Die Serie „Aus der Werkstatt der Verlage“ geht heute weiter mit einem Gespräch mit Albert Eibl, dem Verleger des von ihm 2014 gestarteten Wiener Verlages Das vergessene Buch (DVB):
Vor ein paar Tagen habe ich in BILD eine hymnische Eloge auf Ihre jüngste Wiederentdeckung „Ferien am Waldsee“ von Carl Laszlo gelesen und dabei erstmals von Ihrem Verlagsprojekt erfahren. Erzählen Sie doch erstmal von sich!
Albert Eibl: Ich bin damals frisch für meinen Master in Germanistik von Zürich nach Wien gezogen und wollte die Literatur nun einmal von der praktischen Seite her anpacken. In Zürich hatte ich im literaturwissenschaftlichen Bereich großartige Lehrer, wie zum Beispiel den späteren Nietzsche-Preisträger Wolfram Groddeck, der mit uns in einem höchst inspirierten Frühlingssemester den ganzen FAUST II Vers für Vers durchgegangen ist und uns anhand dessen den ganzen Kosmos Goethe offenlegte. So habe ich mehr über rhetorische Figuren und ihre Wirkung gelernt als in allen Jahren danach. Von Groddeck habe ich auch die Liebe zur genauen, textimmanenten Lektüre und Interpretation vermittelt bekommen. Meine erste große literaturwissenschaftliche Studie über Ernst Jüngers literarische Oppositionshaltung im Dritten Reich, die im Juni 2020 unter dem Titel „Der Waldgang des Abenteuerlichen Herzens“ im Heidelberger Winter Verlag erschienen ist, habe ich deshalb ihm gewidmet.
Wie kamen Sie dann darauf, einen Verlag zu gründen, der sich Das vergessene Buch nennt?
Im herrlich morbiden Wien angekommen, wo in Antiquariaten noch echte Schätze zu bergen waren, wollte ich dann Texte nicht mehr nur interpretieren, sondern sie auch für ein kluges Lesepublikum zu neuem Leben erwecken. Die Idee, einen Verlag zu gründen, der sich „Das vergessene Buch“ nennt und bei dem der Name Programm ist, kam mir an einem rauschhaften, mit Freunden durchzechten Abend im Mai. Diese unverhoffte Vision gärte dann ein paar Wochen in mir, bevor ich zur Tat schritt, eine GmbH gründete und ein goldenes Firmenschild anfertigen ließ, das noch heute an meiner Türe prangt. Das geschah in jugendlichem Leichtsinn freilich alles noch bevor ich überhaupt das erste Buch verlegt hatte.
Und Sie wussten, worauf Sie sich einlassen?
Nein, nicht wirklich. Ich habe meinen Verlag aus einem rein idealistischen Antrieb heraus gegründet und musste erst nach und nach lernen, dass man auch rechnen muss, wenn man als Verleger nachhaltig erfolgreich sein will. Wie die Buchbranche tickt, was es bedeutet, einen Verlag aufzubauen, einen Vertrieb dafür zu finden und Markenbildung zu betreiben, das alles habe ich mir dann in den folgenden Jahren sukzessive selbst beigebracht. Später habe ich dann auch noch beim Chef des Wiener Goldegg Verlags, Elmar Weixlbaumer, mit dem ich heute gut befreundet bin, einen veritablen Verlagslehrgang nachgeholt. Das hat mich dann weiter in meiner Überzeugung bestärkt, dass Verlagswesen eine tolle Sache ist – besonders wenn eine Vision dahintersteht, die sich nicht im Monetären erschöpft.
Und womit sind Sie gestartet?
An den Anfang meines abenteuerlich-anmutenden Verlagsprojekts setzte ich damals den einzigen expressionistischen Roman der österreichischen Literaturgeschichte, der so vergessen war wie seine kämpferisch-geniale Autorin: „Die Vergiftung“ von Maria Lazar. Durch die positive mediale Resonanz bestärkt, legte ich ein halbes Jahr später „Die Eingeborenen von Maria Blut“ neu auf, einen psychologisch raffiniert konstruierten Widerstandsroman, der in den schwärzesten Farben das Heranreifen des Nationalsozialismus in der österreichischen Provinz Anfang der 1930er Jahre porträtiert. Beide Erstlingswerke sind letzten Dezember übrigens in schönen neuen Hardcoverneuausgaben erschienen.
Wie ich lese, ist Maria Lazar ist mittlerweile in aller Munde.
Ja, über Maria Lazar sind auch viele Buchhändler und Leser aus Deutschland auf meinen Verlag aufmerksam geworden. Das hat meinen Verlag wirklich nochmal einen großen Schritt nach vorn gebracht. Als ich im Mai 2020, mitten in der Coronakrise, Lazars noch nie auf Deutsch erschienenen Thriller „Leben verboten!“ aus dem Jahr 1932 neu auflegte, konnte ich nicht ahnen, dass er sich angesichts der weitreichenden Buchhandelsbeschränkungen schnell zu einem echten Österreichbestseller entwickeln würde. Mittlerweile haben sich über 9000 Exemplare verkauft, eine niederländische Ausgabe erscheint im Herbst und Randomhouse hat sich für btb die deutschen Taschenbuchrechte gesichert. Um Lizenzausgaben nach Spanien und in die USA bemühe ich mich gerade. Auch eine Verfilmung steht im Raum seit Andrea Seibel in der Literarischen WELT begeistert Parallelen zu Babylon Berlin gezogen hat. Wer dafür letzten Endes den Zuschlag bekommt, wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen.
Wie kam es denn überhaupt zur Wiederentdeckung von Carl Laszlo und Ferien am Waldsee?
Dafür bin ich Alexander von Schönburg zu Dank verpflichtet, der auch ein hervorragendes Nachwort zur Neuausgabe beigesteuert hat. Er hat mich 2019 erstmals auf Carl Laszlo, den in der internationalen Kunstwelt immer noch weithin bekannten Sammler, Autor und Aktionskünstler, und dessen lange zu Unrecht vergessenen Auschwitzroman „Ferien am Waldsee“ aufmerksam gemacht. Ende Oktober 2020, als die Krise dann wieder virulent wurde, und die Buchhandlungen erneut schlossen, habe ich dann allen Marktanalysen zum Trotz die Neuauflage gewagt. Das war definitiv die richtige Entscheidung.
Warum?
Laszlo, der im internationalen Jet-Set der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts Gott und die Welt kannte, mit Allan Ginsberg, Andy Warhol, Friedensreich Hundertwasser und Patricia Highsmith eng befreundet war und sogar mit dem Dalai Lama auf vertrautem Fuß stand, diese schillernde, faszinierende, unerschütterliche Persönlichkeit war zu diesem Zeitpunkt völlig in Vergessenheit geraten. Und mit ihm natürlich auch sein erschütternder KZ-Überlebensbericht„Ferien am Waldsee“. Die Zeit ist nun endlich reif, dass diese einzigartige, sehr frühe literarische Zeugnis des Holocaust breit rezipiert wird. In der restriktiven Atmosphäre der 50er Jahre war dies anscheinend nicht möglich. Zu ungeheuerlich schien Laszlos Weigerung (der Auschwitz, Buchenwald und Theresienstadt überlebte und seine gesamte Familie in den Gaskammern verlor), sich als Opfer zu fühlen und an den Geschehnissen im Lager zu zerbrechen.
„Ferien am Waldsee“ wurde im Januar nicht nur groß in der 3sat Kulturzeit und im ORF2 Kulturmontag besprochen, auch die Süddeutsche Zeitung, der Tagesspiegel und zahlreiche österreichische Medien sprachen von einer herausragenden literarischen Entdeckung.
Ja, das hat mich als Verleger natürlich besonders gefreut, dass auch diese Wiederentdeckung wieder breit wahrgenommen wurde. Den Höhepunkt stellten dann jetzt kurz vor Ostern die großen Besprechungen in der BILD, im österreichischen Nachrichtenmagazin profil und in der NZZ dar. Die 2. Auflage ist fast ausverkauft. Bald muss ich nachdrucken.
Die Coronakrise war für einen Nischenverlag wie den Ihren also nicht unbedingt nachteilig?
Im Gegenteil: Durch den monatelang andauernden, völligen Ausfall von Kulturveranstaltungen, von Lesungen, Vernissagen, Theateraufführungen und Konzerten, hat die Literatur wahrscheinlich wieder mehr Luft zum Atmen bekommen. In der Krise stieg auch das allgemeine Interesse für literarische Wiederentdeckungen aus der Vergangenheit. Besonders wenn diese, wie in „Leben verboten!“ verblüffende Parallelen zur eigenen Zeit aufwiesen. So zumindest mein allgemeiner Eindruck. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor für die große Resonanz meiner Bücher seit letztem Frühling könnte sicher auch die Tatsache sein, dass es in der Presse viel mehr Platz für Buchkritiken gab als noch vor Corona. Darüber hinaus sind meine Leser ja selten Spontankäufer, sondern werden vor allem durch Mund zu Mund-Propaganda und ausgewählte Besprechungen auf meine Wiederentdeckungen aufmerksam.
Das heißt, Sie sind weiter zuversichtlich?
Wer sich in diesen Zeiten Kultur zuführen will, ist zwangsläufig wieder vermehrt auf das Buch verwiesen. Mittelfristig, falls die Anticoronamaßnahmen noch weiter andauern, werden wir vielleicht sogar wieder ein paar Leser dazugewinnen. Vielleicht geht die Literatur als weiterhin wichtigstes Medium der Welterfassung und Sinnerfahrung dann sogar gestärkt aus der Krise hervor. Damit würde der alte Hölderlin wieder einmal Recht behalten: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“
Dann bin ich doch noch neugierig: Was für eine Entdeckung haben Sie denn in diesem Frühling parat?
„Der Zauberlehrling“ von Marta Karlweis. Eine meisterhafte Künstlernovelle aus dem Jahr 1912, die das bunte Treiben der jungen Wiener Boheme zwischen Burgtheater und Cafe Central portraitiert. Ein Arthur Schnitzler hätte sie nicht besser schreiben können. Karlweis war die zweite Ehefrau des österreichisch-jüdischen Bestsellerautors Jakob Wassermann. Eine wirklich brillante Schriftstellerin mit psychologischem Tiefgang und einer gehörigen Portion Sarkasmus, die sich in den 1920er Jahren erfolgreich auf dem deutschsprachigen Buchmarkt zu etablieren verstand und mit Ihrem Verführerroman „Ein österreichischer Don Juan“ von 1929 sogar zu einiger Berühmtheit in den USA gelangte. Danach ging es freilich bergab. Nach dem frühen Tod Ihres Mannes emigrierte sie 1934 in die Schweiz. Später dann ging sie aufgrund Ihrer jüdischen Herkunft ins Exil nach Kanada. Ihr breitgefächertes literarisches Oeuvre geriet schon mit Beginn des Zweiten Weltkriegs zunehmend in Vergessenheit. 2016 und 1017 habe ich bereits drei Romane von Marta Karlweis aus der Versenkung hervorgeholt. Mit dem „Zauberlehrling“ gelingt mir hoffentlich eine ähnlich nachhaltige Wiederentdeckung der Autorin wie im Fall von Maria Lazar und „Leben verboten!“.
Und wenn es mal nicht läuft, dann arbeiten Sie wieder als externer Projektmanager wie für die zehnbändige Ausgabe Sämtlicher Schriften Alexander von Humboldts, die Sie für dtv betreut haben?
Ja, das war in der Tat ein unverhoffter Glücksfall und hat mir sehr viel Freude bereitet. Besonders das Veranstaltungsmanagement, die Pressearbeit und die Zusammenarbeit mit der Verlegerin. Zudem konnte ich mein verlegerisches Netzwerk erweitern und auch einiges an Vertriebs- und Marketing- Know-How für meinen eigenen Verlag mitnehmen. Als externer Projektleiter war ich direkt der Verlagsleitung unterstellt und konnte so mit einem Maximum an Eigenverantwortlichkeit ein Maximum an Öffentlichkeitswirksamkeit für unsere Ausgabe erzielen. Mit Claudia Baumhöver und dem ehemaligen Geschäftsführer Michael Braun, die mich damals höchst überraschend für die Projektleitung anfragten, stehe ich weiterhin in herzlichem Austausch. Für weitere Kooperationen und Jobangebote bin ich natürlich ebenfalls jederzeit offen. Bücher zu machen, die die Zeit überdauern, ist für mich das Erfüllendste, was es gibt. Vielleicht kommt ja irgendwann ein größerer Publikumsverlag auf mich zu, dem meine Verlagsidee so gefällt, dass er sie als Imprint unter eigenem Dach weiterführen möchte. Für die Zukunft von „Das vergessene Buch“ gehen mir in den nächsten Jahren sicher nicht die Ideen aus. Soviel kann ich schon mal versprechen.
Die Fragen stellte C. v. Zittwitz. Zuletzt brachten wir den Werkstattbericht von Jonas von Lenthe
Ein weiteres Mal ein ganz herzliches Dankeschön für das lange Gespräch zwischen Herrn v. Zittwitz und Albert Eibl: Und ganz besonders schön, dass vor dem Verleger zwei Bücher liegen, und obenauf der Roman von Carl Laszlo „Ferien am Waldsee“. Wenn es noch so buchbegeisterte, lesehungrige und vor allem kluge Verleger mit Mut und Gespür gibt, braucht einem um die Zukunft des Buches nicht bange zu sein! Ich wünsche Albert Eibl noch ganz viele rauschhafte Abende mit Freunden in Grinzing oder im Biergarten – und ich bin sicher, dass ihm die Ideen für viele weitere ‚Vergessene Bücher‘ nicht ausgehen werden. Und wenn dann noch so tolle Cover dazukommen wie bei Laszlos Auschwitz-Roman, dann kommt auch das Auge des Lesers auf seine Kosten.
Dieter Klug, Wolfratshausen
Vielen lieben Dank, lieber Herr Klug! Melden Sie sich doch mal, wenn Sie in Wien sind!
Herzliche Grüße von ebenda,
Albert Eibl