Der andere Fragebogen Wie war Ihr Jahr, Else Laudan?

Seit Nikolaustag fragen wir wieder bis zum 6. Januar 2023 (Heilige Drei Könige) in der Buchbranche herum: „Wie war Ihr Jahr?“. Heute beantwortet Else Laudan (Verlegerin des Argument Verlags) unseren „anderen Fragebogen“: 

Else Laudan: „Mehr lesen möchte ich über das Lesen und das Erzählen, unsere zwei besten Chancen darauf, die Große Erzählung zu erneuern (nicht kolonial, nicht patriarchal, nicht destruktiv) und Gesellschaft gemeinsam zu machen – dazu braucht es viel mehr Kulturförderung und Medienpräsenz und Austausch“

 

Welcher Tag war Ihr schönster in diesem Jahr?

Es war ja ein unerhört giftiges Jahr. Aber dann kam der Abend in Kassel-Wilhelmshöhe, die schöne Buchhandlung Brencher hat zur WUB eine Hybridveranstaltung gemacht, der Laden war voll, ich konnte mit zig lesebegeisterten Menschen reden und erstmals öffentlich aus 2 neuen Romanen vorlesen: SCHIEBUNG, dem umwerfenden neuen Krimi von Sara Paretsky, und IST DIE ERDE HART, dem grandiosen historischen Coming-of-Age-Roman von Malla Nunn. Beide von mir übersetzt. Das Publikum war ein Traum, für so was lebe ich.

Worüber haben Sie sich 2022 am meisten geärgert?

Über die Kurzsichtigkeit, immer noch nicht zu kapieren, dass die Profithörigkeit im System  diese Gesellschaft kaputtmacht (und den ganzen Planeten). Kultur und Soziales müssen jetzt aus dem Wirtschaftlichkeitszwang befreit werden, sonst sehe ich schwarz.

Was war 2022 Ihr schönster Erfolg?

Mit den tollen HERland-Kolleginnen das Anne-Goldmann-Stipendium auf die Beine zu stellen, das feministischen Wagemut in der Kriminalliteratur fördern wird.

Und Ihr traurigster Misserfolg war?

Wir haben es nicht geschafft, das Debüt von Mary Paulson-Ellis gebührend zu platzieren. DIE ANDERE MRS. WALKER hätte voll einschlagen müssen, es ist eine so überbordende Bereicherung für das Spannungsgenre und das Erzählen überhaupt – unfassbar originell, dunkel und wahrhaftig, hintersinnig und mitreißend. Ich dachte, auf genau so etwas warten alle. Dann hat der Ukrainekrieg die literarische Entdeckungslust abgewürgt, und dieses Juwel blieb schmerzhaft unbemerkt.

Ihre schönste Buchhandlung/Ihr liebster Verlag in diesem Jahr?

Zu Hause in Hamburg der Buchladen in der Osterstraße, auswärts natürlich jetzt die Brencher Buchhandlung in Kassel. Und ich hab zu viele liebste Verlage – sagen wir, dieses Jahr Unrast, Kanon, Reprodukt?

Von welchem Thema wollen Sie (warum) im kommenden Jahr nichts mehr lesen?

Von wechselseitiger Zerfleischung, wo Bündnisse nötig sind, von den angeblichen Segnungen von Markt und Konkurrenz, von Kriegstreiberei. Für all das haben wir keine Zeit mehr!

Und über welches Thema wollen Sie mehr lesen?

Über das Lesen und das Erzählen, unsere zwei besten Chancen darauf, die Große Erzählung zu erneuern (nicht kolonial, nicht patriarchal, nicht destruktiv) und Gesellschaft gemeinsam zu machen – dazu braucht es viel mehr Kulturförderung und Medienpräsenz und Austausch.

Welchen Fehler aus diesem Jahr möchten Sie im kommenden Jahr vermeiden?

Mich total zu übernehmen.

Und welchen Fehler werden Sie trotzdem wiederholen?

Mich in riskante Projekte zu stürzen, weil sie so toll und wichtig sind.

Welches Buch hat Ihnen in diesem Jahr besonders viel Freude gemacht?

Amanda Lee Koes Roman „Die letzten Strahlen eines Sterns“, übersetzt von Zoë Beck. Ich hab dermaßen geschwelgt in dem Können dieser Autorin, ihrem zärtlichen Humor, ihrer genialen Choreografie und dem Wagemut, so distanzlos Frauengeschichte zu erzählen, indem sie drei historische Figuren zum Leben erweckt – eine Unsichtbare, ein Skandalon, eine Ikone – und dabei allen dreien gerecht wird. Der Hammer.

Welches wird Ihr wichtigstes Buch im neuen Jahr?

Das zweite von Mary Paulson-Ellis: DAS ERBE VON SOLOMON FARTHING. Die Schottin erzählt leichtfüßig, mit einer irren Mischung aus Ironie und Empathie, es ist ein Schelmenroman und ein Noir über den Krieg, über Schuld, Scheitern, Brüderlichkeit, Loyalität und Gewissen, prallvoll mit gestochen scharfen Persönlichkeits- und Milieubildern, ein kolossaler Rätselroman.

Von wem würden Sie gern auch mal die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?

Von Insa Wilke.

Welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie eigentlich gern beantwortet?

Warum ich so stur dabei bleibe, politische Kriminalliteratur von Frauen zu verlegen, zu übersetzen und dafür zu trommeln, obwohl da die Chance auf einen echten Bestseller so gering ist und es ständigen Kampf gegen Vorurteile aus allen Richtungen bedeutet.

Hier können Sie die auch beantworten:

Weil meine Autorinnen die Welt besser machen wollen und dafür superkreativ das klügste, beweglichste und zugleich niedrigschwelligste Genre beackern – Krimis zeigen die Bruchstellen, die ganze Welt steckt in diesen Romanen und alle können sie mit Lust lesen – für so ein Projekt ist mir keine Hürde zu hoch.

Gestern fragten wir Matthias Koeffler, morgen antwortet Hartmut Gante

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