Maren Gottschalk über ihr Buch „Jenseits der Ngong Berge" (Goldmann) „Wenn Zeitreisen irgendwann angeboten werden, stehe ich ganz vorne am Ticketschalter“

Jenseits der Ngong Berge (Goldmann) heißt der neue Roman von Maren Gottschalk. Die Autorin erzählt darin die Geschichte Karen Christence von Blixen-Finecke, besser bekannt als Karen Blixen, Autorin und Hauptfigur des großen Hollywood-Epos „Jenseits von Afrika“. Anlass für Fragen:

Maren Gottschalk (c) Sandy Craus

 

Frau Gottschalk, eine Romanbiografie über Tania Blixen: Was sagt uns diese Frau heute noch?

Maren Gottschalk: Spannende Persönlichkeiten sagen uns immer etwas, egal, wann sie gelebt haben. Vor allem, wenn es Menschen waren, die mit großen Verlusten umgehen mussten. Tanja Blixen hat ein aufregendes Leben geführt und sich zeitweise unendlich reich und beschenkt gefühlt. Und dann hat sie nach und nach alles verloren: Gesundheit, Mann, Farm, Geliebten. Wie verkraftet man das? Wie „erfindet“ man sich noch einmal neu? Tania Blixen hat ihren Weg gefunden und wir können durchaus etwas von ihr lernen: Zähigkeit und Mut. Das sagt sie uns heute noch.

Die meisten kennen die Heldin vermutlich nicht wegen ihrer Werke, sondern wegen des Films mit Meryl Streep „Jenseits von Afrika“. Welche Tania Blixen lernen wir bei Ihnen kennen?

Meryl Streep als Filmheldin ist wunderschön und auch faszinierend in ihrer Ausstrahlung. Doch ein Film muss sich immer auf wenige Aspekte konzentrieren und vieles weglassen.

„Meine“ Tanja Blixen hat viel mehr Facetten als die Filmheldin. Wir lernen sie auch schon als Kind kennen, begreifen ihren großen Schmerz beim Tod des Vaters, begleiten sie als Jugendliche, die orientierungslos durch die Welt irrt, weil sie nicht weiß, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Und daher begreifen wir den Satz Tania Blixens in Ostafrika „Hier ist mein Platz, hier gehöre ich hin“ auf besonders tiefgründige Weise.

Gibt es Aspekte an der historischen Person, die Sie selbst überrascht haben?

Mir war vorher nicht klar, dass sie so viele widersprüchliche Seiten hatte: Sie konnte so großherzig sein, humorvoll, mitfühlend und selbstkritisch. Dann wieder war sie egozentrisch und ging über die Gefühle anderer hinweg. Was mich auch überrascht hat: Ihr unbedingter Wille zu leben, der sie fast nie verlassen hat.

Sie selbst waren ja zur Recherche für diesen Roman in Afrika und in Dänemark. Kann man eine Figur, die vor hundert Jahren gelebt hat, überhaupt noch „vor Ort“ finden?

Glücklicherweise kann man das. In Nairobi gibt es ein paar magische Orte: Das Farmhaus von Tania Blixen steht noch und es wurde für den Film wieder möbliert, zum Teil mit Originalmöbeln, die sie an eine Freundin verkauft hatte. Als ich durch diese Räume ging, kam es mir vor als sei Tania Blixen nur mal eben hinausgegangen. Dann gibt es in Nairobi den Muthaiga Country Club, wo sie Denys Finch Hatton kennengelernt hat oder das Norfolk Hotel. Und natürlich ist die Landschaft noch genau so überwältigend schön wie zu ihrer Zeit.

Auch Tania Blixens dänisches Haus in Rungstedlund ist ein magischer Ort. Dort stehen übrigens in allen Räumen wunderschöne, frische Blumensträuße. Tania Blixen war bei Freunden und Verwandten berühmt für ihre schönen Blumenarrangements und deshalb bezahlt die Museumsverwaltung heute eigens eine Floristin, die die Blumen arrangieren darf.

Tania Blixen lebte in einer kolonialen Welt. Wie sehr hat es Sie in Nöte gebracht, authentisch und dennoch sensibel zu schreiben?

Das war schon eine Herausforderung. Ich wollte Tania Blixen in dieser Ambivalenz zeigen, denn sie war Teil der Kolonialgesellschaft und zugleich eine Außenseiterin, weil sie aus Sicht der Engländer einen zu engen Kontakt zu den Kikuyu und Somali auf ihrer Farm pflegte. Deshalb habe ich meinen Roman in das Gespräch mit der jungen Journalistin eingebettet, damit diese manche der Fragen stellen konnte, die wir heute auch noch haben. Tania Blixen sagt einmal zu dieser Journalistin, wenn sie ihr Leben erzählen solle, könne sie nicht alles weglassen, woran diese vielleicht Anstoß nehmen würde. Genau so ging es mir auch. Ich wollte ja die Realität dieser kolonialen Welt zeigen und keine geschönte Version davon.

Deshalb war ich auch froh, mit Demba Sanoh einen Sensitivity Reader zu haben, mit dem ich am Ende noch ein paar Fragen besprechen konnte.

 

Hatten Sie dabei jemals das Gefühl, zensiert zu werden oder sich vielleicht sogar selbst zu zensieren?

Nein, gar nicht. Es geht mehr um die Haltung, als um einzelne Wörter. Ich gebe mal ein Beispiel: Man kann ein Buch über die Kolonialzeit schreiben und die Menschen schwarzer Hautfarbe immer als diejenigen zeigen, die etwas nicht verstehen oder ängstlich vor etwas weglaufen, vor einer Kuckucksuhr zum Beispiel. Das ist historisch aber gar nicht richtig. Die Kikuyu in meinem Buch sind in vielen Dingen Experten, sind mitfühlend und klug, sie machen sich ihre Gedanken. Tania Blixen sieht sie als Gegenüber, nicht unter sich.

Sie selbst sind studierte Historikerin. „Jenseits der Ngong Berge“ ist nach „Frida“ und „Fräulein Steiff“ der dritte Roman, in dem Sie eine reale Person aus der Vergangenheit zur Heldin machen. Fällt Ihnen das mit diesem wissenschaftlichen Hintergrund besonders leicht oder besonders schwer? 

Ich denke, es fällt mir eher leicht. Es ist meine große Leidenschaft, die Vergangenheit so zu beschreiben, dass die Leserinnen und Leser hineinschlüpfen können und sich nah dran fühlen an den Menschen. Ich liebe die Recherche und möchte ja selbst in diese fremde Zeit einzutauchen. Wie sahen die Menschen aus, wie war ihr Alltag, wie haben sie miteinander geredet, was hat sie beschäftigt? Das sind Fragen, die mich beschäftigen. Wenn Zeitreisen irgendwann angeboten werden, stehe ich ganz vorne am Ticketschalter.

Sie stellen Ihrem Roman ein Zitat der Kikuyu voran: „Jedes Gewitter beginnt mit einem Tropfen.“ Mögen Sie uns das erklären?

Solche Weisheiten zeigen mir, wie ähnlich wir Menschen uns sind, egal aus welcher Kultur wir stammen. Regen ist bei den Kikuyu etwas Gutes, die zwei Regenzeiten im Jahr sind extrem wichtig. Für mich steckt in dem Satz der Gedanke: Auch der kleinste Regentropfen birgt die Hoffnung auf neues Leben. Oder anders gesagt: Es lohnt sich immer von Neuem zu beginnen, auch wenn es sich noch so schwierig anfühlt. Manchmal braucht man eben einfach Geduld.