Das Autorengespräch „In einem guten Buch kann mehr stecken als in einem schlechten Leben“

Clara Maria Bagus (Foto: privat)

 

Im Autor:innengespräch befragen wir regelmäßig Schriftsteller:innen nach ihren Werken. Dieses Mal Clara Maria Bagus zu Die Unvollkommenheit des Glücks.

Worum geht es in Die Unvollkommenheit des Glücks?

Wer kennt das nicht: Manchmal möchte man einfach dem Leben entfliehen und dem Tod davonlaufen. Darum geht es in meinem neuen Roman. Eine Frau und ein Mann, beide auf der Flucht. Sie vor ihrem alten Leben. Er vor dem Tod. Zweimal begegnen sie sich. Einmal bleibt es bei einer Ahnung von Glück. Dann ordnet sich die Welt neu, und die beiden treffen sich unerwartet wieder. Eine zarte Liebesgeschichte vor der Kulisse des Krieges in der Ukraine.

Wie entstand die Idee zu Ihrem Roman?

Ich bin eine Sammlerin von Augenblicken. Wie ein Kind seine Spielsachen am Abend mit ins Bett nimmt, nehme ich die Bruchstücke des Tages mit und füge die Augenblicke zu einer Geschichte zusammen. Und diese Geschichte spinnt sich dann in meinem Kopf weiter. An jedem einzelnen Satz schleife ich ewig, bis er Dinge auf eine ganz neue, ungewohnte Art ausdrückt.

Die Unvollkommenheit des Glücks entstand auf einen Videoclip hin, der mir aus der Ukraine zugesendet wurde und der den Drohnenbeschuss auf in Schützengräben hockenden Soldaten zeigte. Die Kameras der Drohnen filmten einen vom Kugelhagel zerfetzten Soldaten unter dessen Helm ein Rinnsal Blut hervorströmte. Mit letzter Kraft hob er die Hand an und verabschiedete sich mit einem gehauchten «Goodbye» von der Welt. Diese Szene hat mich so mitgenommen, dass ich augenblicklich mit der Recherche und dem Schreiben begann.

Was bedeuten Bücher für Sie?

In einem guten Buch kann mehr stecken als in einem schlechten Leben. Und ich würde sogar wagen zu sagen: Ein gutes Buch, das das Leben der Figuren tief und weit ausleuchtet, simuliert Schicksale, aus denen LeserInnen Lösungen für sich und ihr Leben mitnehmen können. Bücher schenken uns eine Sprache, mit der wir uns selbst begreifen können. Gute Literatur ist wie ein Therapeut: Sie gibt uns zwar nicht unser altes Leben zurück, hilft uns aber, ein neues zu schaffen.

Mit welchem Argument kann der Buchhändler bzw. Ihre Buchhändlerin Ihr Buch gut verkaufen?

Jeder kennt sie, diese ungeahnten Schicksale, die plötzlich auf uns einbrechen. Jene Momente, die unsere Welt in Stücke reißen. Die uns von allem Vergangenen lösen und in eine tiefschwarze Leere schleudern. Die uns die Zukunft rauben, die wir einst erwartet oder verdient hätten. Es sind jene Momente, die das Gestern vom Heute trennen. So einschneidend, dass es das eigene Leben spaltet und zwei daraus macht. Meine Bücher sind voll von solchen Schicksalen. Dann nehme ich meine Figuren an die Hand, begleite sie ein Stück in ihrer Geschichte und versuche, ihnen eine neue Wirklichkeit zu erschaffen. Im besten Fall sind diese Wege dann auf die LeserInnen übertragbar. Und auch das Leben der Leser:innen ist am Ende des Buches heller, weiter und sinnhafter.

Welche Leserschaft soll angesprochen werden?

Jeder, der tiefgründige Literatur liebt. Meine Bücher sind keine bloßen Unterhaltungsromane, die man mal soeben am Strand wegliest. Ich schreibe nach klassischem Verständnis von Literatur, wie es einst Tolstoi, Čechov, Wilde etc. gelebt haben: Literatur soll etwas mit den Leser:innen machen, sie verändern. Die Leser:innen sollen anders aus der Lektüre kommen, als sie hineingegangen sind: leichter, glücklicher oder zumindest erfüllter.

Welche drei Wörter beschreiben Ihren Roman ideal?

Tiefgründig. Weitsichtig. Sinnhaft.

Wie sähe ein Schaufenster gestaltet zum Titel aus?

Eine große weiße Wand und davor ein einziges Buch. Tendenziell sind Schaufenster von Buchläden visuell überfrachtet.

Ganz so also, wie der Buchumschlag von Die Unvollkommenheit des Glücks gestaltet ist: Still. Unaufdringlich. Auffällig in seiner Unauffälligkeit.