Kaffeehaussitzers Netzrückblick Fundstücke aus den Literaturblogs – Oktober 2020

Uwe Kalkowski

Eigentlich gäbe es jetzt in vielen Literaturblogs die Buchmesseberichte zu lesen – das ist schon eine Tradition auf zahlreichen Kanälen. Doch dieses Jahr fällt auch dies aus. Zwar war es beeindruckend, was viele Verlage zur Messewoche digital auf die Beine gestellt hatten und auch die Frankfurter Buchmesse hatte online einiges zu bieten. Aber das alles ist eben kein Ersatz für eine Messe in der realen Welt. Diese Tage mit ihren vielen zufälligen Begegnungen auf den überfüllten Gängen, mit den Gesprächen auf den Messepartys und dem messetypischen Adrenalinkick, der einen die Müdigkeit vergessen lässt – das lässt sich nicht in die Onlinewelt transferieren. Daher also keine Messeberichte in den Literaturblogs, aber dafür etliche andere lesenswerte Beiträge.

Im Oktober wurde der diesjährige Buchblog-Award vergeben. Der Literaturpalast von Tino Schlench ist der beste Buchblog 2020, den Preis als bester Newcomer haben Fabienne Imlinger und Martina Kübler für ihren Podcast Ich lese was, was Du auch liest erhalten. Der Instagram-Kanal der Buchhandlung Lüders wurde zum besten Buchhandelsblog und der Podcast des Argon-Verlags zum besten Verlagsblog gekürt. Herzliche Glückwünsche!

Die Verleihung des Deutschen Buchpreises sorgte für einen Hauch von Normalität in Pandemiezeiten, zumindest waren es gewohnter Termin und übliche Räumlichkeiten. Großartig begleitet wurde der gesamte Ablauf von den Machern des Papierstau-Podcast: In mehreren Folgen stellen dort Robin Schneevogt, Meike Stein und Anika Falkedie die gesamte Longlist vor, kreieren eine eigene Shortlist, gleichen sie mit der offiziellen ab und würdigen in einem speziellen Beitrag den Siegertitel »Annette, ein Heldinnenepos« von Anne Weber. Hintergrundinfos zum Podcast und diesem großartigen Leseprojekt sowie eine Zusammenstellung aller Buchpreis-Folgen findet man im Deutscher Buchpreis Blog.

Für die Murakami-Fans gab es im Oktober ein ganz besonderes Highlight: Mit »Die Chroniken des Aufziehvogels« erschien die Neuübersetzung des seit 1998 unter dem Titel »Mister Aufziehvogel« bekannten Murakami-Romans. Im Blog buchrevier berichtet Tobias Nazemi – seit vielen Jahren ein begeisterter Murakami-Leser – warum ihn die neue Übersetzung enttäuscht hat und was ihn daran stört.

Im Blog LiteraturReich versucht Petra Reich den Hype um den Roman »Normale Menschen« von Sally Rooney zu verstehen – doch er erschließt sich ihr nicht: »Er liest sich gut und leicht und unterhaltsam. Ja.« Aber was dieses Buch auch nur in der Nähe des Booker Preises zu suchen hat, ist für sie nicht nachvollziehbar.

Der bei Steidl erschienene Photoband »Ischgl« des Tiroler Photographen Lois Hechenblaikner wird im Blog Klappentexterin und Herr Klappentexter vorgestellt. Das Buch zeigt eindrucksvoll die Auswirkungen eines zerstörerischen Massentourismus in den Alpen – und ist angesichts der Bedeutung dieses Ortes für die Ausbreitung des Coronavirus aktueller denn je. Ein Zitat aus der Besprechung: »Hinter der lustigen Fratze des Spaßdorfes verbirgt sich eine pervertierte Form des Feierns, eine idiotische Seligkeit, die mit einer moralischen Verwahrlosung einhergeht, die große Teile der Gesellschaft erfasst und infiziert hat.« Word!

Aufgrund der ausgefallenen Frankfurter Buchmesse waren die Autorin Iris Wolff und der Autor Daniel Mellem bei den den Buchmessespitzen in München zu Gast. AstroLibrium-Blogger Arndt Stroscher hat dort beide interviewt.

Constanze Matthes stellt in ihrem Blog Zeichen & Zeiten den Roman »Kein Ort ist fern genug« von Santiago Amigorena vor, der die Shoah aus einer anderen Perspektive darstellt und insbesondere die Schuldgefühle der Überlebenden thematisiert. Die Besprechung hat mich sehr beeindruckt und ich habe den Roman umgehend in mein Leseprojekt »Das Unerzählbare« mit aufgenommen.

Ein Paukenschlag im Oktober war die Nachricht von der geplanten Kooperation zwischen den Buchhandelsketten Thalia und Osiander. Damit verengt sich der Markt für kleine, unabhängige Verlage ein Stück mehr. Ein guter Grund um wieder einmal auf das Engagement des Gemeinschftsblogs We Read Indie hinzuweisen, denn dort werden ausschließlich Bücher aus Indie-Verlagen vorgestellt – eine wahre Fundgrube.

In meinem eigenen Blog Kaffeehaussitzer habe ich mir im Oktober Gedanken über den Begriff »Zuhause« gemacht. Ausgelöst wurde der Beitrag durch das Buch »Zuhause« von Daniel Schreiber, das mich sehr berührt hat. Und dessen Lektüre mit einer schmerzlichen Zeit im eigenen Leben zusammenfiel.

Buchvorstellungen mit persönlichem Bezug sind für mich das Herzstück von Literaturblogs. Wunderbar gelungen ist dies im Blog KeJas Wortrausch mit dem Text zu Annegret Helds Roman »Armut ist ein brennend Hemd«. Und das schreibe ich jetzt nicht, weil ich für den Verlag arbeite, in dem das Buch erschienen ist, sondern weil ich den Blogbeitrag sehr mochte – er lässt Bilder im Kopf entstehen.

Das waren meine Oktober-Fundstücke. Wie immer können sie nur einen verschwindend kleinen Eindruck von der Vielfalt der Buch- und Literaturblogs geben. Und wie immer sind sie eine Einladung, sich mit dieser Vielfalt näher zu beschäftigen. Es lohnt sich sehr.

Ich wünsche uns allen, dass wir gut durch diese seltsame Zeit kommen. Bleiben Sie gesund.

Uwe Kalkowski ist seit über 25 Jahren in der Buchbranche tätig und kennt sie aus unterschiedlichen Perspektiven: Als Buchhändler, als Absolvent des Studiengangs Verlagswirtschaft in Leipzig und als Mitarbeiter verschiedener Verlage. Seit August 2019 arbeitet er als Produktmanager für den Eichborn Verlag. In seinem Blog Kaffeehaussitzer schreibt er über Bücher, Literatur und Leseerlebnisse und stellt in der monatlichen Kolumne »Kaffeehaussitzers Netzrückblick« auf buchmarkt.de lesenswerte Fundstücke aus den unterschiedlichsten Literaturblogs vor. „Vollkommen subjektiv, handverlesen und rein persönlich ausgewählt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, denn eine solche kann es in einer so vielschichtigen Szene gar nicht geben“, wie er sagt.

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