Gestern fand im Gebäude der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt eine ungewöhnliche Führung statt: Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933 – 1945, und Stephanie Preuss, verantwortlich für Bestandserhaltung, gingen mit rund 20 angemeldeten Besuchern durch die Ausstellung und warfen auch einen Blick ins Archiv. Im Europäischen Kulturerbe-Jahr 2018 begaben sich die Interessierten auf die Spuren der Objekte.
„Es waren viele Umbauten notwendig, bis wir am 8. März dieses Jahres die Dauerausstellung endlich eröffnen konnten“, begann Asmus. Nun werden rund 250 Exponate, fast ausschließlich Originale, und 300 Publikationen gezeigt. Da es vorrangig um Schriftstücke geht, spielt der Lichtschutz eine besondere Rolle; Stoffe mit unterschiedlicher UV-Strahlen-Durchlässigkeit wurden benötigt, Tageslichtsensoren regeln die Beleuchtung in der Schau. „Wir mussten für jedes Exponat die erträgliche Lux-Zahl ermitteln. Das betrifft natürlich auch die Vitrinen“, erklärte Preuss und zeigte mit einem Messgerät an einer Vitrine, wie das funktioniert.
Die in drei Kapitel – Flucht, Exil, nach dem Exil – gegliederte Exposition stellt nicht Zeugnisse Prominenter in den Vordergrund, sondern gibt einen Überblick zum Leben im Exil quer durch beinahe alle Berufe. Etwa 500.000 Menschen wurden zwischen 1933 und 1945 ins Exil gezwungen.
„Bei der Restaurierung geht es nicht darum, ein Objekt in seiner Vollständigkeit wiederherzustellen. Wir wollen bewusst Gebrauchsspuren bewahren“, sagte Preuss. Asmus verwies auf die Laden unter den Vitrinen: „Hier gibt es nachgestaltete Pässe, Bücher und Zeitungen, in denen man blättern kann.“ Zieht man eine Lade auf, wird dabei auch die entsprechende Beleuchtung zugeschaltet.
Ein besonderes Objekt ist die handgenähte Tasche von Irma Lange für ihren Sohn Hanns. Die Stickereien und Aufnäher zeigen den Weg von der Verhaftung Irma Langes im September 1940 in der Nähe von London bis zur Internierung auf der Isle of Man, die sie im Juli 1942 wieder verlassen konnte. Irma Lange emigrierte aufgrund ihrer jüdischen Abstammung 1939 mit ihrem Sohn nach Großbritannien, überstand das Exil und blieb in London. „Besonders die Ecken der Tasche wiesen starke Gebrauchsspuren auf. Die Restaurierung, bei der wir die Ecken von innen mit Spezialpapier sicherten, war eine Herausforderung“, erzählte Preuss.
„Manchmal kommen Zeugnisse in unser Haus, die eine spezielle Behandlung erfordern. So wird beispielsweise ein gefälschter Passe, schon angeschimmelt und von Insekten befallen, zunächst in Quarantäne gesteckt. Dann muss Seite für Seite per Hand gereinigt werden – nicht der beliebteste Job bei uns“, sagte die Expertin für Bestandserhaltung.
Ein winzig kleines Seidensäckchen trägt die Aufschrift „Erde vom Grabe meiner lieben Mutter“: Walter Zweig, Vater von Stefanie Zweig, hat dieses Andenken 1938 mit ins Exil nach Kenia genommen. Es war ihm wichtig. „Das ist auch für uns ein kostbares Exponat, die Schrift ist kaum noch zu erkennen Es wird besonders vor Licht geschützt“, bemerkte Asmus.
Im Obergeschoss beschäftigt sich die Ausstellung mit der Frage von Rückkehr nach Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und der Haltung zur Nazizeit. Sehr deutlich bringt das ein Brief Albert Einsteins an den Vieweg-Verlag zum Ausdruck, in dem der Physiker dem Verlag sogar den Nachdruck seiner dort veröffentlichten Schriften untersagte.
Ein Erinnerungsalbum von Yitzhak Sophoni Herz über seine Zeit in Camp Hay (Australien), der 1939 nach Großbritannien emigrierte, 1940 nach Australien deportiert wurde und 1970 nach Israel auswanderte, stellte die Restauratoren vor schwierige Aufgaben, weil die Bilder mit Klebeband befestigt waren. „Das bedeutete etwa einen Monat Arbeit, um das Klebeband abzulösen und die Bilder dann mit dünnen Papierstreifen wieder zu befestigen“, berichtete Preuss.
Dann führte der Weg der Gruppe hinunter in die Magazine, die sich in drei Untergeschossen auf rund 30.000 Quadratmetern befinden. „Die unterirdische Bibliothek ist größer als die oberirdische“, stellte Asmus fest. 1997 wurde das Gebäude an der Adickesallee bezogen.
Das Exil hat dabei eigene Räumlichkeiten. Sylvia Asmus öffnete eine Schatulle und holt eine mit Hermelin besetzte Schärpe heraus, die dem Finanzwissenschaftler Fritz Neumark anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde an der Universität Paris überreicht worden war. Neumark hatte sich an der Frankfurter Universität habilitiert und verlor als jüdischer Professor 1933 sein Amt. 1952 kehrte er nach Frankfurt zurück.
„Diese Schärpe haben wir bei minus 40 Grad eingefroren. Diese Temperaturen überlebt der Pelzkäfer nicht“, äußerte Stephanie Preuss. Mit Insekten wie Papierfischchen und Bücherwürmern – letztere gibt es tatsächlich, er wird auch als Gekämmter Nagekäfer oder Bücherbohrer bezeichnet – müssen sich die Bestandsschützer ebenfalls herumschlagen. Neben der Methode des Einfrierens werden auch Fallen gegen Papierfischchen aufgestellt. „Eigentlich ist es ganz normal, ein Insekt zu finden. Nur bei einer großen Anzahl müssen wir uns etwas einfallen lassen“, beruhigte Preuss.
Letzte Station des Besuches ist der Tresor. In diesem gut verschlossenen Raum befinden sich besondere Schätze, darunter viele Autographen – beispielsweise von Thomas Mann, Albert Einstein und Sigmund Freud.
14 Mitarbeiter hat das Exilarchiv, dazu drei Kolleginnen in Leipzig. Über 80.000 Medieneinheiten wurden vom Deutschen Exilarchiv und von der Sammlung Exilliteratur in Leipzig 2017 bereitgestellt – eine beachtliche Zahl. Zur virtuellen Ausstellung Exil. Erfahrung und Zeugnis gelangt man über exilarchiv.
JF