Wir brauchen keine Zäune, Gräben, Mauern – wir können Türen öffnen in den Köpfen der Kinder

Am Donnerstagabend hatte der Arbeitskreis für Jugendliteratur in die Internationale Jugendbibliothek in München eingeladen, um mit einem Autorenabend 60 Jahre Deutscher Jugendliteraturpreis zu feiern. Rose Lagercrantz (Schweden), Iva Procházková (Tschechien) und Martin Baltscheit (Deutschland) trugen je eine ihrer Geschichten aus dem Jubiläumsband Was ist los vor meiner Tür? vor. Das von Stephanie Jentgens herausgegebene, von Aljoscha Blau illustrierte, fein in Halbleinen gebundene Buch ist bei Jacoby & Stuart erschienen; es enthält 20 Originalbeiträge von Autoren, die mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet oder dafür nominiert wurden.

Internationalität, sprich: Weltoffenheit war die Ausrichtung des Preises von Anfang an, und deshalb war auch die Internationale Jugendbibliothek der richtige Ort, um in diesem Geist sich des Erreichten bewusst zu werden und nach vorn zu blicken, wie IJB-Direktorin Dr. Christiane Raabe in ihrer Begrüßung feststellte.

Drei Geschichten, drei Temperamente: Rose Lagercrantz las mit ihrem herrlichen schwedischen Akzent Mein Kirschbaum; die poetische Erzählung zeigt, wie Kinder aus der Realität eines Lebens im Versteck das Spiel eines „geheimen Kindes“ machen. Iva Procházková, 1983 aus ihrer tschechischen Heimat emigriert und heute dort wieder zu Hause, las und sang ihre Geschichte Beule und die Naturgesetze, die eine mit Heiterkeit begrüßte Lösung für Ich-bestimme-wo-es-langgeht-Politiker schildert: Man packt sie in ein Raumschiff und befördert sie weit fort in den Weltraum. Martin Baltscheit trug mit „Tschiep! Quak! Schnuff! Wuff! I-ah!“ vor, wie hilfreich und befreiend es sein kann, verschiedene Sprachen zu sprechen. Alle drei Autoren schilderten auf ihre Weise die subversive Kraft der kleinen Leute.

Martin Baltscheit brachte es im Podiumsgespräch auf den Punkt: Im Kern geht es um Bildung – und das verlangt nicht, in Kinder hineinzustopfen, was sie wissen sollen, sondern die Türen in ihren Gehirnen zu öffnen, damit sich ihre Denkräume weiten. Und er wurde politisch: Es ist unerträglich, wie schlecht die Arbeit z. B. für Bilderbücher bezahlt wird. Das sei keine Kritik an den Verlagen, die mit der Marktsituation fertigwerden müssen, sondern eine Aufforderung an die Politik, endlich etwas der Filmförderung Vergleichbares für die Förderung des Kinderbuchs zu tun: „Da wird 1 Milliarde ausgegeben, 500 Filme werden produziert, von denen 5 wirklich gesehen werden, und die sind mit Til Schweiger. Das Bilderbuch ist nicht die kleine Schwester der Bildenden Künste, sondern ihre Mutter.“

Beim anschließenden Empfang konnte die reichlich vertretene Szene, also Kritiker, Autoren, Illustratoren und weitere Fachleute des Kinder- und Jugendbuchs noch bis weit in den Abend diskutieren: kritisch und zuversichtlich zugleich, dass sich das Bemühen um Qualität langfristig auszahlt.

Ulrich Störiko-Blume

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