Heute: Karl Stutz, Lektor von Joseph Opatoshu

Wer eigentlich hat im Stutz-Verlag den Roman Ein Tag in Regensburg von Joseph Opatoshu lektoriert?

Eine Frage, die viele Buchhändler umtreibt. Anlass genug für buchmarkt.de, sich um diese Berufsgruppe, die ja hauptsächlich im Hintergrund wirkt zu kümmern. In regelmäßiger Folge wollen wir an dieser Stelle Macher vorstellen, die dafür sorgen, dass uns der Lesestoff nicht ausgeht.

Der Lektor

Karl Stutz

Karl Stutz, geboren 1954 im Bayerischen Wald, hat nach der Mittleren Reife Buchhändler gelernt und 1980 in Passau den gleichnamigen Verlag gegründet, mit dem er für die berühmt-berüchtigte Passauer Kabarettszene um Sigi Zimmerschied und Rudolf Klaffenböck, aus der auch Otfried Fischer und Bruno Jonas kommen, eine wichtige Rolle spielte.

Das Buch
Die Erzählung spielt im Jahr 1519 in Regensburg. Dort strömt aus allen Himmelsrichtungen viel Volk zu fröhlichem Treiben auf einem großen Fests zusammen; darunter viele Gaukler, Spielleute, Tänzer und, wegen der zu erwartenden milden Gaben, Bettler.

Beim ersten Lesen der Übersetzung ging es mir wie dem Kritiker, der nach der Vorstellung des Titels, natürlich in Regensburg, (leider nur) im Bayernteil der (Süddeutschen Zeitung) schrieb:„Diese Erzählung sprüht vor jüdischem Witz.“ Auch ihn erinnerte dies Buch prompt an das weltberühmte Musical Anatevka; und auch er kam zu dem Schluss, „dass das Musikstück nicht an dieser farbenprächtige Erzählung heranreichen kann“.

Der Vergleich mit Anatevka war naheliegend. Nicht nur, weil der Autor des Buches, Joseph Opatoshu (1886 – 1954), in Polen geboren wurde und aufwuchs, wo das Musical spielt. Vor allem, weil seine Muttersprache Jiddisch war, das er selbst als „Judendeutsch“ bezeichnete. Und in diesem Jiddisch hat die Erzählung ihre Wurzeln.

Das Buch vermittelt jedoch nicht nur ein fundiertes Bild jüdischen Brauchtums in Deutschland Anfang des 16. Jahrhunderts. Es rekonstruiert auf mustergültige Weise ebenso die geistigen Auseinandersetzungen im Judentum jener Zeit.. Joseph Opatusho exemplifiziert sie im Rückgriff auf einen tiefen Zwist zwischen Regensburg und Worms, den damals wichtigsten jüdischen Gemeinden im aschkenasischen/deutschsprachigen Raum. Es ging wesentlich um die Frage, die letzten Endes natürlich das Problem der Assimilation berührte. Sollte einzig die religiöse Überlieferung, die auf Hebräisch fixierte Hochkultur der Gebildeten mit ihrer Abschottung gegen den Wandel der Zeiten maßgeblich bleiben? Oder durfte man sich der Kultur des jüdischen Gemeinlebens öffnen und ihr damit auch im bislang verachteten Volksidiom des Jiddischen Form und Ausdruck geben? Das Freudenfest einer großen Hochzeit stand im Zeichen einer Versöhnung der verfeindeten Synagogen und ihrer Standpunkte.

So sehr mich aber die pittoresken Schilderungen der Erzählung in ihren Bann schlugen, so sehr mich auch das penibel recherchierte kulturhistorische Zeichnung jüdischen Lebens in Deutschland zu Beginn der Neuzeit faszinierte – die Erzählung hat eine weitere, tief bewegende tragische Dimension. Denn das fröhliche, mitunter derbe Treiben findet ein böses Ende mit jener historischen Tragödie des Jahres 1519, die in Joseph Opatoshus Erzählung am Tag nach den Fest eintritt: Die Juden – sechshundert Männer, Frauen und Kinder – werden aus Regensburg vertrieben, ihr Viertel, ihre Synagoge, die Talmudschule, ihr Friedhof zerstört und abgerissen.

Ich bin nur der Lektor der Übersetzung und der Verleger des Buches. Entdeckt hat diese wunderbare – in Deutschland bislang völlig unbekannte – Erzählung Sabine Koller vom Institut für Slavistik an der Universität Regensburg bei Forschungen zu Marc Chagall für ihr Habilitationsprojekt „Ostjudentum in Literatur und Malerei: Marc Chagall“. Mit Sabine Koller bin ich seit langem verlegerisch verbunden. Mein Programm ist nämlich u.a. zeitgenössischen und zu Unrecht vergessenen bulgarischen, polnischen, rumänischen, tschechischen, ukrainischen, ungarischen sowie jüdischen Autoren gewidmet, die oft au diesen Ländern stammen. Dazu ist es gekommen, weil ich für Mittel- und Osteuropa ein großes persönliches Interesse habe und tiefe Sympathie empfinde. Und weil ich auch mit Wissenschaftlern befreundet bin, die sich mit den Sprachen und Kulturen dieses Raumes beschäftigen. Ihnen verdanke ich viele Anregungen. Dass es an der Universität Regensburg Kurse für Jiddisch gibt, deren Leiterin Evita Wiecki auch eine literarische Übersetzerin ist, hat in diesem Fall alles weitere befördert.

Sabine Koller ist also auf ein Bild von Marc Chagall gestoßen. Es zeigt einen Juden, der im Schutze einer übermannshohen Thora, vom drohenden Unheil unberührt, in ein Buch. schreibt. Was er wohl schreibt? Was es auch sei, der Jude ist geborgen in der Schrift, geborgen in der Literatur. Die Spur dieses Bildes führte Sabine Koller vom Maler zum Schriftsteller. Es ist ein Zeugnis ihrer Freundschaft. Chagall, der sich für das Jiddische und seine Kultur engagierte, hatte es für Opatoshus Erzählung Ein Tag ins Regensburg gemalt., und darum stellt es nun auch das Frontispiz der deutschen Übersetzung dar. „Bild und Text gehören zusammen“, wie Sabine Koller in ihrem Nachwort schreibt.

Joseph Opatoshu zählt zu den großen Autoren der modernen jiddischen Literatur. Er war 1907 aus Polen nach Amerika ausgewandert und hat dort in seiner Muttersprache viele Erzählungen und Romane mit jüdischen Themen geschrieben. Einige – genauer gesagt, zwei – seiner Bücher finden sich sogar im ZVAB, sie waren in den 20er Jahren übersetzt worden. Ein drittes, ein historischer Roman über BarKochba, ist noch in den 80er Jahren bei Weitbrecht erschienen.

Evita Wiecki und Wolf Euba, der ein großer und berühmter Vorleser ist, haben den Text des Buches für ein Hörbuch aufgenommen: Evita Wiecki liest die Kapitelanfänge in «Judendeutsch», Wolf Euba den hochdeutschen Text.

In Historischen Museum Regensburg läuft seit dem 15. Februar eine Ausstellung zu Chagall, Opatoshu und dem jüdischen Leben in der Stadt, die bis zum 12. April besichtigt werden kann. (Ein Besuch lohnt sich sehr!) Dazu wird, ebenfalls in meinem Verlag, auch noch ein Katalog erscheinen.

Niemand muss diese Erzählung von Joseph Opatoshu lesen oder hören. Wer es jedoch tut, wird große jiddische Literatur kennen lernen, die zu Unrecht vergessen war. Und ein wenig besser verstehen, was in Deutschland einmal war..

Joseph Opatoshu
Ein Tag in Regensburg
Mit einem Frontispiz von Marx Chagall
Aus dem Jiddischen von Evita Wiecki und Sabine Koller.
Mit einem Nachwort von Sabine Koller
119 Seiten, Leinen, € 14,80
ISBN 978-3-88849-129-0

Eine Erklärung des Lektors zu Joseph Opatoshu und Ein Tag in Regensburg gewünscht hat die Sortimenterin Hedi Grotz von der Buchhandlung Pustet in Regensburg.

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