Dave Eggers, Der Circle (Kiepenheuer & Witsch)
Was hat dieses Buch hier, im Zusammenhang der Debatte um Buch und Internet, zu suchen?
Ja, es ist ein Roman, und er bringt keine sachlichen Neuigkeiten in die laufende Debatte zum Internet ein. Aber: In diesen Roman ist alles eingeflossen, was es zu diesem Thema aktuell zu wissen gibt. Er zählt zu den – leider viel zu seltenen – literarischen Werken, welche die technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen der Zeit, die wir in zunehmender Bedrängnis und mit wachsender Unsicherheit durchleben, sachlich genauestens erfasst. Und der Autor hat sich schon mit seinen vorausgegangenen Werken als verlässlicher Seismograph der Gegenwart und ihres Zeitgeistes erwiesen – so in seinem bitterbösen Titel Zeitoun über den Terrorismuswahn der Amerikaner, der den Rechtsstaat und die Bürgergesellschaft der USA zu zerstören droht.
In seinem jüngsten Roman stellt Dave Eggers also die Welt dar, wie sich unter dem Diktat von Internet-Konzernen entwickelt, die sich zu Eigentümern aller individuellen und sozialen Daten aufschwingen und mit der Kontrolle über die Privatsphäre der Einzelnen das demokratische Leben gefährden, das bisher als Basis der westlichen Hemisphäre gilt. Das Thema ist virulent geworden. In Reportagen und Sachbüchern ist es bereits aufgegriffen worden. Dieser Titel ist jedoch so eminent wichtig, gerade weil er ein Roman ist und Romane eben die Geschichten von Menschen mit ihren individuellen Schicksalen darstellen – hier also die Auswirkungen der heutigen Internet-Industrie konkret veranschaulichen, so handgreiflich, dass wir, als Leser, uns in den gefährdeten Charakteren des Romans Der Circle wiedererkennen. Hier wird all das, worüber wir schon sachliche Informationen haben mögen, existentiell berührend.
Geschildert wird das „Reich“ eines IT-Konzerns als Inbegriff all solcher Unternehmen von Amazon und Facebook bis zu Google, Microsoft und Yahoo, die verkünden, mit ihren neuen technologischen Mitteln und Unternehmensformen der Menschheit endlich Freiheit und wahre Demokratie zu bringen und einen Himmel auf Erden schaffen zu wollen. In diesem Reich erleben wir den Eintritt und den Aufstieg einer 24jährigen Frau, die sich ganz den Zielen dieser Geheimwelt mit ihrer Transparenzideologie verschreibt und am Ende die Hölle erlebt.
In dieser Mae Holland hat Dave Eggers ein typisches Charakterbild vieler junger IT-
Adepten gezeichnet: ein gerade wegen ihres Ehrgeizes, auf der Höhe der Zeit zu sein, naives Opfer einer IT-Kommandozentrale, der es letztlich nur um globale Macht und Megareichtum geht.
Margaret Atwood, die den Roman in der New York Review of Books besprochen und empfohlen hat, halt ihn für eine Satire, die moralisches menschliches Versagen weniger als Folge von Charakterschwächen und mehr auf geistige Perversionen versteht.
Im Unterschied zu seinen früheren, literarisch innovativen Werken ist Der Circle von Dave Eggers konventionell erzählt, eingängig und leicht zu lesen – auch von daher ideal für weitere Debatten.