Freitag: Wildcards, Wissenschaft und Whisky
Liebe Freunde,
nein, ich setze meine Ohren nicht vor Samstag auf.
Gewiss, wenn Sie das lesen, ist ja bereits Samstag, und das könne doch zählen.
Und nein, das ist nicht der Gesichtsbierdeckel des MVB, sondern diesmal mein echtes Gesicht.
Leserin Daniela E. aus Ebeling an der Themse in Bad Londontown schreibt, ob ich über den Bart hinaus auch längere Haare habe als sonst.
Das Bild stammt übrigens aus dem Menschen-Hunde-Memory vom Laurence-King-Verlag, das ich übrigens in meinem wohlsortierten Laden führe. Kein Sortiment für jedermann, aber wenn Sie etwas mit Ecken und Kanten suchen, schauen Sie bei Laurence King, die sind auch hier.
Und ja, Frau Ebeling, äh, Frau E., tatsächlich trage ich mein Haupthaar diesmal länger und voller als sonst, damit es ein anständiges Gegengewicht zum Seemannsbart bildet.
Aber lassen Sie uns lieber über meinen Freitag sprechen!
Wildcard für den Messestand
Wenn man ein besonders überzeugendes Konzept vorlegt, dann kann man einen kostenlosen Ausstellerstand für die Leipziger Buchmesse gewinnen! Ich habe auch schon oft überlegt, ob ich mich da mal bewerbe. Ich hätte auch gerne einen Stand, nur damit ich eine Ecke habe, wo niemand sonst hin darf. Aber dieses Konzept wäre wohl nicht überzeugend. Gratuliere, ich habe den Anti-Stand erfunden.
Einen Messestand gewonnen hat hingegen Arzu Gürz Arbay, ein Verlag, der zweisprachige Kinderbücher in deutsch und den aktuellen und akuten Flüchtlings- und / oder Brennpunktsprachen türkisch, syrisch, österreichisch und so weiter verlegt.
Normalerweise wird dieser Preis in Leipzig immer nur einmal je Messe vergeben, aber die folgenden Anwerber heben das interaktive, realvirtuelle Bilderbuch so sehr auf eine neue Ebene, dass sie einen Innovationsehrenmessestand von einem halben Quadratmeter bekommen haben.
Herzlichen Glückwunsch an die Augmented-virtual-Reality-Spezies von Arkanite! Die drei Düsentriebs haben im Grunde das echtzeit-besurfbare Buch neu erfunden. Man hält sein Tablet über das aufgeschlagene Buch, und dann verhält das Buch sich wie eine Computeroberfläche, die man antippen kann und die bewegte Effekte enthält.
Versuche in dieser Art hat es schon gegeben – Reader, die auch Videos abspielen können, yeah. Aber diese drei Jungs haben nicht nur das lineare Lesen aufgebrochen, sondern dieses Konzept auch auf ein neues Level der Machbarkeit gehoben: Ich kann nun mit meinem Tablet in das Buch eintauchen, dezentral und lateral statt chronologisch und hierarchisch.
Ich kann nun in einem Buch surfen.
Wenn ich das will.
Und beim Medienservice XXL aus Fränkisch-Crumbach habe ich immer und auf jeder Messe eine Wildcard für eine Odenwälder Rindswurst mit allerbestem Odenwälder Schwarzbrot. Ja, ich weiß, das ist seit Jahren eine meiner langweiligsten Meldungen.
Auch meine Börsenvereinsverbindungsvertraute Maren Ongsiek hat bei mir eine Wildcard: Was immer sie mir aufträgt, das tue ich. Ohne Fragen, ohne Kommentare. Für heute sollte ich während eines Vortrages des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der u.a. Lesertypen in Schuhe einteilte, ein Foto der Statistikreferentin Jana Lippmann machen, das erstens groß genug sei und zweitens den Schriftzug der Leipziger Messe enthalte.
Und schließlich sei erwähnt, dass ich selber eine Wildcard für Tassen habe. Also eigentlich ja nur für eine Tasse, nämlich die des kommenden Gastlandes der Frankfurter Buchmesse, Norwegen.
Aber plötzlich sind da noch mehr Tassen: Die eBuch-Genossenschaft zum Beispiel hat nun eigene Tassen.
Der Marketingverband des Börsenvereins hat eine eigene Kult-Tasse, die sogar aus Spülmaschinen heraus gestohlen wird:
Wow, Danke sehr hierfür, liebe Kathrin Schmidt!
Die Frankfurter Messetasse zeige ich Ihnen hingegen erst am Sonntag, weil sie jetzt noch nicht dran ist. Aber danke schonmal an Barbara Roelle!
Und nun reiche ich den Elsberg nach, den ich gestern versehentlich gerammt habe.
Messe-Interview Nummer Zwei: Marc Elsberg
Blanvalet brachte 2012 einen Thriller heraus, der mal nicht von einem Serientäter handelt, sondern von einem globalen Stromausfall. Blackout wurde ein solcher Dauerbestseller, dass Buchhändler davon immer ein Exemplar im Laden haben. Der Autor, ein gewisser Marc Elsberg, bekam dafür den Preis für das unterhaltsamste Wissenschaftsbuch, weil er den globalen Blackout so ordentlich auf den Punkt gebracht hatte.
Marc Elsberg wurde mit Blackout so dermaßen bekannt, dass viele es für sein erstes Buch halten und nicht für sein fünftes.
Jawohl, Elsberg, von der Werbung in den Journlismus flutschend, schrieb erst eine Satire und dann bei Emons drei Wien-Krimis, bevor er den Science Thriller für sich entdeckte und seitdem auf Augenhöhe mit Schätzung, Eschbach und Crichton gehandelt wird.
Dann wandte er sich mit Zero dem Thema Datenmissbrauch zu und bekam den Wissenschaftsbuchpreis zum zweiten Mal hintereinander verliehen. Das haben bisher weder Sting noch Bono erreicht. Davon träumt Schätzing. Ebenfalls bei Blanvalet folgten noch der Desoxyribonukleinsäurethriller Helix, und nun jüngst Gier, ein Thriller, der zwischen Hochfinanzmacht und Mathematik oszilliert, obwohl vorne drauf ein Tanker abgebildet ist. Elsberg eben.
BuchMarkt traf den geheimnisvollen Blanvalet-Autoren völlig unvorbereitet, als wir am Vortag konkurrierend um Autogramme von Ursula Poznanski buhlten, und stellte ihm dann bis zum Mutterstand bei Random House nach.
BuchMarkt: Was frage ich Sie denn nun, Herr Elsberg?
Marc Elsberg: Was haben Sie denn Frau Poznanski so gefragt?
Frau Poznanski habe ich gefragt, wieso Ihre Titel einen ähnelnden Klang haben, von Erebos bis Vanitas. Marc Elsberg verbindet man eher mit diesen kurzsilbigen Schlagsachwörtern: Blackout, Helix, Zero, Gier.
Irgendwann werden uns die Ein-Wort-Titel ausgehen, oder wir müssen uns wiederholen. Wieviel „Gier“ gibt’s da draußen eigentlich? Arne Dahl hat einen gehabt vor ein paar Jahren, aber bitte, auch die Nobelpreisträgerin Jelinek hat sich dem Thema „Gier“ gewidmet. Ich bin da in bester Gesellschaft.
Wie soll man vermeiden, dass Krimititel nichtssagend werden?
Man sollte sich das bei den Regionalkrimis abschauen: Dann heißt es nur noch „Tod in…“ oder „Tod am…“, und dann der Ort. Das wäre dann zwar nicht mehr sehr catchy, aber man kann die Titel dann wenigstens unterscheiden.
Frank Schätzing macht seine Buchcover selbst, während Frau Poznanski froh ist, wenn man ihr ein paar Entwürfe vorlegt. Haben Sie grafische Ambitionen bei der Gestaltung Ihrer Titel?
Nein, das habe ich nicht. Das macht der Verlag zum Glück. Ich bin ja sogar ursprünglich Grafiker gewesen, was die Diskussionen über das Cover für meinen Verlag nicht immer ganz einfach macht, und in Gier gibt es sogar einen ganzen Haufen einfacher Zeichnungen und Skizzen, die ich gemacht habe. Das ist ein Überbleibsel aus meiner Grafikerzeit. Wenn ich muss, dann kann ich ein bisschen. Aber die Cover mache ich nicht, nein.
Haben Sie einen disziplinierten Schreibort oder…
Nein, ich bin ein Couch-Lapttop-Schreiber. In einem Polsterstuhl oder auf der Terasse. Manchmal dann doch am Schreibtisch, wenn ich einen Positionswechsel brauche. Man kann nicht immer nur halb liegend schreiben, leider.
Sind Sie sonst sehr diszipliniert?
Ich bin nicht sehr diszipliniert. Außer die Deadline rückt näher. Die Deadline war schon immer der beste Creative Director, aber während man eine ganze Werbekampagne zur Not auch über Nacht entworfen bekommt, klappt das mit einem 400-Seiten-Roman nicht.
Ist die Journalistenfrage, woher Sie Ihre Ideen haben, nicht allmählich lästig?
Nein, eigentlich nicht. Das ist doch auch durchaus eine berechtigte Frage, denn die Ideen kommen aus den verschiedensten Ecken und Richtungen, und das beantwortet jeder Autor und jede Autorin sicher anders.
Wer sind Ihre literarischen Hausgötter?
Hab ich keine. Als Autor muss man sich irgendwann von seinen Vorbildern lösen, sonst kann man nichts eigenes machen.
Haben Sie denn dann andere Hausgötter? Musik, Komödie?
Ich bin eher neugierig und schaue oder höre mir immer wieder andere Dinge an. Natürlich gibt es Musikstücke, die man eine zeitlang unfassbar gut findet, und auch bei Büchern hat man seine Phasen und Autoren, aber das wirkt kurz, und dann ändert es sich auch wieder, über die Jahre. Was man mit 17 toll gefunden hat, kann man mit 30 nicht mehr lesen. Hesse! Oder umgekehrt: Die Dinge, die man uns in der Schule aufgenötigt hat, entdeckt man womöglich erst mit vierzig neu.
Thomas Mann und Fontane sind ab einer gewissen Lesereife erst verhandelbar?
Den Zauberberg konnte ich weglesen wie nichts, und die Buddenbrooks habe ich bis heute nicht geschafft. Aber als Autor hat man ja auch nicht wirklich Zeit zum Lesen.
Als Buchhändler auch nicht.
Leute auf der Messe
Heute waren viele Leute auf der Messe. Was für ein idiotischer Satz. Aber der gefühlten Menschenmenge kann ich mich auf auf keiner der beiden Weisen nähern: ich traf welche, die sprachen von „auffallend wenig Besuchern“, und ich traf welche, die sprachen von „aber sehr voll heute“. Wahrscheinlich treffe ich einfach nur Leute, die immer jammern.
Insbesondere aber treffe ich liebgewonnene und feine Leute: Bernhard Schäfer und Angelika Siebrands vom eBuch-Genossenschaftsvorstand helfen mir aus, als ich schon wieder mal ohne Speicherkarte dastehe.
Und meine Glückwünsche noch an Herrn Schäfer aus Bad Wildungen, der bei der Hauptziehung das Vorstandsamt gewonnen hat.
Auch typisch: Ich führe ein anregendes Interview und vergesse dann, ein paar Fotos zu schießen. Heute hatte ich die große Freude, den rheinischen Musikkabaretttiroler Konrad Beikircher zu sprechen (mehr davon im nächsten Bericht), und zack, habe ich kein Foto gemacht. Wie damals, bei Markus Maria Profitlich. (Aber mehr haben die beiden nicht gemeinsam.)
Verzweifelt hielt ich nach Beikircher Ausschau, suchte bei Kiepenheuer nach ihm, aber er war von dannen. Aus purer Not fotografierte ich dann eben Feridun Zaimoglu, der sieht fast genau so aus.
Aber keine Sorge, bis zum morgigen Bericht wird Kiepenheuer mir bei diesem Problem behilflich gewesen sein.
Besonders freue ich mich auch, wenn ich Kollegen aus der Presse und dem Journalismus treffe, weil das – dem Buchhandel darin nicht unähnlich und sich zumal an diesen Tagen freilich mit ihm überschneidend – ebenfalls eine sehr verschworene, verfreundete, kollegiale und behilfliche Szene ist.
Der Schweizer Kollege Nicola Bardola freut sich sehr, auf dieser Messe sein nächstes Buch Elena Ferrante – meine geniale Autorin vorzulegen, und die Berliner Kollegin Petra Samani vom Buchblinzler freut sich über so viel Freude.
Der Autor, Verleger und Publizist (irgendeins davon wird schon stimmen) (bei Alexander Elspas vorgestern hat es auch funktioniert) Holger Ehling feiert beim Verlagshaus Römerweg sein Lissabon-Buch mit lisboanischen Häppchen, Porto und Sagres.
Und was wäre eine Buchmesse für eine Buchmesse, wenn mir nicht wenigstens einmal die extrem vielbeschäftigte Buchbloggerin / Tuberin Lea Kaib über den Weg laufen würde? Auch u.a. der Börsenverein hat die findige, moderne Beeinflusserin für sich entdeckt.
(Und Jörg Kessler, hahaha.)
Und wenn ich ohnenhin bereits Getreidesaft in der Hand halte, dann ist es nicht mehr weit bis…
…zur halbjährlichen Whiskyrunde!
Die halbjährliche Whiskyrunde
Dieses Jahr hatten wir mal wieder eine kleine und gemütliche Whiskyrunde, also umso mehr Platz für uns, die Abwesenden zu bezagen. Anstatt fünfzehn Personen mit zehn Flaschen waren wir nur sieben Leute und zwei Pullen Schnaps, und es war innig und entspannend und erinnerte in seiner Schlichtheit an den Gründerabend neulich vor vier Jahren.
Gastgebender Messestand war diesmal der schon ewig am Stück bestehende Verlag Zweitausendeins, und die zwei teilnehmenden Destillate waren ein fruchtiger irischer Writer’s Tears und ein ordentlicher Laphroaig, und das reicht ja auch.
Peggy Sasse, ebenfalls Zweitausendeins, behauptet, sie habe besonders dickwandige Verkostungsgläser besorgt.
Mein guter, alter Whiskyfreund, der Peter Deisinger, und ich, wir unterzeichnen jetzt erst mal den Kooperationsvertrag zwischen Zweitausendeins und meiner kleinen Buchhandlung, Herrn Mayers Buchladen.
Und besiegelt ist’s bei einem oder drei Whisky! So werden Geschäfte gemacht! Sobald ich wieder nüchtern bin, werde ich mir diesen Vertrag auch mal durchlesen.
Und dann torkle ich rüber zu Rowohlt, wo man einen ungleich niveauvolleren und leiseren Feierabend begeht, und bettle lallend um Würstchen, aber es gibt nur noch Backwerk, das mir nicht behagt. Ich reiße noch ein paar obszöne Bemerkungen über Bobo Siebenschläfer, die niemand lustig findet, und ziehe wieder ab.
Und wie erhaben so ein Abend immer wieder endet, wenn draußen die riesige Nacht über dem winzigen Kuppeldach aus Glas ruhet und schweiget, während wir uns als die Allerletzen auf den Weg machen.
Draußen am Taxistand treffe ich noch die alten Baumhaus-Weggefährten Harald Kiesel und Bodo Horn-Rumold, aber anstatt sie zu fotografieren, umarme ich sie.
Der Teufel hat den Schnaps gemacht.
Zum Geleit
Heute fragte mich jemand, was ich von Artikel 13 halte. Ich sagte, dass man den Artikel 13 unbedingt kopieren müsse, und zwar für alle.
Heute war sicher der anstrengendste Tag, obwohl sich alle dieser Texte immer so lesen sollen, als seien sie gar nicht anstrengend. Aber an einigen Tagen muss ich mehr Material zusammentragen und einpflegen als an anderen, und heute war so ein Tag. Drum war die Whiskyrunde am Abend genau der richtige und verdiente Schlusspunkt.
De Babba war ääwe fleisisch. (Peggy Sasse ist dankbar für hessische Unterweisung.)
So.
Ach, wissen Sie was: Jetzt zeige ich Ihnen doch noch die Frankfurter Messetasse zum Gastland Norwegen, weil sie so außerordentlich hübsch geworden ist, obwohl ich das Foto für Sonntag aufheben wollte.
Aber das muss nun wirklich genügen.
Aller Erfahrung nach werden der Samstag und der Sonntag in Leipzig richtig, richtig voll, und das ist in den Glasröhren wirklich eine ausgemachte Quälerei, ich muss also einen äußerst taktischen Samstagsplan ausarbeiten, der nur durch ruhige Bereiche führt und ein möglichst bewegungsarmes Bewegungsprofil erzeugt.
(Das ist zum Beispiel der Vorteil an einem sehr arbeitsreichen Messefreitag: Samstag kann ich es mir gemütlich machen, und der Sonntag ist ohnehin nur noch reine Simulation.)
Vielleicht sollte ich aber den Gastland-Tschechien-Stand noch besuchen, sonst kapiert keiner mehr meine Karel-Gott-Zitate.
Los jetzt, das schaffen wir auch noch.
Einen guten Samstag wünscht Ihr und Euer
Matthias Mayer
Wunderschöne Liedeinstiege von Karel Gott,
der goldenen Stimme aus Prag,
3 von 5:
„Weißt du, wohin
die Träume all‘ entflieh’n,
die unerfüllt
an dir vorüberzieh’n?“
(Weißt Du wohin, 1971)
Endlich trinkt ihr mal gescheiten Whisky.
Sie sind anscheinend auch nur froh, wenn Sie was zu meckern haben.
Bitte als Huldigung der aktuellen Whisky Auswahl verstehen.
Dazu ist der Tag wieder exzellent beschrieben. Mir ist quasi beim Lesen das Wasser im Mund zusammen gelaufen. Und die Rindswurst war dazu noch wunderschön in Szene gesetzt.
Jetzt hören Sie doch endlich auf mit Ihrem Gezeter. Ich habe ja jetzt begriffen, dass es Ihnen nicht gefallen hat.
(Hahaha, nein, war nur ein Witz. Ich weiß, wer Sie sind, und ich hoffe, Sie kommen gerne wieder nach Frankfurt.)