Am Donnerstag um 9:30 Uhr hat das Geschäftsjahr 2017 wirklich angefangen – traditionell mit dem Jahrestreffen der Publikumsverlage. Begrüßt wurde das volle Auditorium im Münchner Literaturhaus von den neuen Sprechern Annette Beetz (Marketing-GF VG Random House), Felicitas von Lovenberg (Piper-Verlegerin) und Dr. Andreas Rötzer (Verleger Matthes & Seitz). Sie hatten die auf die Themen Kunden, Digitalisierung und rechtliche Rahmenbedingungen fokussierte Tagung zusammen mit Dr. Kyra Dreher (BöV) vorbereitet. Gemäß der Gremienreform waren erstmals auch Buchhändler und Zwischenbuchhändler als Teilnehmer nicht nur zugelassen, sondern erwünscht. Neben Vertretern der »Großen« wie Nina Hugendubel oder Oliver Voerster (KNV) war ein knappes Dutzend Buchhändler der Einladung gefolgt – immerhin ein Anfang.
Nach der Begrüßung durch Börsenvereins-Vorsteher Heinrich Riethmüller gab Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis als Jahresmotto aus: »Es brodelt« – und zwar im negativen Sinn, weil im Jahre 2016 »die schlimmsten Befürchtungen übertroffen wurden«, was Gerichtsurteile, Urheberrechtsänderungen und überhaupt die vielfach »empfundene Wahrheit« über die Verlage »als Zecken im Pelz der Autoren« betrifft. Es brodelt aber auch im positiven Sinn, denn eine solche Situation sei zugleich eine riesige Chance, Haltung und Engagement für eine freie Gesellschaft zu zeigen. Zum Fortschritt der Digitalisierung, die bisher gut gemeistert werde, uns aber allenfalls eine kleine Verschnaufpause gönne, meinte Skipis: »Ich rate, Interesse zu haben.«
Der Trendforscher und Designer Prof. Peter Wippermann entwarf ein Szenario der Zukunft von Kunde, Handel und Vertrieb. Angesichts einer Jugend, die mittlerweile zu über 90% mit Smartphones umgeht, wird deutlich, dass wir uns nicht nur auf den Verkauf von gedruckten Büchern stützen dürfen, sondern auf Geschichten in diversen Formen.
Seine Ratschläge sind:
- Vernetze dich mit deinen Fans!
- Öffne dich der Schwarmintelligenz!
- Verbünde dich mit IT-Unternehmen!
Wie man ein gestandenes Medienunternehmen erfolgreich auf neue Beine stellen kann, führte der Handelsblatt-Chef Gabor Steingart vor.
Der Zeitungsverlag, der „im Unterschied zu anderen seriösen Tageszeitungen an echt verkaufter Auflage zugelegt hat“, beschäftigt mittlerweile mehr Researcher als Journalisten, und leistet mit seinem Unternehmen eine „360°-Kommunikationsberatung“ durch Fachkongresse, Veranstaltungen, Reisen und Unternehmensanalysen. Anzeigenakquisition geschieht im Übrigen in enger Kooperation mit den Mitbewerbern.
Gäbe es nicht die zurecht gelobte Fachkompetenz, das Durchhaltevermögen und den Humor von BöV-Justiziar Prof. Dr. Christian Sprang, könnte einen angesichts der rechtlichen Entwicklungen die Verzweiflung packen. Aber nein, die Lobbyarbeit ging bis zur »letzten Sekunde vor Weihnachten:
- Für die Verlagsbeteiligung an den VG-WORT-Erlösen sind in Berlin nationale Übergangsregeln verabschiedet worden.
- Eine »Taskforce Verlegerrecht« bearbeitet die heikle und noch nicht in allen Konsequenzen durchdachte Frage, ob sich die Buchverlage durch ein eigenes Leistungsschutzrecht besserstellen können, oder ob sich dieser Weg als Michael Ende´scher »Scheinriese« herausstellt, der kleiner wird, je näher man kommt.
- Das neue Urhebervertragsrecht enthält nicht die bisher vorgesehene unabdingbare Ausstiegsklausel für Autoren nach 5 Jahren.
- Spenden- und Provisionswerbung im Schulbuch durch Amazon erschwert vielen Buchhändlern dieses Geschäft. Hier ist am 30.12.16 (!) ein ungünstiges Urteil durch den Bundesgerichtshof ergangen.
- Ein Entwurf zu einer Bildungs- und Wissenschaftsschranke ist im Bildungsministerium in Vorbereitung, das der öffentlichen Hand zu Lasten der Verlage kostenfreien Zugang zu Inhalten verschaffen würde.
- Erfreulich: Die steuerliche Gleichbehandlung von gedruckten und digitalen Büchern ist national gesichert; wenn die derzeitige EU-Präsidentschaft Malta das Thema noch vor der Bundestagswahl weiterbehandelt, könnte das ab 2018 eingeführt werden.
Dr. Markus Dirr (CEO von aventris eSales AG), der mit 14 Jahren sein erstes Unternehmen gegründet hat, versuchte mit einem interaktiven Vortrag, die Branche von seinen mehrstufigen Analyse-Tools zu überzeugen. Für die Tagung im nächsten Jahr konnten die Teilnehmer ihre Themen-Präferenzen wählen:
Nr. 1: Von anderen Buchmärkten und Branchen lernen;
Nr. 2: Konsumenten-, Leser-, Publikumsforschung;
Nr. 3: An der Anerkennung des Buchs als Leitmedium arbeiten.
Peter Wippermanns Botschaft »Wir können gar nicht genug wissen über unsere Kunden« ist jetzt verstärkt in den Köpfen angekommen. Es brodelt.
Ulrich Störiko-Blume