Die Nachricht von Tod des BuchMarkt-Gründers und Herausgebers Christian von Zittwitz sorgt im August für tiefe Betroffenheit und Trauer in der Buchbranche. Der begnadete Netzwerker, der immer offen war für neue Ideen und Themen, hinterlässt eine große Lücke. Die Nachrufe wurden von berufeneren Menschen verfasst, aber auch diese Kolumne hier ist aus einem Gespräch mit CvZ hervorgegangen. Im August 2016 hatten wir uns darüber unterhalten, dass sich Literaturkritik und Buchempfehlungen mehr und mehr ins Netz verlagern. Und dass dadurch ein öffentlicher Raum entsteht, in dem mit großer Leidenschaft über Bücher geschrieben und geredet wird. Er machte mir den Vorschlag, dass ich für BuchMarkt regelmäßig einen kleinen Einblick in die Blogwelt geben könnte – und damit war die Idee zu »Kaffeehaussitzers Netzrückblick« geboren. Und vor genau sieben Jahren, am 31. August 2016, ging die erste Kolumne online. Daher ist dies der 84. Netzrückblick mit frischen Fundstücken aus den Literaturblogs.
Wie in jedem August wurde auch 2023 die Longlist für den Deutschen Buchpreis verkündet. Im Blog intellectures gibt es eine lesenswerte Analyse der Liste mit viel einordnenden Detailinformationen. Zwei Tage nach Bekanntgabe der Longlist hatte ich das große Vergnügen, in der Hamburger Buchhandlung stories! mit Simone Finkenwirth und Frank Menden über die zwanzig Bücher zu sprechen, zu plaudern, zu diskutieren. Es war ein wunderbarer Abend, in meinem Blog Kaffeehaussitzer ist daraus ein Text mit ganz persönlichen Einschätzungen der Longlisttitel entstanden.
Einer der nominierten Romane ist »Vatermal« von Necati Öziri, ein Buch, das bei mir schon anhand der Leseprobe in der Longlist-Broschüre auf den Must-Read-Stapel gewandert ist. In Frank Zabels Blog Books and Notes gibt es eine mitreißende Besprechung.
Ebenfalls für den Buchpreis nominiert ist das Buch mit dem etwas sperrigen Titel »Weil da war etwas im Wasser« von Luca Kieser. Der Klappentext klingt so absurd, dass ich da fast ausgestiegen wäre. Aber als ich die paar Seiten der Leseprobe las, war ich hingerissen von der wunderbar poetischen Sprache, die sofort einen ganz eigenen Sog entwickelt. Im Blog Leseschatz gibt es mehr dazu zu lesen. Und das macht richtig neugierig.
Hongkong als literarischer Handlungort kommt – zumindest im mitteleuropäischen Buchmarkt – relativ selten vor: mit »Meine Stadt« von Xi Xi erleben wir die multikulturelle Metropole in den Siebzigerjahren. Constanze Matthes rezensiert den Roman in ihrem Blog Zeichen & Zeiten.
Von Hongkong geht es nach Island: Durch den Blog Wortspiele erhalten wir von Wolfgang Schiffer immer wieder spannende Einblicke in die äußerst lebendige Literaturszene der Insel im Nordatlantik. Diesmal lernen wir die Autorin Magnea J. Matthíasdóttir kennen. Und eines ihrer Gedichte.
Im August bin ich auf zwei Graphic Novels aufmerksam geworden, die wohl in meine kleine Sammlung einziehen werden. Zum einen ist dies »Das Verschwinden des Josef Mengele« – Matz und Jörg Mailliet haben den Roman von Olivier Guez grandios graphisch umgesetzt. Vorgestellt wird der Band im Blog Travel Without Moving. Und zum anderen ist es die durch die Autorin Julia Korbik und die Illustratorin Julia Bernhard als Graphic Novel verfasste Biographie von Simone de Beauvoir: »Ich möchte vom Leben alles«. Besprochen wird sie im Blog Mint & Malve.
Im Blog Poesierausch bespricht Stefan Diezmann den Roman »Gewässer im Ziplock« von Dana Vowinckel – ein Buch, dass sich nicht nur meiner Meinung nach hervorragend auf der Buchpreis-Longlist gemacht hätte.
Literaturpalast ist ein Blog, der sich ausschließlich mit Literatur aus Osteuropa beschäftigt – und Tino Schlench sorgt damit immer wieder für spannende Entdeckungen. Wie zum Beispiel mit dem Roman »Zoo« von Victor Schklowski; der Aufbau und die sprachliche Gestaltung der Rezension sind dabei eine wunderbar augenzwinkernde Hommage an das Werk.
Birgit Böllinger schreibt über das Buch »Falls ich da war, habe ich nichts gesehen« von Michela Marzano. Das freut mich nicht nur, weil es im Eichborn Verlag erschienen ist, für den ich arbeite – sondern vor allem, weil ich es für ein äußerst wichtiges Werk halte. In dem es darum geht, wie durch Geschichtsvergessenheit das Gift des Faschismus eine Gesellschaft prägt und tief in sie einsickert. Bis heute.
Im Blog Binge Reading & More stellt Bloggerin Sabine Delorme ihre Lektüreliste des – nun schon fast vergangenen – Sommers vor. Und sie ist ziemlich abwechslungsreich.
Wie kann man Neugier auf die Lektüre von Klassikern wecken? Im Blog Phantásienreisen steht ganz genau, wie nicht – mit feiner Ironie, in der man viele Verhaltensmuster wiedererkennt.
Bücher abbrechen, wenn der Funke nicht überspringt? Unbedingt, die Leselebenszeit ist zu kurz, um sie zu verschwenden. Im August gab es gleich zwei Blogbeiträge zu diesem Thema: Auf Bleisatz berichtet Bettina Schnerr von ihren aktuell abgebrochenen Lektüren. Und in meinem eigenen Blog Kaffeehaussitzer erzähle ich von Büchern, die ich in den letzten Jahren abgebrochen habe; manchmal aus vollkommen irrationalen Gründen.
In der Hoffnung, dass Sie die Lektüre dieser Kolumne nicht vorzeitig abgebrochen haben, wünsche ich Ihnen alles Gute und verabschiede mich für dieses Mal.
Uwe Kalkowski ist seit über 25 Jahren in der Buchbranche tätig und kennt sie aus unterschiedlichen Perspektiven: Als Buchhändler, als Absolvent des Studiengangs Verlagswirtschaft in Leipzig und als Mitarbeiter verschiedener Verlage. Seit August 2019 arbeitet er als Produktmanager für den Eichborn Verlag in Köln. In seinem Blog Kaffeehaussitzer schreibt er über Bücher, Literatur und Leseerlebnisse und stellt in der monatlichen Kolumne »Kaffeehaussitzers Netzrückblick« auf buchmarkt.de lesenswerte Fundstücke aus den unterschiedlichsten Literaturblogs vor. »Vollkommen subjektiv, handverlesen und rein persönlich ausgewählt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit, denn eine solche kann es in einer so vielschichtigen Szene gar nicht geben«, wie er sagt.