Tag 5 von 6: Xeifl und das unheimliche Tal
Liebe Freunde,
früher war die Herbstmesse kühl, weil der Herbst vor der Tür stand, während die Frühlingsmesse in Leipzig kühl war, weil der Frühling noch nicht ganz da war. Heutzutage wird der Leipzigmärz dick eingeschneit und eisverklumpt, während die Oktobermesse in Frankfurt bei gleißender Sonne vor sich hinsiedet.
Und alles nur, weil Trump seine verdammte Mauer nicht fertig kriegt.
Aber da ich nach fünf Tagen noch gar nicht erwähnte, dass das Wetter auf der Frankfurter Buchmesse grandios ist, jeden Tag grandios ist, muss ich wenigstens ausführen, wie grandios es ist.
Aber auch an den kleinen Dingen habe ich am fünften Tage noch Freude. In früheren Jahren habe ich exzessiv über Kaffee auf der Messe berichtet, während ich heute nur noch exzessiv Kaffee trinke, aber ihn nicht mehr dauernd erwähne.
Interessant auch, wie am vorletzten Tage die Bereitschaft zunimmt, Energie in Kasperei zu stecken, bei gleichzeitig abnehmenden Interesse an ernsthafter oder sinnvoller Arbeit. Hier haben mindestens vier Leute versucht, die Position des Beefer-Foodtrucks auf der Agora auf dem Kaffeetisch nachzubauen.
Doch, doch, schauen Sie selbst:
Ich wünsche Ihnen einen guten letzten Messetag, während ich für Sie meinen herrlichen Samstag aufarbeite.
Nach dem Schraubenzieherdienstag, dem Präsidentenmittwoch, dem Pensumdonnerstag und dem Hängemattenfreitag kommt also nun der Supersamstag.
Frank Schätzing grätscht sein Interview frei
Gestern traf ich Frank Schätzing bei Kiepenheuer & Witsch, und heute schon kann ich unser Interview abdrucken! Freigaben erfolgen nicht immer so schnell, daher vielen Dank.
BuchMarkt: Was war denn das blödeste Interview, das Sie je hatten?
Frank Schätzing: Ich hatte nur wenige blöde. Die allermeisten waren gut, manche waren sehr gut, manche waren uninspiriert. Einmal hat mich hier auf der Messe eine Journalistin gefragt, warum ich denn ständig das Sujet wechsle. Von der Tiefsee zum Mond, und dann nach Israel –
Aber Sie schreiben doch nur über Schwärme!
Ja, natürlich, nur. (lacht) Jedenfalls antwortete ich, dass ich meinen Ideen folge und nicht einem bestimmten Sujet. Und da sagte sie: Das sollten Sie aber nicht tun.
Und warum nicht?
Weil ich sonst anderen Leuten, die Ideen haben, im Licht stehe. Darüber habe ich lange nachgedacht und dann gesagt: Ich hoffe, dass Sie der Tatbestand meiner Existenz auf diesem Planeten nicht stört. Das Interview haben wir dann etwas schneller beendet, weil die Fragen nicht besser wurden.
Gibt der Titel Ihres Buches nicht schon zu früh zu viel Preis?
Och – selbst wenn man verstanden hat, was der Schmetterling ist, weiß man ja noch nicht, worin seine Tyrannei besteht. Ich stoße sogar eher auf Ratlosigkeit – die Leute finden den Titel schön, aber sie fragen, was das denn zu bedeuten habe. Und das werde ich auch noch gefragt, wenn Leute das Buch halb durch haben.
Haben Sie die Farbe dieses sehr neongelben Lesebändchens selber ausgesucht?
Ja. Zusammen mit meinem Art Director habe ich das Cover selber entwickelt und auch das Leseband so festgelegt. Ich fand das Neongelb ganz großartig dazu. Wir sind bei Kiepenheuer ein sehr kreatives Team und arbeiten da in allen Belangen sehr gut zusammen.
In Ihrem Buch kommt ein Schwarm vor. Glauben Sie, dass es neben der Schwarmintelligenz auch Schwarmdummheit gibt?
Ja. Schwarmdummheit und Schwarmintelligenz sind zwei Seiten einer Medaille. Schwarmdummheit entsteht, wenn sie etwas in einen Schwarm hineinstreuen, und dieser Schwarm bemüht sich nicht um Hintergründe oder Überprüfung, sondern glaubt alles kritiklos. In den schnellen Netzwerken hat man auch keine Zeit mehr zum Reflektieren (und auch keine Lust), und so wird alles weitergegeben und schlimmstenfalls verstärkt, und so entstehen Fake News und Shitstorms.
Welche Comics hat Frank Schätzing gelesen?
Ich habe so ziemlich alles gelesen. Ich bin großer Donald-Duck-Fan. Die alten Sachen von Carl Barks sind mein Evangelium. Aber vor allen Dingen habe ich Zack gelesen. Bestimmt hatte ich vier oder fünf Jahrgänge Zack-Heftchen. Ich habe das alles großartig gefunden. Grade die Übersetzungen von Erika Fuchs, die das ja alles ins Stahlbad der deutschen Klassik getaucht hat. Einmal sagt Donald zu einem Gorilla, der ihn angreift „Was ficht Dich an, Du Untier?“ Solche Blasen habe ich geliebt. Mir war sofort klar, dass das gute Sprache ist.
Wie kommen Sie auf die Namen Ihrer Figuren?
Über den Wohlklang. Man hat ein inneres Gespür dafür, wie man sich die Figuren vorstellt, und manchmal ist der Name sofort da, manchmal muss man die Figur erst mal anlegen und kennenlernen.
Wie linear schreiben Sie ein Buch? Müssen Sie immer wieder zurück in der Handlung, um Dinge anzugleichen, die dann an späterer Stelle passen müssen?
Ich mache mir zunächst ein Drehbuch, nach dem ich arbeite. Im Detail überblicke ich immer etwa drei Kapitel, und spätere Details erfordern immer wieder ein Nachjustieren in den vorangegangenen Details. Es ist schon ein permanentes Hin- und Herspringen. Aber es gibt auch Situationen, da schreibe ich ganz ungezielt meine Ideen in den narrativen Kosmos ein und schaue, was sich ergibt. Manchmal schreibe ich linear, manchmal nicht.
Ihr Buch ist voll mit filmischen Verweisen?
Bin ein großer Literaturfan, aber sicher ein noch größerer Filmfan. Natürlich sind filmische Bilder bewährte, erkennbare Mittel, aber ich bin kein Theoretiker, sondern ich schreibe meine inneren Filme ab. Mein Buch findet immer schon als Film auf der Großhirnrinde statt.
Würden Sie sich selbst in eine Ihrer Geschichten einbauen?
Das finde ich nicht zielführend bei einem Roman. Wer über sich selber schreiben will, soll eine Autobiographie schreiben. Wenn ein Autor sich selbst einbaut, schwächt das die Fiktion. Das ist eigentlich nur Flann O’Brien gelungen mit At Swim-two-Birds.
Sind sie ein dionysischer oder ein appollonischer Künstler? Klarer Kopf oder Rausch?
Saufen beim Schreiben geht nie. Das verdirbt das Ergebnis. Ich bin auch der Überzeugung, dass viele dieser großen Musiker, die angeblich unter Drogen die besten Leistungen erbracht haben, ohne Drogen noch viel besser gewesen wären. Für mich gilt: Diszipliniertes Arbeiten, und meine Droge ist dann, dass ich alle paar Stunden an die Gitarre muss und Musik mache. Und dann wieder schreibe.
Kaffeejunkie?
Nein. Einen am Tag, sonst werde ich flatterig. Ich bin Teetrinker. Earl Grey.
Was war das damals mit dieser Unterwäsche-Werbung?
Das war cool und hat total Spaß gemacht. Ich war gerade 50 geworden und gespannt, ob ich noch als Dessous-Model durchgehe. Und es war ein willkommener Anlass, mein Sportpensum zu erhöhen und den Rettungsring wegzutrainieren.
Und das hat funktioniert?
Und das hat funktioniert.
Hallen & Leute, unsortiert
Dinge, die ich heute nicht gegessen habe:
Dinge, die ich heute gegessen habe:
(Ganz im Ernst: Heute war ich zweimal am Beefer.)
Menschen, die ich am vorletzten Tag doch noch getroffen habe:
Maya Kodes, the virtual Singer
In Halle 4.1 gab es zum dritten Mal den Kunstbereich TheArts+. TheArts+ bedeutet, dass der Kunstbereich in Halle 4.1 pink ist.
Naja, es bedeutet schon mehr als nur Dekor in Telekomfarben, denn innovative und verblüffende Stände sind hier zu finden. (Wie die E-Nummern-Zuckerwatte.)
Die größte Neugierde schlug der virtuellen Tänzerin und Sängerin Maya Kodes entgegen: Angeblich singe da in TheArts+ ein Hologramm. Das muss ich sehen.
In einem abgedunkelten Raum wird zur Begrüßung eine sci-fi-eske Lightshow auf einer schwarzen, aber durchsichtigen Gazewand geboten.
Und dann tritt Maya auf, eine digitale Bildfrau, die offensichtlich nicht nur singt und tanzt, sondern auch live spricht, während Sie auf der Bühne auf und ab läuft und realspontan mit Moderator und Publikum interagiert.
Und wie sie so singt und tanzt, vollführt sie digitale Verdopplungstricks in immer hässlicheren Outfits:
Zunächst einmal: Ein Hologramm war das nicht, sondern eben nur ein – holografisch sehr überzeugendes – Bild von einem Hologramm. Aber ungeachtet dessen und des Kleiderschranks von Jane Fonda war es natürlich eine aufwändige und interessante Show, die nur an zwei Kleinigkeiten scheiterte:
Erstens war die Hauptattraktion verborgen. Die komplette Maya wird im Nebenzimmer virtuell per Motion Capture erzeugt, wobei Bewegung und Stimme sogar von getrennten Personen kommen! Die eine tanzt live, die andere spricht und singt live, und der Rechner fügt es in Echtzeit zur Maya zusammen.
Zweitens: Maya Kodes versucht zu sehr, wie ein echter Mensch zu wirken, und das ist ein No-Go in der Robotik und Virtual Reality.
Wir werden verstört, wenn eine digitale Figur zu menschenecht aussieht, weil es uns zutiefst ängstigt, wie sehr – und wie sehr eben nicht sie uns gleichen will. Selbst Gollum, Shrek, Lightning McQueen oder C3PO finden wir menschlicher als den Cowboy aus Westworld. Diesen psychologischen Effekt nennt man übrigens „das unheimliche Tal“.
Und deshalb war Maya Kodes eben nur fast gut: Das Publikum sah nur eine Reihe schlecht animierter Tanznummern anstatt die Wunder der Motion-Capture-Echtzeit.
Und apropos Voldemort: Jetzt besuche ich den Harry-Potter-Weltrekord-Versuch des Carlsen-Verlages.
Hundert Harrys zu wenig
Carlsen rief auf, sich als Zaubervollwaise zu verkleiden und sich 998fach im Saal Harmonie des CongressCenters einzufinden, damit 997 Leute, die das in Australien schon einmal getan haben, zu übertreffen seien. Im Erfolgsfalle gäbe es einen Eintrag im Guinnessbuch der Rekorde.
Die Auflagen sind klar: Narbe, Brille, Umhang sind erforderlich, hingegen sind strengstens verboten Apparieren und Disapparieren auf dem Schulgelände. Über Öhrchen gab es keine Regeln.
Für die Dauer der Zählung wurde dann von uns verlangt, dass wir „interagieren“ sollen. Das gab ein rechtes Gefuchtel mit Stäben aus Elderholz und Chinakunststoff.
Dann gab es einen letzten Countdown…
Etwa einhundert Harrys haben uns gefehlt, und ich weiß auch genau, wer das war. Das waren die schlecht vorbereiteten, die ohne Verkleidung herkamen, also Franz Müntefering, und das waren die Heulsusen, die auf Facebook bejammern, dass sie bereits eine echte Brille tragen oder viel lieber als Hermine kommen wollen, und das waren diejenigen, die wohl heute Wichtigeres zu tun hatten, wie zum Beispiel die Norwegische Botschaft.
Na, besten Dank. Exschmolliarmus.
Trotzdem und gerade gebührt Carlsen ein Dank für die grandiose Aktion: Ihr habt den Messegästen und Potterfans ein glamouröses, großes Event geschenkt.
Quality Time bei Droemer Knaur
Es gibt diese Verlage, bei denen eine familiäre, lustige Stimmung herrscht; und bei diesen Verlagen halte ich mich am liebsten auf, und Droemer Knaur ist einer von denen.
Und dann sind da diese Damen:
Und wenn man erst mal an diesem Punkt der Messe angelangt ist, dann kann man auch zum Whiskytrinken gehen.
Geheime Whiskyrunde
Einerseits ist meine Whiskyrunde am Messesamstag immer streng geheim, ebenso wie ihre Teilnehmer. Andererseits bin ich von Beam Suntory mit einer Flasche Hibiki für meine Verdienste um die Lebenswasseransehenerschließung hinsichtlich meiner Whiskyrunden geehrt worden. Was vielleicht daran liegt, dass ich die streng geheime Whiskyrunde mit den hoch anonymisierten Teilnehmern immer ins Internet stelle.
Diese einstmals winzige Runde ist ja immer mehr zur Flaschenprahlerei geworden, aber sympathischerweise war die Whiskyauswahl heute schön klein. Es gab zwei deutsche Whiskys und einen angebrochenen Cardhu, der weg musste.
Leider konnte Gabi Riegel vom Herder-Verlag heute nicht dabei sein, aber sie ließ uns diesen Kinzigwhisky da, eine achtjährige Bourbonfassreifung mit Sherry-Finish, die mehr nach Roggen als nach Gerste schmeckt. Kein Drink auf die schnelle Hand, der will erschlossen sein und braucht zwei, drei Gläser und viel Aufmerksamkeit, vielleicht einen Schluck Wasser – ein erstaunlicher Tropfen.
So, und was hat es nun mit dem Mister-X-T-Shirt auf sich? Nun, es ist so, dass das X Teil eines Wortes ist, da so aussieht:
Und es ist NICHT so, dass das abwesende und genesende Gründungsmitglied dieser Runde auch durch noch so viele sinnlose T-Shirts zu ersetzen wäre. Aber wenn dieser Gruß und all die Liebe, die dahinter steckt, nötiges Adrenalin, Dopamin und Gesundwerderin freisetzt, dann nur her damit! Gebt mir das X!
Und Danke an Holger Ehling, der diese Idee vom heiligen Georg, dem Schutzpatron dieser Messe, eingeflüstert bekam und sie dann so lange ausflüsterte, bis er genügend Buchstaben beisammen hatte.
Zum Glück heißt Felix nicht Epaminondas oder Prunkvoller Truthan der Nacht oder so. Leipzig 2019 will ich Dich wieder an Deck haben, und auch mein persönlicher Messearzt Johannes Monse meint, dass das gefälligst machbar sei.
Ende des Messesamstages.
Zum Geleit
Es ist doch jedes Jahr dasselbe: Zum Anfang der Messe schlage ich mit hoher Geschwindigkeit auf, dann brauche ich ein wenig, bis ich mich aufgerappelt habe, und bis man endlich im Flow ist, ist dieser Wahnsinn auch schon wieder vorbei.
Die Zeiten ändern sich. Während ich all das hier schreibe, kann ich in Echtzeit mitverfolgen, wie es rezipiert wird:
Dann darf ich abschließend noch dieses schöne Foto nachreichen, dass meine dieshalbjährlich optisch vernachlässigte Messefee Maren Ongsiek zeigt, in Begleitung von Herders Gabi Riegel. Die Außentreppe von Halle 3 ist fast wie Venedig: Man ist dauernd am Fotografieren und denkt gar nicht an Vogelkacke. Aber ich schweife ab. Was ich eigentlich sagen will:
Danke, liebe Maren, für das Foto, und
Danke, liebe Frau Riegel, für den Kinzigwhisky, den ich nun und nicht mehr lange mein Eigen nenne.
Ich wünsche Ihnen einen guten letzten Messetag! Gewiss, wir gehen nun alle auf dem Zahnfleisch, und am Sonntag wird es auch noch mal
a) voll
b) heiß
– aber dafür erwartet auch niemand mehr Höchstleistungen von Ihnen.
Und ja, Prunkvoller Truthahn der Nacht war tatsächlich der übersetzte Name eines Aztekengottes.
Herzlichst,
Ihr und Euer
Matthias Mayer
Georgische Buchstaben, die aussehen wie niedliche Figuren, Teil 5 von 6:
Die Xeifl Auflösung brachte mich beinahe zum heulen 😥 So eine schöne Idee.
Gute Besserung lieber Felix 🍀❣️🍀
Jetzt muss ich weiterschlafen, hab heute Nachtdienst 💤💤💤