Seit Nikolaustag fragen wir wieder bis zum 6. Januar 2023 (Heilige Drei Könige) in der Buchbranche herum: „Wie war Ihr Jahr?“. Heute beantwortet Margit Ketterle (Editor-at-large bei Droemer Knaur) unseren „anderen Fragebogen“:
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Welcher Tag war Ihr schönster im letzten Jahr?
Nicht ein Tag, sondern eine „Woche“ – die der Meinungsfreiheit, die unsere IG gleichen Namens im und mit dem Börsenverein jedes Jahr veranstaltet – mit wachsendem Zuspruch.
Worüber haben Sie sich 2022 am meisten geärgert?
Über die Verlogenheit und Doppelmoral der Digital-Giganten, die Hass, Hetze und Desinformation nicht löschen, sondern davon profitieren: Polarisierung ist ihr Geschäftsmodell. Sie generiert wachsende Clickzahlen und damit Werbeeinnahmen. Und immer wieder über die notorische Säumigkeit der Gesetzgeber, die Verbreiterhaftung auch auf die Digital-Plattformen auszudehnen.
Was war 2022 Ihr schönster Erfolg?
Der Drittel-Friedensnobelpreis für die mittlerweile liquidierte russische Menschenrechtsorganisation Memorial – nicht „mein“ Erfolg, sondern der unserer Autorin Irina Scherbakowa, Memorial-Mitbegründerin, deren Familiengeschichte „Die Hände meines Vaters“ wir verlegt haben.
Und Ihr traurigster Misserfolg war?
Natürlich auch nicht „meiner“, aber ein schwarzer Tag für die Opposition in Russland, als Alexei Nawalny im März zu weiteren neun Jahren Straflager verurteilt wurde. Seine Reden vor Gericht „Schweigt nicht!“, die wir herausgebracht haben, sollten Pflichtlektüre sein. Dass die Briten im Juni die Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange für rechtens erklärt haben, war auch kein Freudentag.Von dem Attentat auf Salman Rushdie gar nicht zu reden. Dabei stehen die drei Genannten nur stellvertretend für die unzähligen Verfolgten, die ihr Recht auf Meinungsfreiheit ausüben.
Ihre schönste Buchhandlung/Ihr liebster Verlag im letzten Jahr?
Alle Buchhandlungen und Verlage, die bei der Woche der Meinungsfreiheit mitgemacht haben und hoffentlich 2023 wieder mitmachen.
Von welchem Thema wollen Sie (warum) in diesem Jahr nichts mehr lesen?
Von Trump & Twitter.0
Und über welches Thema wollen Sie mehr lesen?
Meinungsfreiheit und ihre Verteidigung gegen Desinformation und Hassrede.
Welchen Fehler aus dem letzten Jahr möchten Sie in diesem vermeiden?
Dazwischenreden.
Und welchen Fehler werden Sie trotzdem wiederholen?
Dazwischenreden.
Welches Buch hat Ihnen im letzten Jahr besonders viel Freude gemacht?
Alle, die ich die Zeit hatte, in Ruhe zu lesen – nachhaltig beeindruckt bin ich von Emine Sevgi Özdamars Ein von Schatten begrenzter Raum.
Welches wird Ihr wichtigstes Buch im neuen Jahr?
Die Akte Pegasus. Wie die Spionagesoftware Privatsphäre, Pressefreiheit und Demokratie attackiert, von Laurent Richard und Sandrine Rigaud, den Gründern von Forbidden Stories, einer unabhängigen Investigativ-Plattform.
Von wem würden Sie gern auch mal die Antworten auf diesen Fragebogen lesen?
Von Marina Weisband, Gerhart Baum und Christof Blome vom Ch. Links Verlag
Welche Frage, die wir nicht gestellt haben, hätten Sie eigentlich gern beantwortet?
Warum ich versuche, in möglichst jeder Antwort das Thema Meinungsfreiheit unterzubringen?
Hier können Sie die auch beantworten:
Weil Freedom of Expression, die Rede-, Kunst-, und Pressefreiheit, der Anfang von allem ist. Für die Autorinnen und Autoren, für die Bücher, für die Lesenden, für die Demokratie. Dieses Menschenrecht ist bedroht.
Gestern fragten wir Oliver Martin, morgen antwortet Robert Wildgruber.