach sprechende bücher, gelesen von Svenja Pages, im Fokus. Es geht um den Aufstand am 17. Juli 1953 in der DDR. „Der geschichtliche Hintergrund hat mich als Historiker stark interessiert, ich habe neue Details erfahren“, lobte De Donges-Amiss-Amiss. „Genau, ich habe beim Hören etwas gelernt, so nebenbei“, stimmte Schneider zu. „Titus Müller personalisiert und individualisiert historische Ereignisse gut. Es gibt keine neue Deutung – aber das muss ja auch nicht sein“, urteilte Schwarz. „Wer kauft sich schon ein historisches Buch? Der Autor schafft es, mit seinen Figuren Geschichte wertfrei zu erklären“, ergänzte De Donges-Amiss-Amiss. „Die Sprecherin nutzt verschiedene Stimmlagen, damit musste ich erst einmal klar kommen, aber schlecht finde ich das nicht“, fiel Schneider auf. Profi-Sprecher Schwarz sah das etwas anders: „Zwölf Stunden werden geschickt vorgelesen, aber die Grundhaltung wird erbarmungslos durchgehalten; es ist stets bewölkt, grau und düster. Da fehlt mir der normale Erzählton.“ Außerdem gleite der russische Akzent manchmal in die Karikatur ab. „Ich weiß nicht, ob das gewollte Individualität oder ein Lesefehler ist“, gab De Donges-Amiss-Amiss zu bedenken. Thoms ergänzte abschließend: „Titus Müller ist für gute und gründliche Recherche bekannt.“
Nach einer zweiten Pause stand der Krimi Somerset Maughams Traum von Heny Ruttkay, Größenwahn-Verlag, auf dem Prüfstand. Der Schriftsteller und frühere Geheimdienstagent Somerset Maugham wird von Erinnerungen an seinen verstorbenen Bruder Henry geplagt. War es Mord oder Selbstmord? Und welche Rolle spielte dabei Homosexualität? „Das Thema Homosexualität war mir beim Lesen nicht wichtig“, sagte Schneider. „Es gibt sehr schöne Parallelen und sozialkritische Seitenhiebe. Das Leben an der Côte d’Azur war in den 1960er Jahren offener als das in England“, erklärte De Donges-Amiss-Amiss. „Eigentlich ist das Buch Sozialdrama, Krimi und Historie in einem“, bemerkte Thoms. „Wir dürfen nicht vergessen, dass es auch heute noch verbreitet moralische Bedenken gibt“, fügte Schneider hinzu. „Ein Haus- und Stubenkrimi, die Szenerie der Greise ist britisch schön dargestellt“, wertete Schwarz. „Ja, der tiefschwarze englische Humor fasziniert“, pflichtete De Donges-Amiss-Amiss bei. „Nur das Cover erinnert eher an ein Jugendbuch“, meinte Schneider.
Auf die Frage, welches der besprochenen Bücher dem Leser besonders empfohlen werden könne, antwortete De Donges-Amiss-Amiss salomonisch: „Eigentlich ist es egal – auf jeden Fall passt immer auch ein guter Cognac dazu.“
Die nächste Tea Time ist am 28. Januar 2018 geplant – mit einer anderen Jury und weiteren unabhängigen Verlagen. Die aus der Taufe gehobene Veranstaltungsreihe ist für das Winterhalbjahr gedacht – da wird bekanntlich am meisten Tee getrunken.
JF