Der Saal der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt war gestern Abend voll – coronagerecht voll. Viele Interessierte hatten sich zur Preisverleihung angemeldet, nicht alle konnten dabei sein, deshalb wurde die Veranstaltung live gestreamt.
Sylvia Asmus, Leiterin des Deutschen Exilarchivs 1933 – 1945, wies in ihrer Begrüßung auf den 100. Gründungstag des PEN-Zentrums hin. Die Organisation wurde am 5. Oktober 1921 in London ins Leben gerufen, 1934 gründete sich innerhalb des Zentrums in Großbritannien der Deutsche PEN-Club im Exil, 1948 wurde er in PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland umbenannt. Das Datum war also gut gewählt, um die Verleihung des Ovid-Preises, der 2020 zum dritten Mal vergeben wurde, nachzuholen.
2017 erhielt Guy Stern als Erster die Anerkennung in feierlichem Rahmen in der Deutschen Nationalbibliothek, 2018 wurde Herta Müller geehrt, 2020 wurde Wolf Biermann für sein Lebenswerk ausgezeichnet. Aus Pandemiegründen musste die Veranstaltung verschoben werden.
Guy Stern war gestern aus Detroit zugeschaltet und grüßte von der Leinwand.
Gabrielle Alioth, Interimsvorsitzende der Jury des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, würdigte das Lebenswerk des Preisträgers: „Wolf Biermann ist Teil unserer eigenen ganz persönlichen Geschichte.“
Regula Venske, Präsidentin des PEN-Zentrums Deutschland, ging kurz auf die Gründung der damals 40 Autoren umfassenden literarischen Organisation ein, die heute in über 100 Ländern vertreten ist.
Über Wolf Biermann sagte Venske: „Seit dem legendären Konzert in Köln 1976 haben mich seine Worte berührt, getröstet und motiviert.“
Marko Martin hielt die Laudatio, der Biermann-Song Nur wer sich ändert, bleibt sich treu könnte als Titel über dem Vortrag stehen.
Doch zunächst wandte sich der Laudator Ovid zu, Namensgeber für den Preis. Der Dichter der Metamorphosen wurde im Jahre 8 n. Chr. von Kaiser Augustus nach Tomi (heute Constanta in Rumänien) ans Schwarze Meer verbannt, behielt allerdings seine Bürgerrechte.
Das war bei Biermann 1976 anders: Er wurde von den DDR-Oberen ausgebürgert. Beide Dichter eine allerdings ein „illusionsloser Blick auf die herrschenden Mächte“.
Wolf Biermann demaskiere in seinen Liedern und Gedichten die Machthaber und ermutige die Verzagten und Widerständigen. Immer wieder erinnere er an jene, die gegen Unterdrückung aufbegehrten – in Burma, Kuba, Kabul, Syrien, Russland, Hongkong.
Biermann nahm den Preis entgegen; Hubert Dammer, Geschäftsführer des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, überreichte ihm die Urkunde, Jurymitglied Axel Reitel ein gemaltes Porträt des Liedermachers.
„Ich wollte 1976 in der DDR bleiben, obwohl ich da schon zwölf Jahre verboten war“, sagte der Sänger und Lyriker. Er gedachte auch derer, die zu ihm hielten in schwierigen Zeiten und bemerkte: „Wer will schon gern mit dem Arsch anderer Leute durchs Feuer reiten.“ Außerdem sei es schrecklich, wenn man seine vertrauten Feinde verlöre.
Das im Westen nicht alles besser war, fasste er in Worte: „Ich kam vom Regen in die Jauche.“ Das nahm er später zurück; den Regen wohlgemerkt, denn die DDR sei kein Regen gewesen. Er dichtete in Deutsches Miserere: „Hier fallen sie auf den Rücken/Dort kriechen sie auf dem Bauche/und ich bin gekommen/ach! kommen bin ich/vom Regen in die Jauche“.
Dann wandte sich Biermann einem besonderen Anliegen an diesem Tag zu: „Ich gebe den Ovid-Preis weiter an die nächste Generation, an die Musikerin Maria Kalesnikava.“ Da diese im Gefängnis sitzt, nahm ihre Anwältin Lyudmila Kazak den Preis stellvertretend entgegen. „Kalesnikava hat sich nicht ins Exil treiben lassen von der Menschenbrechermaschine Lukaschenkos“, betonte Biermann und fügte nachdenklich hinzu: „Ich weiß nicht, ob ich Gefängnis durchgestanden hätte.“
Natürlich ist dem Sänger klar, dass „Lieder keine Diktaturen umwerfen können. Aber sie können die Angst der Menschen mindern.“
Das Lied Ermutigung wurde bereits ins Belarussische übersetzt, es werde bereits am nächsten Tag Maria Kalesnikava übergeben. Die Gefangene dürfe zwar kaum Post ihrer Verwandten und Freunde erhalten, aber ihre Anwälte dürften sie besuchen, erklärte Lyudmila Kazak, die in einer kurzen Rede über die tapfere Musikerin, die zu elf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, informierte.
Mit einem Minikonzert, in dem Biermann die Songs Ermutigung, Ich möchte am liebsten weg sein und bleibe am liebsten hier, Ballade von der Mainacht in Paris und Ballade vom preussischen Ikarus sang und spielte, ging die Veranstaltung zu Ende.
JF