Am Mittwoch, 26. Februar, fanden in der Deutschen Nationalbibliothek gleich mehrere Premieren statt: Der seit Januar amtierende neue Generaldirektor der beiden Häuser in Leipzig und Frankfurt Frank Scholze begrüßte die Gäste der ausgebuchten Veranstaltung. Die Reihe Frankfurter Premieren des Kulturamts der Stadt hatte erstmals in die Nationalbibliothek eingeladen, weil die sonst üblichen Veranstaltungsorte nicht ausreichend Platz boten. Christoph Schröder und Autor Daniel Cohn-Bendit stellten das gerade bei Kiepenheuer & Witsch erschienene Buch Unter den Stollen der Strand mit dem Untertitel Fußball und Politik – mein Leben vor.
Sonja Vandenrath, Leiterin der Reihe Frankfurter Premieren, freute sich über den „Salon im Saal“ und verwies auf den Büchertisch im oberen Foyer.
Christoph Schröder, Journalist, Autor und Fußballschiedsrichter und an diesem Abend Dialogpartner auf der Bühne, bemerkte vorab, dass der 1945 im französischen Montauban geborene Cohn-Bendit Kind einer jüdischen Familie ist, die 1933 vor den Nazis aus Deutschland nach Frankreich geflohen war. 1968 wurde er aufgrund der aktiven Beteiligung an den Studentenprotesten in Frankreich ausgewiesen und ließ sich in Frankfurt nieder. In dieser Stadt hat er viele Spuren hinterlassen. „Das nun vorliegende Buch verknüpft Autobiografie und Fußball“, urteilte Schröder und sprach die legendären Fußballspiele im Ostpark an. „Eigentlich haben wir im Günthersburgpark mit dem Kicken begonnen. Ich selbst war ein mittelmäßiger Spieler, aber beim Kopfball besser, als meine Größe ahnen lässt“, erklärte Cohn-Bendit. Außerdem erinnerte er an seine Urschreitherapie und an Joschka Fischer: „Er hatte die Ehre, mit mir Fußball zu spielen.“
„Wie ist das eigentlich, wenn Sie Fußball sehen. Sind Sie lieber alleine oder mit Freunden zusammen?“, fragte Schröder. „Besser alleine, die Anderen halten das mit mir nicht aus, ich weiß alles besser“, bekannte der Autor, der bereits als Kind in Frankreich zum Fußball ging. Dabei suchte er sich vor dem Stadion einen Mann aus, sprach ihn an – denn wenn jemand damals ein Kind dabei hatte, musste er nicht zahlen – und legte ihm die Vorteile des Mitnehmens dar. Das habe immer funktioniert. „Ich schoss auch immer mit und traf manchmal die vor mir Sitzenden in den Rücken“, gab er zu. Eine Angewohnheit, die er immer noch hat: Kürzlich, als er bei Freunden das Spiel von Eintracht Frankfurt gegen RB Leipzig sah, sei sogar ein Teeservice zu Bruch gegangen.
Cohn-Bendit zitierte Albert Camus, der bemerkte: „Alles was ich im Leben über Moral oder Verpflichtungen der Menschen gelernt habe, verdanke ich dem Fußball.“ Dem könne er sich anschließen, sagte Cohn-Bendit und nannte noch einen weiteren Namen, Sócrates, der legendäre brasilianische Mannschaftskapitän. Gerade dessen Mannschaft Corinthia São Paulo mit basisdemokratischen Strukturen mischte sich in den 1980er Jahren in die Politik ein, lief mit Trikots ein, auf denen „Demokratie jetzt“ stand.
„Ihre Fußballsympathie hat immer Frankreich gegolten. Warum?“, wollte Schröder wissen. „Das hängt mit meiner Geschichte zusammen. Meine Eltern flohen aus Deutschland, mussten sich in Frankreich verstecken. Diese vorgeburtlichen Verletzungen brauchten ein Ventil, das war der Fußball“, erklärte Cohn-Bendit. „Klar war ich 1954 für Ungarn, habe nach dem Sieg der deutschen Mannschaft eine Stunde lang geweint. Aber Fußball ist auch faszinierend, weil nicht immer der Bessere gewinnt.“ Sepp Herberger sei ein Nazi gewesen, das sei nach dem Sieg von 1954 schnell vergessen worden.
Ein weiteres Debakel für Cohn-Bendit war der Sieg der Deutschen 1982 im Halbfinale gegen Frankreich, nach Elfmeterschießen stand es 5:4. „Ich habe mit Michel Platini gesprochen, der sagte: ‚Es war schrecklich. Aber so ist Fußball.‘“, äußerte der Autor. Und erinnerte an die WM 2006 mit dem Endspiel Italien gegen Frankreich: „Das war doch großes Theater, als Zidane nach Rot den Platz verließ.“ „Aber es war eine absolute Katastrophe für einen Schiedsrichter“, wandte Schröder ein.
Einig war man sich darüber, dass die FIFA Bedingungen für die Austragung von Weltmeisterschaften an die Länder stellen müsste. Als realistisch wurde diese Forderung jedoch nicht beurteilt.
Ein anderes Thema war die Homophobie im Fußball. „Ich habe ja den Traum, dass irgendwann ein amtierender Weltmeister bekennt: Yes I‘m gay!“, sagte Cohn-Bendit. Zum Schluss wagte er, der sein Buch auch als Autobiografie über Bande bezeichnete, noch eine Prophezeiung für die Europameisterschaften: Am 16. Juni 2020 werde Frankreich gegen Deutschland 3:2 gewinnen. Mal sehen.
JF