Es ist schon eine Weile her – es war um 1980 –, dass Dr. Ulrich Wechsler – damals Vorstand für die Verlagsgruppe in der Bertelsmann AG – seiner Verzweiflung über die Einfallslosigkeit der Publikumswerbung für Belletristik und Sachbücher einmal freien Lauf ließ:
Von ein paar kleinen neuen optischen Mätzchen abgesehen, so klagte er damals, zögen die Werbeleute der Verlage über fast dreißig Jahre immer nur mehr die gleiche, langweilige Show ab: Wie könne man da erwarten, dass mehr Menschen zum Kaufen und Lesen von Büchern bewegt würden?
Inzwischen sind wieder fast dreißig Jahre vergangen, und es hat sich auch seither kaum etwas geändert.
Eine Aussage, welche die Werber natürlich bestreiten werden. Nun gut, zugegeben: Die Grafik ist in mancher Hinsicht peppiger und um einiges konturierter, die Optik ein wenig anders und schärfer geschnitten. Im Mittelpunkt steht aber nach wie vor die Abbildung des Schutzumschlags; denn das Cover – so die offenbar unausrottbare Überzeugung – ist das entscheidende Werbemoment, die Conditio sine qua non einer Anzeige, sein Bild ist das, was sich den Lesern einprägt und einprägen muss, damit der Zeitungs- und Zeitschriftenleser es dann in der Auslage der Buchhandlungen wiedererkennt und – Wiedererkennung ist doch das A und O von Werbewirksamkeit – selbstverständlich nach dem Buch greift, um es nach Hause zu tragen, um es zu besitzen und zu konsumieren.
Mittlerweile hat sich freilich die Optik der Zeitschriften und Zeitungen erheblich verändert. Sie haben wesentlich mehr Fotos, und die Bilder sind größer, prägnanter, aussagekräftiger – so sehr, dass dagegen die Abbildung von Buchumschlägen meist richtig langweilig wirkt, bestimmt nicht auffällt und ganz gewiss kein Eye-Catcher mehr ist. Wie aber sollen solche Abbildungen, die einem nicht ins Auge stechen, überhaupt einen zu Kauf und Lektüre animierenden „Wiedererkennungswert“ haben? Schon gar, wenn die meisten Cover heute so einmalig und originell sind wie Gummibärchen und auch nur noch selten das „Markenprofil“ eines Verlages signalisieren?
Und die Texte solcher Anzeigen? Herrjemineh! Vielleicht geben sie ja noch mehr oder weniger korrekt einen gewissen allgemeinen Abglanz des Themas, von Stoff und Schauplätzen – der aber ließe sich mit gleicher Berechtigung auf Hunderte von Büchern drucken und ist eher noch austauschbarer als viele Titel es selber schon sind. Lediglich in Ausnahmefällen zeigen sie das faszinierend Einmalige dieses einen, besonderen Buches und seines Autors an. Was für ein „Merkwert“, was für ein „Wiedererkennungswert“ soll denn so entstehen können?
Mehr noch. Für Zeitschriften und Zeitungen gilt auch, dass die Lese-Interessen sich geändert haben. Ganze Heerscharen von Spatzen pfeifen es allüberall längst von den Dächern: Was anspricht, was gelesen wird, was wirkt, was zählt sind selbst in den Feuilletons, auf Buch- und Literaturseiten nicht mehr auswuchernd langsti(e)lige, wunderhübsche Wortgirlanden und Schreiber, die sich gerieren, als seien sie sternenbesäumte Kreativdirektoren des Wortes. Was die Leser suchen und schätzen, sind – die Redakteure der Online-Redaktionen wissen ein Lied davon zu singen – die recht genau kontrollierbaren Zahlen der Klicks machen es täglich abrufbar – interessante, gut gestaltete, prägnant angesagte “Inhalte“. Und damit verglichen sehen die Texte der allermeisten Buchanzeigen wie von Dauerregen ausgewaschene, farblose uralte Hüte aus.
Wann werden die Marketing-, Vertriebs- und Werbeleute in den Verlagen endlich begreifen, dass hier nicht die Hochglanztrompeten gewisser Agenturen auf Elfenbeintürmen gefragt sind, sondern die Fähig- und Fertigkeiten wacher moderner Journalisten? Dass auch das Gros der teuer bezahlten PR-Text-Politessen der meisten Buchjournale, die von Buchhandlungen ihrem Kundenpublikum angedient werden, wohl kaum Leseratten erzeugen? Beschränken sie sich nicht viel zu oft und viel zu sehr auf eine sachlich indifferente, wohlfeile Darstellung von Titeln, mit denen die Verlage – und, wie ich fürchte, auch zahlreiche Sortimenter, insbesondere die Filialisten – sich mit ihren auf solche Weise hygienisch verpackten Lack- und Plastikportionen selber schmeicheln?
Und wenn, wie in Verlagen häufig geklagt wird, die Anzeigenpreise nach der Gesamtauflage der Zeitschriften und Zeitungen berechnet sind, die Feuilletons, Buch- und Literaturseiten mittlerweile jedoch nur noch eine minimale Leserquote aufweisen – warum schalten sie ihre Anzeigen dann nicht etwa im politischen Teil oder Meinungsforum, indem sie – siehe oben – auf ihre antiquierten Vorstellungen vom „Wiedererkennungswert“ der Buchabbildungen pfeifen und eine reine Textanzeige – sie muss nicht mal riesengroß sein – inhaltlich so gestalten, dass sie in diesem Umfeld richtig und journalistisch adäquat platziert wirkt – also interessant ist und positiv auffällt? Und wenn ihnen das für die Ausgaben montags und freitags zu schwierig und vom Effekt her relativ uninteressant scheint- warum versuchen sie es dann nicht in den Samstagsausgaben, in den Sonntags- und Wochenzeitungen?
Gerade heutzutage kommt Büchern erhöhte Bedeutung zu. Das höre ich jedenfalls aus vielen Ecken: und keineswegs in erster Linie von Schriftstellern, von Buchhändlern und Verlegern, sondern von informations-, orientierungs- und wissensbegierigen Mitbürgern. Denn Bücher sind unverzichtbar, weil sie mehr bieten als die laufend stärker auf „Aktualität“, Schnelligkeit, Anriss und griffige „Oberfläche“ reduzierten Medien. Warum wird dieser – vielgefragte – Mehrwert von Büchern in der Werbung nicht „ausgestellt“? Wo ist das einst so stolze Selbstbewusstsein der Verlegerei geblieben?
Ein Beispiel: Der Zeitungsleser liest einen wichtigen Artikel zu dem wichtigen Thema xyz. Da wäre für die Verlagsanzeige doch die Möglichkeit und Aufgabe gegeben, diesen Leser, der gerade zur intensiveren Beschäftigung mit dem Thema angestoßen wird, „hinüberzuziehen“ zum Buch. Die Anzeige greift also das Thema des Zeitungsartikels auf und verweist auf das Buch, weil hier, im Buch, viel mehr, und das möglicherweise differenzierter und interessanter, zum Thema xyz geboten wird.
Einmal ganz konkret: Soeben ist (im Blessing Verlag) der Roman Stimmen hinter Glas von der hervorragenden, seriösen italienischen Schriftstellerin Francesca Marciano erschienen – ein Thriller, der die Medienobsessionen und -mechanismen bezüglich Afghanistan gnadenlos hinterfragt und bloßstellt. Diesmal nicht aus maskuliner Erzähl- und Actionperspektive, sondern aus der Sicht einer außergewöhnlichen Berichterstatterin unter lebensgefährlichen Umständen, und dabei geht es obendrein nicht zuletzt um das besondere Schicksal von Frauen in diesem von Kulturkämpfen und bürgerkriegsähnlichen Spannungen zerrissenen Land. Das ist mindestens so spannend , und noch um ein Stück lehrreicher, wie Frederick Forsythes Thriller Der Afghane, welcher hierzulande zu einem großen Bestseller wurde. Das Thema Afghanistan ist eben bei uns ein besonders aktuelles und medial breit wahrgenommenes Thema – schon wegen der Anteilnahme der Bevölkerung an dort im Kriege gefallenen und zunehmend gefährdeten deutschen Soldaten.
Der breit und tief recherchierte Roman bietet mehr als jede nur journalistische aktuelle Berichterstattung. Er bestätigt den Satz eines Kritikers, dass manchmal nur ein Kriminalroman oder Thriller wirklich sichtbar machen kann, worum und auf welch dramatische Weise es in einer Gesellschaft, in den Medien etc wirklich geht. Für die skizzierte neue Anzeigenwerbung eignen sich eben nicht nur Sachbücher, sondern auch belletristische Titel :Stimmen hinter Glaskönnte dafür ein Paradebeispiel mit größtem Publikumsinteresse sein. Nicht einmal den Buchhändlerinnen und Buchhändlern, mit denen ich gesprochen habe, sind Eigenart und Potential des Titels aber vom Verlag hinreichend vermittelt worden.
Ein weiterer Punkt: Publikumsanzeigen haben eine andere Funktion als Ankündigungen von Novitäten in Verlagsvorschauen. Sie haben gänzlich andere „Zielgruppen“ als Anzeigen in den Branchenmedien und müssten daher auch ganz anders gestaltet werden – so wie die Annoncen in Branchenorganen sehr viel spezifischer aussehen müssten. (Ist da eigentlich schon jemand aufgefallen, dass – schier unglaublich – in Händleranzeigen fast immer die für Bestellungen relevante ISBN-Nummer der Buchtitel fehlt?)
Es ist auch hier in den Verlagen des Jammerns kein Ende, nirgends, dass Anzeigenwerbung – angeblich – wenig fruchtet. Dabei könnte es sich nicht zuletzt um eine gefährliche Rationalisierung von drei leidigen Mankos handeln: (1) dass in den Verlagen die Budgets für Anzeigenwerbung immer winziger werden; (2) dass sie vor allem darum ausgedünnt worden sind, weil sie sogenannte Händler- oder Point of Sale-Werbung auch aus Gründen eines letztlich blöden Verdrängungswettbewerbs (unnötig, auf durchaus fragwürdige Weise) immer mehr Geld verschlingt; und (3) dass man in den Verlagen zu wenig davon zu verstehen scheint, wie Publikums- und Branchenanzeigen richtig und wirksam gestaltet werden müssten.
„Die Presse muss es richten“, hört man in Verlagen allenthalben – und meint wohl, die Presse als Dienstleister und Handlanger für sich in Anspruch nehmen zu können. Einmal abgesehen davon, dass sehr viele Titel, mit denen Verlage über die Publikumsmedien Vertriebsumsätze zu machen hoffen, wo sie für eigenes Marketing und Werben beim Publikum weder das nötige Geld oder auch die dazu eigentlich erforderlichen Ideen aufbringen können oder wollen: Die Mehrheit der heutigen Überproduktion an Novitäten ist nicht medien- und pressetauglich; sie ist schlichtweg „bad copy“ oder „poor copy“. Es ist schon seltsam, wie wenig Buchverlage, die ja auch, doch eben nicht einzig und allein, mit dem geschriebenen Wort arbeiten, davon verstehen, wie journalistische Print- und Online-Medien funktionieren.
Im übrigen sei noch angemerkt, dass die Presse keineswegs in einem selbstverständlichen Dienst der Buchverlage steht und auch sie – bis zu 60 oder 70 Prozent in ihrer heutigen Form nur dank Anzeigenerlösen existiert.
Dazu – und zu aktuellen wie künftig noch drohenden Folgen, und was es für das Buch bedeutet – wenn Verlagsanzeigen ausbleiben, ein andermal mehr.