Liebe Freunde,
beim Durchsehen meiner Fotos und Notizen erstaunt es mich ja selber ein wenig, wieviel Raum das Wetter heuer einnimmt. Aber dieser krasse Kälteeinbruch, der so feucht, so harsch, so stürmisch ist, nimmt mir fast die Sicht auf die Literatur.
Eiszapfen säumen auch das äußere des Hallengangs:
Lassen Sie sich durch die schweigende, schneeige Weite und Stille dieser Bilder nicht täuschen: Ohnehin ist der Verkehr um die Messe herum bereits chaotisch gewesen, weil die Zufahrten für Taxen, Busse, Rikschas und Tretroller geändert wurden, aber durch die schneeverstopften, matschverschmierten Straßen kommt erst recht alles zum Erliegen.
Im Hotelfoyer standen bestimmt 20 Messegäste und warteten auf ihre Taxis, die sie irrsinnigerweise alle einzeln gerufen hatten, wo doch bei Autobahnunfällen und Messestau kein einziges den Weg hierherschafft.
Ich selbst habe mich frohen Mutes und kälteliebend zu Fuß auf den Weg gemacht, was ich nach nur drei Schritten bereits bitter bereute, aber ich konnte ja nicht zurückkehren zu den Schafen in der Hotellobby.
Auch der beliebte Außencateringbereich zwischen den Hallen hat nahezu aufgeben müssen; und Meldungen von steckengebliebenen Zügen erreichen mich von Heimfahrern, die in ihrerseits in diesen steckenbleibenden Zügen steckenbleiben.
Doch mag die Messe auch eingeschneit sein, pfeifend und heulend umstürmt, ich muss da heute hin, weil ich eine Stunde lang Standdienst leiste, weil ich mein drittes Messe-Interview führen will und weil ich eine Audienz beim königlich norwegischen Botschafter habe.
Und das ist doch wieder mal ein Programm! Folgen Sie mir in meinen Samstag.
Standdienst als Nachbar von Droemer Knaur
Ich übernehme sehr gerne mal eine Stunde Standdienst beim BuchMarkt, weil es mich erdet. Das alltägliche Herumgerenne macht Spaß, aber gerade deshalb fühlt es sich gesund an, mal eine Stunde lang an einem Ort zu bleiben.
Zudem man auch so die guten Leute trifft:
Und nur am Stand von BuchMarkt kann es geschehen, dass mich eine fremde Hand an den Öhrchen krault und in Robert DeNiros Stimme sagt, wie weich diese Öhrchen seien.
Denn Christian Brückner und seine Frau sind gern gesehene Gäste bei uns.
Indes: So ruhig ist das gar nicht, denn unser Nachbar ist Droemer Knaur, und bei Droemer Knaur ist immer etwas los.
Bemerkenswert sind immer die Fitzekschlangen, die sich bereits Stunden vor dem Eintreffen des Autors um mehrere Standlängen schlängeln.
Hier ein besonders cleverer Kollege:
Und Sebastian Fitzek ist an einem Samstag natürlich nicht der einzige Prominente dort: Fitness- und Ernährungs-Influencerin-Schrägstrich-YouTuberin Anne Kissner und ihr Entsafter geben ein Interview zum neuen Buch Bodyfood.
Dann geschieht Großartiges: Dr. Hans-Peter Übleis betritt die Szene, der frühere Verleger. Mein Chefredakteur, Christian von Zittwitz, hat eine glänzende Idee: Übleis solle Süßigkeiten unter den wartenden Lesern verteilen. Und noch bevor Übleis sagen kann, dass er darauf keine Lust hat, kriegt er unseren Keksteller in die Hand gedrückt und wird in die Meute geschubst. Ich muss noch jetzt darüber lachen, während ich es niederschreibe.
Zu alledem ruft plötzlich noch jemand in meiner Stimme: „Werte Gäste, liebe Leser von Sebastian Fitzek! Der frühere Verleger Dr. Übleis wird nun Süßigkeiten an die Wartenden verteilen!“
Und schon ist meine Stunde Standdienst vorbei. Ohne mich zu bewegen, habe ich großartige Fotos bekommen und wurde von DeNiro an den Ohren gekrault. Und weiter geht es zu Thienemann.
Mein drittes von vier Messe-Interviews: Ralph Caspers
Ich habe heute mehrere Gründe, zu Thienemann zu gehen: Der Stuttgarter Hausverlag deutscher Klassiker wie Jim Knopf, Räuber Hotzenplotz, Robbie, Tobbi und das Fliewatüüt aber auch moderner Figuren wie Rabe Socke will mich auf die Hotzenplotz-Aktion hinweisen, über die ich bereits gestern berichtet habe, haha.
Außerdem signieren dort heute Rainer Wekwerth und Thariot:
Außerdem treffe ich dort halbzufällig die YouTuberin und liebe und quirlige Bloggerkollegin Lea Kaib, die auf Messen immer gerne von Jugendbuchverlagen gebucht wird:
Und gucken Sie mal, wie heftig:
Und gucken Sie mal, wie süß:
Und gucken Sie mal, Ralph Caspers, der Kinderprogrammtyp!
Bekannt ist Caspers aus Wissen macht Ah! und der Sendung mit der Maus, deshalb hätte ich eher ein kluges Sachbuch erwartet, aber Wenn Glühwürmchen morsen ist eine zauberhafte Sammlung von Gute-Nacht-Geschichten, die alle von der kleinen Greta (und ihrer Familie) handeln und deren Zauber fein, klug, dosiert und gelungen ist.
Ralph Caspers: Sie haben aber ein kleines Diktiergerät. Das würde ich sofort verlieren.
BuchMarkt: Ich HABE ja mein altes Diktiergerät verloren.
Und da haben Sie sich gleich ein viel kleineres gekauft.
Können Sie leben mit „Ralph Caspers, der Kinderprogrammtyp“?
Ja, damit kann ich gut leben. Es gibt Schlimmeres.
Sie sind ausweislich des Klappentextes „wahrscheinlich 1972“ geboren – sind Sie adoptiert?
(überlegt)…tja, das ist eine gute Frage. Nein, meine Mutter war dabei bei meiner Geburt. Ich war auch dabei, aber ich kann mich komischerweise an nichts mehr erinnern. Meine Mutter erzählt die abenteuerlichsten Geschichten, die sich um meine Geburt ranken. Ich weiß nicht, ob das alles stimmt, aber man soll ja seinen Eltern glauben. Sie erzählten mir, dass sie …Hippies waren. Sie sind ausgewandert. (überlegt weiter) …ausgewandert jenseits von Zeit und Raum, und sie haben weder auf den Kalender noch auf die Uhr geschaut, als ich auf die Welt kam. Und das muss irgendwann zwischen 1972 und 1975 geschehen sein.
Aber an welchem Datum feiern Sie denn dann Ihren Geburtstag?
Wir haben immer… (Caspers wird schwärmerisch) …an schönen Tagen gefeiert. Wenn das Wetter gut war, haben wir gefeiert. Wir haben dann mit den Gästen historische Ereignisse in kleinen Theaterstücken nachgespielt. Das ergab einen interessanten Nachmittag, meistens.
Wie schön Sie gerade so eben nicht ins Schwimmen geraten, während Sie sich diese Antworten ausdenken.
Doch, doch! Wenn wir am 15. März gefeiert haben, dann haben wir die Ermordung Julius Cäsars nachgespielt. Dann war einer Brutus, einer musste halt Cäsar sein, und so haben wir Geschichte in Geschichten gepackt.
Und genau so liest sich Ihr Buch: Denkt Greta sich das gerade aus, oder fliegt sie wirklich übers Haus? Es gibt da eine kleine, liebenswerte Grauzone zwischen Fantasie und Fantasy in der Kinderwelt Ihrer Greta.
Ich mag es sehr, wenn solche Sachen zusammenkommen: Ist das gespielt oder ist das ausgedacht oder ist das wahr? Ist es echt, ist es unecht? Das finde ich immer reizvoll.
Sie mögen angeklebte Bärte, heißt es. Haben Sie über das Trendthema Bartwuchs schon mal einen Kinderbeitrag gemacht?
Ja, wir hatten mal einen Beitrag über Werwölfe. Und wir haben schon mal die Frage behandelt, ob häufiges Schneiden den Bartwuchs fördert.
Das tut es nicht.
Das tut es nicht. Oder wir haben erklärt, warum Haare im Gesicht ganz anders wachsen als auf dem Kopf. Doch, wir reden oft über Haare.
Wie gefallen Ihnen denn meine Öhrchen?
Sehr gut. Von hinten denkt man, sie hätten einen Bad Hair Day, aber von vorne ist es ja dann etwas ganz anderes. Ich mag das. Auch da verschwimmt die Realität mit der Fiktion.
Ihr Buch enthält lauter Kurzgeschichten aus dem Leben des Mädchens Greta und wie sie die Welt erfährt, anstatt eine lange Geschichte mit großem erzählerischem Bogen. Wie kam es zu dieser Form? Sind Sie schreibfaul und können es nicht besser?
(lacht) Ich könnte nun zugeben, dass ich auch bei meinen Moderationen sehr knapp bin und dieses Prinzip verinnerlicht habe. Aber ehrlich gesagt sind die Sachen ja entstanden, als ich meinen Kindern Geschichten zum Einschlafen erzählt habe. Deshalb kam es zum Format von zwei, drei Seiten, das ist genau die richtige Länge, um abends runterzukommen.
Die Geschichte von dem Kind, das im Keller Fliegen züchtet, ist ja ein wenig unheimlich…
Das ist richtig eklig, aber nicht gruselig. Aber ich mochte schon als Kind Gruselgeschichten.
Aber sie endet ja niedlich: Die Fliegen tragen dann den Teppich, auf dem das Kind fliegen will, und alle sind verblüfft und beruhigt. Aber warum ist jede Ihrer Geschichten mit einem Kofferwort betitelt?
Das ist Absicht. Kofferwörter bieten so herrliche Möglichkeiten. Man packt viel in einen Koffer rein, und man kann auch viel in Kofferwörter packen.
Gibt es eine blöde Fragen, die Sie nicht hören wollen, oder tolle Fragen, die man Ihnen noch stellen muss?
Ja, die gibt es. Aber die Fragen, die man mir noch nicht gestellt hat, die kenne ich noch gar nicht, und die blöden Fragen habe ich vergessen.
Ihr Buch ist für kleine Kinder, aber Sie haben ja auch eine Geschichte über das Möbiusband eingebaut?
Das ist mein Traum. Ich möchte einmal eine Achterbahn wie ein Möbiusband bauen, so dass man nur einmal anstehen muss, aber die doppelte Strecke hat.
Und für immer fahren kann!
Es bleibt ein Traum.
Superheldenparty bei dtv und Panini
Keine Angst, nicht bei dtv direkt, nicht am schönen holzgetäfelten, beteppichten, bepflanzten stilvollen Messestand. Nein, dtv hat in Zusammenarbeit mit Panini eine Mehrzweckfläche im CongressCenterLeipzig, dem sogenannten CCL, klargemacht und allerlei CosPlay-Attraktionen aufgeboten.
Zum Beispiel einen fetten Büchertisch mit dem neuesten Buch über Wonder Woman. Gebunden.
Eine echte Comiczeichnerin:
Und da, die hatten sogar Reliefplakate!
(Könnt Ihr mir eins aufheben? Kann ich so ein Wonder-Woman-Relief-Plakat kriegen? Oh, DAS wäre toll.)
CosPlayer lieben Foto-Aktionen. Sie stellen sich in Posen…
…oder in Posen.
Oder auch so: Gewiss mögen Sie denken, dass ich den Schild falsch herum halte.
Aber nein, ich halte den Schild nicht falsch herum. Ich bin der Einzige, der ihn richtig herum hält. Denn da steht natürlich MM drauf.
Hier kollidiere ich mit einem Projektionslichtkegel:
Hier das passende Gegenstück, das die andere Seite meiner Lichtkegelkollision abbildet:
Der eigentliche Bienenstock der CosPlayer ist am Samstag und am Sonntag die Halle 1. Dass Ihr trotzdem und trotz des Wetters mehr als ein paar Streuner und Beißer anlocken konntet und ordentlich die Musik aufgedreht habt, war nicht schlecht, dtv!
Erst wollte ich schreiben „die Mucke“, aber dann habe ich es gelassen.
Ich schließe mit dem Foto von dreien der Mitarbeiterinnen vor Ort:
NORLA kommt
Die NORLA ist nicht die Norddeutsche Landwirtschaftliche Fachausstellung, sondern die Organisation Norwegian Literature Abroad. Norwegen hat also ein Literatur-Außenministerium. Und da Norwegen 2019 unser Gast in Frankfurt ist, schickt NORLA schon jetzt seine besten Agenten. Einen Deutschen, einen Isländer, mehrerer Norweger, eine Prinzessin sogar. Die allerdings erkrankte, so dass wir ohne Mette-Marit auskommen müssen.
Aber auch ohne Prinzessin hat die königlich norwegische Botschaft ein Anliegen:
Die Norweger wollen nicht den typischen kurzfristigen Hype bis zur Messe. Die Norweger möchten gerne eng mit dem deutschen Buchhandel zusammenarbeiten, und nicht nur eng, sondern auch praktisch, und nicht nur praktisch, sondern auch früh, und nicht nur früh, sondern auch lang.
Im Grunde wollen die Norweger alles besser machen als alle anderen Gastländer vor Ihnen.
Dominique Pleimling, Eichborn-Chef bei Lübbe, und die norwegische, hochgelobte Autorin Monika Isakstuen
Hier der Projektleiter Halldór Gudmundsson und einer von mehreren Journalisten im Raum.
Halldór hat nämlich damals den awardgekrönten Gastlandauftritt von Island organisiert, und nun macht Halldór bei NORLA mit.
Die Direktorin des Zentrums für Norwegische Literatur im Ausland, Margit Walsø, und der seltene norwegische Waldhase, Mætthiæs Måyør.
Nun, das ist ein Botschafter-Empfang, natürlich trage ich hier auch eine angemessene Krawatte.
Aber ich bin hier nicht der Einzige, der sich nicht zu benehmen weiß, nicht wahr, Frau Sasse (Zweitausendeins) und Frau Ongsiek (Zweitausendzwei)?
Echt jetzt, Leute, reißt Euch zusammen. Diese Dinger trage ich nun schon seit Jahren.
Und so etwas hätte ich auf einem Botschafter-Empfang ja nun auch nicht erwartet. Das sieht ja aus wie auf einer Messe.
Und hier: Königliche Vespereien. Es traut sich nur keiner, das königlich norwegische Buffet des Botschafter-Empfanges anzurühren.
Bevor eröffnet wurde? Ja, wer hat denn einfach schon –
Ich muss also zusammenfassen: Ich komme mit diesen Ohren und einer beispiellosen Siebziger-Jahre-Krawatte auf einen königlich-norwegischen Botschafter-Empfang und stürme als erstes das noch nicht eröffnete Buffet. Und was passiert?
Und schon habe ich – mampf, kau – einen Norwegenflug in der Tasche. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie das passieren konnte. Oder was ich in Norwegen soll. Ich bin der Chauncey Gardiner des modernen Branchenjournalismus.
Und das war mein Samstag.
Zum Geleit durch Eis und Schneis
Einige von Ihnen waren schockiert, weil ich gestern bei Edition XXL nur einen Kaffee getrunken habe. Seien Sie versichert, dass dieser Kaffee in diesem Moment genau das war, was ich brauchte.
Aber natürlich konnte ich heute noch nachbessern, damit Sie sich beruhigen können:
Als ich bei ars Edition vorbei ging, sagte ich ebenfalls kurz Hallo, aber obwohl niemand vor mir an der Theke stand und am Stand kein Star zu sehen war, war doch ein unruhiges und ungeduldiges Gedrängel um mich.
Ich fragte, was denn hier los sei?
Und ars Edition sagte: Hier gibt’s gerade was gratis, und Sie stehen davor.
Aber die Antwort von ars Edition war gut. Auf den Punkt. Lösungsorientiert.
Das Wetter hat sich gegen Abend etwas beruhigt. Es stürmt nur noch mäßig laut, die Temperatur ist nur noch saukalt, und es fliegen einem keine gefrorenen Kühe mehr ins Gesicht, wenn man grad nicht aufpasst. Züge nach Frankfurt brauchen nur noch etwa zwölf Stunden.
Auch ich stapfe wie Knecht Ruprecht durch den Schnee, mein sinnloses Mietfahrrad geschultert, und blicke auf eine harsche Märchenlandschaft.
Irgendwo in einem dieser Züge in die Ewigkeit sitzt Maren Ongsiek vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels und fotografiert aus Verzweiflung Bahnhöfe im Nirgendwo unter schlechten Lichtbedingungen.
Das hier sind übrigens die echten Powerpuff-Girls:
Und jetzt ist genug gealbert für heute, ich will mich noch in Ruhe auf den Sonntag vorbereiten. (Also tot umfallen und vierzig Stunden schlafen.)
Auf einen gemeinsamen letzten Tag,
Ihr
Matthias Mayer