Liebe Freunde,
willkommen in meinem Freitag. Ich zog heute im Industriegebiet Sachsenpark die Gardinen auf, um dies zu sehen:
Wir hatten durchaus schon Leipzigmessen im verschneiten März, aber dann lag der Schnee meist schon. Hingegen wog uns der sonnige Donnerstag völlig in Sicherheit. Oliver Zille sagte schon bei der Messepreisverleihung in der Glashalle begeistert, dass Petrus der wichtigste Spieler sei.
Und ich wollte mich schon freuen, dass ich auf dieser Messe noch niemanden mit Büchertrolley vor mir herkriechen sah.
Hinzu kommt die Verstopfung der Innenräume, weil bei diesem Klondyke-Wetter keiner mehr den schönen Außenbereich begeht. Schneesturm macht die Hallen klamm und eng.
Nun gut, es ist eben Wetter. Noch niemand ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass uns ein mehrtägiges Schnee- und Eisenbahnchaos bevorsteht, das die Messe einem belagerten Endzeitschauplatz gleichen lässt. Trotzdem (oder drum) wurde dieser Freitag extra gemütlich: Ich habe gekuschelt bei BLV und dtv, Menschen und Verlage getroffen, einen Internetfachmann interviewt und die Leipziger Whiskyrunde im dritten Jahr eröffnet.
Mein Frühstück beim Bayerischen Landwirtschaftsverlag
Zu den heiligsten Messetraditionen gehört meine artige Audienz beim Frauenhaus BLV. Der Bayerische Landwirtschaftsverlag ist längst seiner Historie entwachsen und präsentiert sich als pfiffiger Zeitgeistlebensführungssachenmachenverlag mit Stil und Witz; man merkt dem Laden an, wieviel Freude die Damen dabei haben, Bücher zu machen.
Zu jeder Messe wird eine neue Kampagne mit Gimmicks, Präsenten und Leckereien beworben – die Marketingpakete von BLV sind berühmt. Im Mittelpunkt steht das Prinzessinnenkochbuch, um das sich allerlei rosafarbene, glitzernde, gepunktete und barocke Gestaltungen und Ideen ranken. Pralinen zum Beispiel, Konfiserie, prinzessliche Teekannen, zumal auf dieser Messe ja auch eine echte Prinzessin angekündigt war.
Als anderes neues Trendthema hat BLV endlich die Menstruation ausgemacht. Man freut sich schon darauf, ein Thema, das sich noch nicht zum Buche geeignet hat, endlich mal zeitgemäß anzubieten.
Beachten Sie bei dem Arrangement vor Verlagsleiterin Antje Wolf und mir auch den goldenen Rucksack, der die aparte Teekanne im Original enthält.
Und hier noch die ultimative Antwort, was eine Öhrchen-App anrichtet, wenn das Motiv bereits Öhrchen trägt:
Ich bedanke mich sehr für den Kaffee und das Himbeertörtchen und all die feinen Gaben, und ich freue mich schon wieder sehr auf unser nächstes Treffen in Frankfurt mit BLV, dem Verlag für Prinzessinnen und Blutung.
Nur machen Sie bitte diese Schnauze aus meinem Gesicht.
Andere Verlage und Stände
Buchmessedirektor Oliver Zille pries den Stand des Schwerpunktlandes Rumänien, und tatsächlich ist die Präsentation sehenswert. Leipzig ist ja in den Präsentationen immer eher etwas zurückgenommen, während Frankfurt immer gleich einen ganzen Pavillon installiert, aber der Leipziger Rumänienstand lädt nicht minder zum Begehen und Erforschen ein.
Ich bin sicher, das hat einen schöneren Namen.
Als nächstes erwähne ich Edition XXL, wo ich zwar bereits satt eintraf, aber dennoch Platz für einen Kaffee hatte. Der Odenwälder Vielfaltsgünstigverlag bietet z.B. unter der Hausmarke tosa das beste Odenwaldbuch aller Zeiten für nur 5,- € an.
Dann erlaube ich mir, auf den Leipziger Lesekompass der Stiftung Lesen hinzuweisen. Bestellen Sie sich die drei Altersgruppenprospekte für Ihre Buchhandlung; und bestellen Sie auch die empfohlenen Bücher aus diesen Prospekten!
Oetinger-Verlag: Mit Tina Dulleck hat das hässliche Sams hat nun endlich eine neue Illustratorin.
Und nebenan, bei Thienemann, gibt es eine besondere Hotzenplotz-Aktion: Man solle die Augen offen halten nach Hotzenplotz-Aufstellern, die in der Halle versteckt seien.
Da, ich habe einen gesehen, nein sogar drei:
Mein zweites von vier Messe-Interviews:
Schlecky Silberstein ist keine Ziege.
Schlecky Silberstein ist ein witziger Comedy-Autor und Online-Kolumnist, dessen Netzkolumnen über alles, was sich im weitesten Sinne unter Kulturbeobachtung zusammenfassen lässt, beliebt und oft geteilt, wo nicht sogar geshared und auch geliked wird. Bei Knaus brachte er seine Analyse und Aufklärung Das Internet muss weg heraus, ein alarmierendes Buch über a) die Art, b) den Sinn und c) die Folgen der Mechanismen, mit denen man uns Klicks und Postings entlockt.
Das ist ein ganz schönes Paket, und ich musste ganz schön schlucken bei der dennoch faszinierenden Lektüre.
BuchMarkt: Ich sagte meiner Frau, dass ich ein Interview mit Schlecky Silberstein habe, und sie fragte: „Ist das eine Ziege?“
Schlecky Silberstein: (lacht höflich)
Wo kommt der Name her? Ist das ein Arbeitsname?
Weil ich im Hauptberuf Comedy-Autor bin, habe ich mir ein Pseudonym zugelegt. Man kann ja immer mal in irgendwelche Fettnäpfchen treten, und dann kann man seinen Namen verbrennen. Weil ich zwei Kinder habe, habe ich mir diesen Künstlernamen ausgewählt, damit die davon nicht betroffen sind.
Aber der Name ist ja mittlerweile auch eine Marke: Dein Blog ist bekannt, man hat schon mal von Schlecky Silberstein gehört –
…bis auf Deine Frau.
Ja, aber „Schlecky Silberstein“, was soll denn das?
Angefangen habe ich ja mit einem Blog, und ich erinnerte mich an eine Geschichte meiner Großmutter. Die erzählte mir von einem Herrn Silberstein, der im Warschauer Ghetto erheiternde Sprüche an die Wände gekratzt und gemalt hat. Das war ja so eine Art frühes Bloggen. Und den Schlecky habe ich mir dazu erdacht in einer freien Assoziation.
Du fasst mit Deinem Buch ein paar heiße Eisen an. Gibt es da Gegenwind?
Ja, aber diese Art Gegenwind verstehe ich gar nicht: Es gibt Leute, die sich am Titel stören. Ich glaube aber nicht, dass die glauben, dass ich denen irgendwas wegnehmen will. Es ist ja auch kein Buch gegen etwas, sondern ein Buch, das für eine Sache eintritt.
Ist der Titel dann nicht ein wenig laut gewählt?
Es geht mir bei dem lauten Titel darum, dass wir ein wenig Abstand nehmen von dem Optimismus dem Internet gegenüber. Es gibt einfach Dinge, die mich besorgen, und dann muss ich das auch so aufschreiben. Es gibt erstaunlich viele Mails von Leuten, die sich aufregen, aber die das Buch gar nicht gelesen haben. Denen reichen im Prinzip der Titel und ein paar Interviews vielleicht.
Und was ist mit Gegenwind von den Großen, den Bösen? Google und Facebook?
Nein, nö, um Gottes Willen.
Wissen die denn, was Du da schreibst?
Die wissen das schon deshalb, weil ich es auf GoogleDocs geschrieben habe. Die bei Google haben es bestimmt zuallererst gelesen, haha. Nein, im Ernst: Ich bin ein kleiner Fisch, und ganz ehrlich glaube ich auch, dass Google und Facebook dankbar sind über die Debatte.
Warum sollten sie?
Weil es in der Rezeption von Google und Facebook auch gewaltige Missverständnisse gibt, und weil die Firmen ein Interesse daran haben, von außen objektiv dargestellt zu werden. Google und Facebook müssen sehr agressiv vorgehen, um am Markt zu bleiben. Das ist ja erst mal ein marktwirtschaftliches Dilemma: Hier geht es ums Überleben. Ich sage ja nicht, dass die Internetriesen die mentale Gesundheit der vernetzten Welt absichtlich aufs Spiel setzen. Aber hier entstehen Nebeneffekte, die ich beschreiben will. Es entstehen Dynamiken und Unterdynamiken und Schmetterlingseffekte. Vielleicht wären Google und Facebook dankbar, wenn es internationale Regelungen gäbe, wie man Userdaten schöpfen darf. Dann müsste man sich auch im Konkurrenzumfeld daran halten. So aber ist jeder Big Player gezwungen, so agressiv wie möglich vorzugehen, um Userdaten zu generieren.
Wie realistisch es es denn, dass sich solche Regelungen finden lassen? Aus dieser Geschichte kommen wir doch gar nicht mehr heraus, oder?
Das Internet wird sich sicher nicht mehr abschaffen lassen. Aber Google und Facebook (und wer sonst noch alles auf den mächtigen Servern sitzt) sollen nicht immer alles zum Betriebsgeheimnis erklären. Die Algorithmen, die Arten und Weisen, wie Daten geschöpft werden, wie Filterbubbles entstehen, das darf einfach kein Betriebsgeheimnis mehr sein. Das kann die Politik fordern, wenn es an die Gesundheit der Nutzer geht. Das ist schwierig, gerade bei diesen Konzernen, aber versuchen sollte man es.
Nun versteht sich das alles über den Weg der Erkenntnis. Was Du da über Suchtmechanismen und ihre gezielte User-Anwendung schreibst, leuchtet alles ein. Aber wenn tatsächlich ein Suchtproblem vorliegt, dann hilft ja Erkenntnis nicht.
Das stimmt, und Online-Sucht fühlt sich auch erst mal nicht gefährlich an. Ein Fixer weiß ja wenigstens, dass er süchtig ist. Deshalb will ich ja die Wirkweisen erklären. Es gibt ein Suchtsystem in unserem Gehirn, und die reichsten und mächtigsten Menschen der Welt arbeiten daran, das gezielt auszunutzen, damit wir täglich Daten erzeugen. Aufklärung muss sein. Ich will ein Verständnis erzeugen für die Dinge, die da zwischen Kopf und Bildschirm ablaufen.
Die andere Seite von „Ich bin nur ein kleiner Fisch“ ist aber: Du bist ein kleiner Fisch immerhin bei Random House, und Du triffst ja mit Deinem Buch offensichtlich einen Nerv. Hast Du schon Rückmeldungen von Teenagern bekommen?
Leider nicht. Das würde mich ja besonders interessieren. Teenager sind eigentlich für Fakten empfänglich, und eigentlich werden sie nicht gerne beschissen. Das Interesse müsste da sein.
Wieviel wusstest Du im Vorfeld über all das – oder besser gefragt: Wie sehr und wie oft warst Du beim Recherchieren überrascht?
Ich wusste gar nichts. Ich hatte zunächst nur einen Verdacht aus Erfahrung, und dann wollte ich es ganz genau wissen, und dann war es eine Überraschung nach der anderen. Das war für mich beim Schreiben selber spannend.
Was hat der kleine Schlecky gelesen, als es noch kein Internet gab?
Clever & Smart. Ich habe nicht viel gelesen, ich war Zocker.
Der Carlsen-Verlag bringt die Reihe nun neu heraus!
Hammer!
BuchMarkt dankt für dieses Gespräch.
Frau Bolkart wird vertreten
Frau Bolkart ist die verheiratete Theresa Schenkel bei dtv, bzw. auf dieser Messe eben nicht bei dtv, sondern im Moment fern, genesend und verheilend, jedenfalls ist sie nicht hier, aber sie hat auch ferngesteuert Sorge getragen, dass Frau Boron und Frau Schmiedeknecht mich bei dtv, dem Hausverlag von Dora, Jussi und Rita, umhegen.
Zum Beweis, dass man mich hier in Frau Bolkarts Sinne gut behandelt hat, sende ich folgendes Journal:
Sie sehen also, liebe ehemalige Frau Schenkel, dass Frau Boron und Frau Schmiedeknecht sich hervorragend um alles gekümmert haben. Besonders um die Suppe, das Stinktier und mich.
Wen man alles trifft hier! Rubrik: Leute
Das ist der Mann, der das ganze Magazin BuchMarkt und mich mit erfunden hat: Christian von Zittwitz.
Das sind Marketing, Vorstand und Geschäftsführung der ebuch e.G.
Das sind Informationsdienstleister und geschätzter Kollege Matthias Koeffler und Coach Ellen Braun bei einer zweistündigen Veranstaltung zum Thema Handelsvernetzung in der Innenstadt.
Im Anschluss folgt eine Podiumsdiskussion zum Thema Wer hat denn auf einer Buchmesse zwei Stunden Zeit?
Das sind zwei charmante Frohnaturen: Links der sogenannte Messe-Mayer, rechts Marcel Ramirez vom OIO-Verlag.
Lothar Sand, Profilierungsreferent des Börsenvereins, und Dr. Torsten Casimir, Chefredakteur des Börsenblatts. Und halt ich.
Hier Frau Dr. Reinhilde Ruprecht von Edition Ruprecht in ihrer Originalverpackung:
Die Whiskyrunde
Eine völlig grundlos entstandene Tradition seit drei Jahren, also fünf Messen, ist die geheime, inoffizielle, namenlose Whiskyrunde am Ende der Messe. Manche setzen sich auch nur aus Geselligkeit dazu, obwohl sie gar keinen Whisky mögen, was ich zutiefst verachte.
Aus Klugkeitsgründen dem Internet gegenüber werden in dieser Rubrik absichtlich keine Namen genannt.
Nachdem die sächsische Hallenaufsicht unsere kleine Flüster- und Gluckerrunde ausgehoben hat, stoßen wir beim Rausgehen auf die letzten Sitzenbleiber bei Suhrkamp…
Und dann das Wunder von Leipzig: Am verlassenen Rowohlt-Stand hat man Opfergaben zurückgelassen und offensiv zum Gang hin präsentiert! Würstchen! Senf! Ketchup! Brezn! Würstchen! Und Würstchen. Alles im Dunkeln, aber ein Spot auf den Würstchen. So sieht eine Falle aus.
Danke, Rowohlt.
(Nur wenige Minuten vorher:
„Was sollen wir denn mit den übrigen Würstchen machen? Wir sind alle satt, und Wegwerfen wäre ja schade.“
„Komm, stell sie an den Rand vom Messestand, und mach die kleine Lampe an. Man sagt sich, der Messe-Mayer streiche nachts hungernd durch die Hallen.“
„Oh, wirklich? Wie unheimlich. Hoffentlich markiert er nicht unseren Stand.“
„Doch, hoffentlich tut er das. Die Messegeister sollen Dir gewogen sein, wenn Dein Stand gemayert wurde.“
„Skadi steh uns bei.“)
Zum Geleit
Und das war mein Leipziger Messefreitag. Wahrscheinlich wird es am Samstag voll.
Und ich hatte Ihnen ja abschließend versprochen, dass der BLV-Goldrucksack und dieses entsetzliche Wetter hervorragend zusammenpassen:
Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Messe-Samstag! Sehen wir uns bei der Prinzessin? (Ohne die Prinzessin natürlich.)
Herzlichst,
Ihr Matthias Mayer
Rumänen, die Sie nicht auf dem Schirm hatten, Teil 3 von 5:
Whisk(e)y aus Plastikbechern … – Banausen! 🧐
Das ist eine Betrachtung, die den Hergang dieser Tradition falsch aufrollt: Was zuerst da war, waren ja in der Tat die Plastikbecher, die die unbefriedigende Genusswelt des Personals hinter den Kulissen adäquat abbildet; und um diesen Missstand sowohl zu unterwandern als auch zu belegen, befüllen wir die Plastikbecher symbolisch mit einer wertigen Flüssigkeit, die wir dann symbolisch austrinken.
Bzw. es waren grad keine Gläser da.
Wenigstens en Laphroaig. Da kann man fast über die Becher hinwegsehen. Aber nur fast…
Laphroaig war das einzige, was wir nicht in die Plastikbecher gießen konnten, weil das sofort den Boden wegätzte.