Aus dem aktuellen Mai-Heft (ab Seite 24): Der oekom Verlag feiert in diesem Jahr sein 30. Jubiläum. Mit den von beginn an gesetzten Themen zu Ökologie und Nachhaltigkeit entspricht der Münchner Verlag mehr denn je dem Zeitgeist, der sich u.a. dank #FridaysforFuture dem Klimawandel zuwendet. Wir haben mit Christoph Hirsch, Leiter des Buchbereichs, über die Nachhaltigkeitspolitik bei oekom und innerhalb der Buchbranche gesprochen.
BuchMarkt: Der Klimawandel und Proteste gegen die Klimapolitik machen aktuell Schlagzeilen. Wie wirkt sich das auf Ihren Verlag aus?
Christoph Hirsch: Was unsere Nachhaltigkeitsaktivitäten und unsere Programmausrichtung anbelangt, ändert sich dadurch für uns nicht viel, wir bleiben uns natürlich treu. Aber wir spüren schon, dass unsere Bücher – gegen den Branchentrend – stärker nachgefragt werden. Authentizität und Expertise zahlen sich dann doch irgendwann aus.
Sie haben im Haus eine Stabstelle „Nachhaltigkeit“ eingerichtet. Was verbirgt sich dahinter?
Die Stabstelle NaHa gibt es bei uns seit 2011. Ihre Aufgabe ist es, den gesamten Verlag immer wieder auf unentdeckte Potenziale abzuklopfen und unsere Aktivitäten zu dokumentieren und nach außen sichtbar zu machen.
Welche Prozesse sind von dieser Seite angestoßen worden?
Ganz wichtig waren hier zwei Projekte (Nachhaltig Publizieren: Neue Umweltstandards für die Verlagsbranche; Entwicklung eines Umweltzeichens „Blauer Engel“ für umweltfreundliche Druckerzeugnisse), die wir mit dem Umweltbundesamt initiiert und begleitet haben. Bei beiden Projekten ging es um die möglichst umweltschonende Produktion von Druckerzeugnissen; Resultat des zweiten Projektes war das entsprechende Blaue Engel-Siegel (RAL-UZ 195). Publikationen, die dieses Siegel tragen, sind nach unseren Erkenntnissen die aktuell bestmögliche Option.
Seitdem Ullstein seine Bücher #ohneFolie ausliefert, ziehen immer mehr Verlage nach. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Wir haben bereits 2016 begonnen und sind aktuell soweit, dass wir unser komplettes Buchprogramm ohne Folie ausliefern.
Wie groß ist, aus Ihrer Sicht, der Effekt solcher Maßnahmen?
Die Folie ist sicher ein wichtiger Mosaikstein. Plastik ist ein umweltschädlicher Stoff und jede Reduzierung ist wichtig, aber „Musik“ spielt aus Nachhaltigkeitssicht (und die schaut immer auf den kompletten Prozess bzw. das gesamte Produkt) woanders, nämlich beim Papier.
Die Verlage setzen bislang nur auf das FSC-Siegel, was nichts anderes bedeutet, als dass das Papier aus zertifizierter, „nachhaltiger“ Forstwirtschaft stammt, wobei das beim Siegel FSC-Mix nur zu 70 Prozent zutrifft. Aber: für jedes Blatt aus FSC-zertifizierter Quelle werden Bäume gefällt! Richtig nachhaltig ist daher nur FSC-zertifiziertes Recycling-Papier, das wir schon seit vielen Jahren nutzen.
Nun, wo viele Bücher ohne Folien unterwegs sind, geraten die Schutzumschläge in den Fokus: Wie sinnvoll und nachhaltig sind die?
Wir haben im Frühjahr 2019 unser letztes Buch mit Schutzumschlag produziert, ab sofort gibt es bei uns nur noch Hardcover ohne. Ich denke, dass hier andere Verlage ohne Probleme mitziehen können, denn der Schutzumschlag ist ja nur eine Möglichkeit, ein Buch schön auszustatten. Zudem kostet er Geld und verbraucht Ressourcen. Außerdem „verführt“ er eher zum Einsatz von Folien, da er ja nicht fest um ein Buch herumliegt, sondern durch Transport und Handhabung im Handel beschädigt werden kann.
Einige Verlage werben mit Büchern, die im „Cradle-to-Cradle“-Verfahren hergestellt werden. Können Sie erläutern, was es damit auf sich hat?
Cradle-to-Cradle ist ein von Michael Braungart und William McDonough entwickeltes Kreislaufmodell, bei dem alle Produkte so gestaltet sein müssen, dass sie am Ende ihres Lebenszyklus als Nahrung für das neue Produkt fungieren können. Produkte, die für den biologischen Kreis-
lauf konzipiert wurden, können theoretisch kompostiert werden. Über die tatsächli-chen Effekte lässt sich aber noch wenig verlässliches sagen, weil es an Transparenz beim Herstellungsprozess fehlt.
Welche Alternativen gibt es, nachhaltiger zu produzieren?
Rein produktbezogen haben neben dem Folienverzicht v.a. Bedeutung: das Papier, die Druckfarben und der Ort des Drucks. Aller Folienverzicht wird zur Makulatur wenn in Fernost auf Frischfaserpapieren
ohne jegliche weiteren Umweltauflagen gedruckt wird. Ansonsten experimentiert die Branche mit weiteren Papieralternativen, etwa Gras- oder Apfelpapier. Bis sich derartige Papiere am Markt durchsetzen
können, wird es aber noch lange dauern.
Wo sehen Sie die größten Baustellen?
Der „schlummernde Riese“ sind immer die Akteure selbst. Also Verleger, Hersteller, Vertriebler, aber auch die Autoren. Wir müssen konsequenter handeln und die Prozessketten im Blick behalten. Das kann beim Werbemitteleinsatz anfangen (was brauchen wir wirklich?) und bei Programmentscheidungen und Auflagenhöhen aufhören. Noch drucken
wir alle viel zu viel. Ich denke, wir makulieren in der Verlagsbranche jedes Jahr tausende Tonnen Papier.
Ist digitales Lesen also nachhaltiger?
Es ist immer dann umweltfreundlicher, wenn das Lesegerät oft und langjährig genutzt wird, und zwar am besten mit Ökostrom von hundertprozentigen Ökostromanbietern. Es ist wie bei allen Geräten: die Produktion verschlingt Energie und Rohstoffe und ihre Entsorgung eben-
falls. Um eine Hausnummer zu nennen: Wenn Sie 20 bis 30 Bücher pro Jahr auf Ihrem Gerät lesen, kommen Sie in Regionen, in denen es sich lohnt, aufs E-Book zu setzen.
Haben Verlage als Kultur- und Wissensvermittler beim Thema Klimaschutz eine besondere gesellschaftliche Verantwortung?
Ein großes Thema, ein sehr großes! Was heißt z.B. gesellschaftliche Verantwortung? Das werden Rechtspopulisten und Klimawandelleugner anders sehen als wir bei oekom. Wir stehen für unsere Inhalte und wir wollen diese nicht nur im akademischen Milieu verbreiten. Wir suchen
bei jedem Programm neue Mittel und Wege, unsere Zielgruppen auszuweiten, populär zu sein, anregend, auch giftig.
Das ist unsere Verantwortung: gute Inhalte in Medien anzubieten, auf die möglichst viele Leser Lust haben. Bücher, Zeitschriften, elektronische Angebote.
Welche Rolle spielt der Handel dabei?
Natürlich kann auch der Handel etwas tun, indem er Bücher in den Vordergrund rückt, die aufklären und Wissen vermitteln. Auch
solche, die unterhaltsam mit Ökologie und Nachhaltigkeit umgehen. Nur, Händler müssen Geld verdienen und das tun sie nur, wenn wir ihnen Angebote machen, die über die Theken gehen. Unsere Ratgeber Besser leben ohne Plastik und Noch besser leben ohne Plastik sind solche Ti-
tel. Die haben wir 80.000 und 30.000 mal verkauft. Das ist der Idealfall: Wir transportieren unsere Themen und der Handel (und damit auch wir) verdient damit.
Ganz simpel gefragt: Was ist jetzt zu tun?
Es ist sicher wichtig, auf einen möglichst nachhaltigen Konsum zu achten und selbst im Alltag aktiv zu werden. Solange das aber nur vereinzelt (und ggf. inkonsequent) geschieht, wird das das Ruder nicht herumreißen können. KonsumentInnen müssen sich zusammenschließen und als BürgerInnen auftreten; das bestärkt nicht nur das Gefühl, nicht alleine zu sein, sondern treibt die Politik an, entsprechend zu agieren. Mit anderen Worten: Petitionen unterschreiben, bei Volksentscheiden aktiv
sein und auf Demos gehen, dann wird die Politik reagieren, so war es immer und so wird es auch zukünftig sein!
Die Fragen stellte Jörn Meyer