Die Serie Aus der Werkstatt der Verlage setzen wir heute fort mit dem Werkstattbericht von Liebeskind – Verleger Jürgen Christian Kill:
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
es war Karl Kraus, der einst forderte, eine Polemik müsse den Gegner um seine Seelenruhe bringen. Als bekennende Feministin kritisierte Chloé Delaume in einem viel beachteten Essay, der vor einigen Jahren in Frankreich erschien, dagegen erst einmal das eigene Lager. Angesichts der Tatsache, dass Gleichberechtigung bislang überwiegend in höheren Gesellschaftsschichten stattfand und sich die große Mehrheit der Frauen nach wie vor von Männern ausnutzen ließ und das obendrein völlig natürlich fand, müsse man sich fragen, ob das weibliche Geschlecht nicht kollektiv am Stockholm-Syndrom leide. Auch Adélaïde Berthel, die Heldin aus Chloé Delaumes Roman »Das synthetische Herz«, versteht sich als unabhängige Frau, kann sich aber nicht lösen von den patriarchalischen Konventionen unserer Gesellschaft – was sie von einer Katastrophe zur nächsten stolpern lässt und uns ein hellsichtiges, hochkomisches Buch beschert.
Im nächsten Frühjahr erscheint bei Liebeskind mit »Paradies und Römer« der neue Roman von Patrick Findeis. In seiner kühlen, zurückhaltenden Prosa schildert der Autor das Schicksal von vier Freunden, die zusammen in einer tristen Wohnsiedlung aufgewachsen sind. Immer schon war ihnen bewusst, dass sie weniger zählen als andere Kinder, als wäre der Ort, an dem man lebt, ein Stigma, das man nie wieder loswird. Und so versuchen sie, ihren Traum von einem besseren Leben zu verwirklichen, jeder auf seine Weise, auch wenn es aussichtslos erscheint. Durch seine kunstvoll arrangierte Chronologie, durch den authentischen Erzählton und die mit großer Empathie gezeichneten Figuren hat dieser Roman etwas Drängendes, das selten geworden ist in der Literatur. »Paradies und Römer« ist mein persönlicher Lieblingstitel in diesem Frühjahr.
Endlich gibt es einen neuen Roman von Jon McGregor. Wie schon vor einigen Jahren in »Speicher 13« schildert unser Autor erneut eine Tragödie – eine Expedition in die Antarktis nimmt einen verheerenden Verlauf –, aber auch hier geht es ihm weniger um die Akteure des Dramas selbst als um jene Menschen, die nur indirekt beteiligt sind, aber die Konsequenzen tragen müssen. Von Expeditionen ganz anderer Art handelt A. Kendra Greenes isländisches Reisebuch »Das Walmuseum, das Sie nie besuchen werden«. Darin erzählt die Autorin von der wunderbaren Welt isländischer Museen (von denen es im Verhältnis zur Einwohnerzahl mehr gibt als anderswo) und zeichnet so ein überaus charmantes Porträt des ganzen Landes. Für alle Island-Liebhaber – und alle Freunde der skurrilen Seiten des Lebens.
Ich wünsche Ihnen wie immer viel Freude mit unseren neuen Büchern und verbleibe mit besten Grüßen aus München
Ihr
Jürgen Christian Kill