Aus der Werkstatt der Verlage (V) Christian Strasser: „Bleiben Sie uns gewogen und glauben Sie wie wir fest daran, dass das gedruckte Buch auch diese Krise überstehen wird“

Wir hatten in den letzten Tagen genügend Zeit, in den aktuellen Noviäten-Vorschauen zu blättern und vor allem deren Editorials zu lesen. Diese oft sehr persönlichen Verleger-Blicke auf ihre jeweiligen neuen Programme und auf die Branche derzeit wollen wir hier in loser Folge mit Ihnen teilen. Den Anfang machte Christoph Links, darauf folgten die Editorials von Lucien Leitess, Daniel Kampa und Lothar Schirmer. Heute der Text von Christian Strasser aus seiner Europa Vorschau:

Christian Strasser: „Sicher scheint mir, dass auf uns alle eine Zeit großer Unruhe wartet; disruptive Veränderungen schaffen die bisherigen Systeme, Strukturen und Geschäftsmodelle ab, die neuen sind allenfalls zu erahnen … eine hohe Zeit für die Literatur“

Liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler,

während ich dies schreibe, steht die Welt immer noch still. Der Planet erholt sich. Auch wenn die Buchhandlungen Ende April wieder öffnen konnten, so weiß doch niemand, wie das Leben in den kommenden Monaten und Jahren aussehen wird. Werden die Menschen es schaffen, aus dem globalen Turbo-Rad des immer Schneller, immer Mehr, immer Größer auszusteigen? Oder wird eine lange Rezession angesichts von Klimawandel, Nationalismus und gesellschaftlichen Spaltungen zu einer neuen Art zu denken und zu leben führen? Zu einem neuen Bewusstsein? Und was bedeutet dies für Buchhandlungen und Verlage? Wird es neben den Konzernen noch Raum für Individualisten und Einzelkämpfer geben?

Sicher scheint mir, dass auf uns alle eine Zeit großer Unruhe wartet; disruptive Veränderungen schaffen die bisherigen Systeme, Strukturen und Geschäftsmodelle ab, die neuen sind allenfalls zu erahnen. Bis sie eine berechenbare Basis für unser Zusammenleben bilden, wird es lange dauern. Die Zeit bis dahin wird eine »wilde« sein. Ein Freund meinte, die 20er-Jahre seien nicht nur auf dem Kalender wiedergekehrt, sondern auch in der Realität: Grenzen werden überall ausgetestet, oft überschritten, der Mensch will leben, seine Emotionen und Sehnsüchte, besonders seine Kreativität in aller Radikalität ausdrücken. Eine hohe Zeit für die Literatur.

SPEEDY, der große Roman von Florian Havemann, erfasst den Spirit dieser »wilden 20er-Jahre« meisterhaft: Über 12 Jahre waren der Text und sein Autor im Exil, traute sich kein Verlag, diesen einzigartigen Roman zu veröffentlichen, über den der Träger des deutschen Buchpreises, Clemens Setz, in der FAZ sagt, dass er »in Amerika oder Frankreich längst mit Preisen überhäuft« und ein Bestseller wäre.

So wie die Bücher des Koreaners Un-Su Kim, dessen literarische Thriller in über 20 Sprachen erscheinen. Nach dem schönen Erfolg von Die Plotter folgt im September sein Buch Heißes Blut, intelligent und fesselnd geschrieben – und wie Die Plotter ebenfalls bereits verfilmt. Die Premiere für beide Filme soll noch in diesem Jahr sein.

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Eine Verfilmung erwarten wir auch von den 3 Bänden der großen Widerstandstrilogie, die Buchhändler mit der berühmten Millennium-Trilogie des unvergesslichen Stieg Larsson vergleichen und die im August mit Feuerrache einen fulminanten Abschluss findet.

Eine Sensation ist der autobiografische Bericht von Sayragul Sauytbay über ihre Flucht aus den chinesischen »Umerziehungslagern«, in denen sie nicht nur unvorstellbare Gräueltaten erleben musste, sondern auch Kenntnis über die strategischen Ziele der Kommunistischen Partei erlangte.

Selten hat mich ein Buch so aufgewühlt und mich jemand so beeindruckt, wie diese starke, mutige Frau. Die Welt wartet auf ihren Bericht.

Wildes Denken nennt der Philosoph, Filmemacher und Musiker Rüdiger Sünner sein neues Buch zur Eröffnung des Humboldt Forums, in dem er unserem westlichen dualistischen Weltbild die ganzheitliche, bildhafte, mit der Natur verbundenen Weltsicht indigener Kulturen gegenüberstellt. Vielleicht ist es genau das, was uns verloren gegangen ist und an den Punkt geführt hat, an dem wir heute stehen?

Unter den zahlreichen Büchern, die jetzt über das Corona-Virus erscheinen, nimmt das Buch von Miryam Muhm eine Sonderstellung ein, wagt sie es doch, wissenschaftlich dokumentiert, die Krankheit nicht nur als Lungenentzündung, sondern als eine systemische des ganzen Körpers darzustellen, die anderer Therapie- und Schutzmaßnahmen bedarf. Zudem nennt sie einige »Profiteure« der aktuellen Krise.

Das Jahr 2020 ist jedoch nicht nur das Jahr der Corona-Pandemie, es erinnert uns auch an das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Der Historiker Christian Hardinghaus legt nach dem Erfolg seines Buches Die verdammte Generation, in dem er die letzten Soldaten des Zweiten Weltkriegs zu Wort kommen ließ, nun Die verratene Generation vor, in dem die letzten Frauen dieser dunklen Zeit von den physischen und psychischen Traumata berichten, unter denen sie bis heute leiden.

Ebenfalls ein wichtiges Dokument europäischer Zeitgeschichte sind die Reportagen von links des großen Schweizer Publizisten Harry Gmür, in denen er unter anderem die faschistischen Strömungen in der Schweiz der 30er-Jahre beschreibt und mit schonungsloser Schärfe kritisiert. Ein Buch nicht nur für Schweizer Leser.

Bleiben Sie uns gewogen und glauben Sie wie wir fest daran, dass das gedruckte Buch auch diese Krise überstehen wird!

Herzlich, Ihr Christian Strasser

P.S.: Der Sommer kommt, egal was das Virus macht. Es gilt, positiv zu bleiben und auf keinen Fall die Hoffnung aufzugeben, denn Wenn der Sommer kommt, tanzen die Träume! So jedenfalls nennt der Pfarrer und Seelsorger Felix Leibrock sein neues Buch, für das er mit einer großen Lesereise bundesweit unterwegs ist. Eine wunderbare Erzählung für Hoffende – nicht nur in Krisenzeiten

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