Die Verleger-Blicke in den Editorials der Herbstvorschauen, auf ihre jeweiligen neuen Programme und auf die Branche teilen wir derzeit in loser Folge mit Ihnen. Heute der Brief von Argument und Ariadne –Verlegerin Else Laudan an die „Mitwirkenden beim Projekt des Verbreitens guter Literatur“:
Liebe Kolleg/innen im Handel, Mitwirkende beim Projekt des Verbreitens guter Literatur,
ich bin so froh und dankbar über Ihre/eure Beweglichkeit und Courage in diesem schrägen Jahr. Vielleicht schaffen wir es alle gemeinsam, dass in unserer alphabetisierten Gesellschaft eine Vielzahl von Menschen mehr liest und hinterfragt und ihren Geist nährt, statt Gewalt und Geschrei auszubrüten.
Für diese Hoffnung arbeiten wir fieberhaft, denn Lektüre ist ein Nährboden für den Umgang miteinander, mit der Welt. Die Große Erzählung – das, woran geglaubt, sich orientiert wird – produzieren wir als Publizierende und Bücherverbreitende mit.
Auch wenn ich kleine Veranstaltungen furchtbar vermisse, sage ich: Die Kultur braucht uns gerade jetzt, braucht wahrhaftige, sezierende Geschichten, vielfältig, offen. Statt ausgerechnet im satten Mitteleuropa Empörungsgeschrei übers Maskentragen anzustimmen, wollen wir Herz und Verstand öffnen, mit nachdenklichen Fragen, mit Solidarität und Freundlichkeit, mit Respekt und Engagement, mit inspirierenden Büchern, die kritisch, scharfsinnig und mitreißend die ganze Realität auf den Prüfstand bringen. Zumal die Not anderswo weit größer ist als hier. Befindlichkeiten beiseite, was ist relevant? Meine liebste Kunstform, die politische Kriminalliteratur, erzählt seit jeher von Krisen, Schieflagen und Verbrechen, von der Gewalt in der Welt und ihrer Vorgeschichte. Deshalb wird das Genre auch »die Literatur der Krise« (Manotti) genannt. Und darum bringen wir bei Ariadne kluge feine Krimis, die Missstände aufzeigen und den nach gerechtem Miteinander suchenden Geist beleben.
Sara Paretsky ist eine Garantin für genau diese Art Lesefutter. Bis kurz vor dem Lockdown saß ich an der Übersetzung ihres Romans Altlasten, ein elegant geplotteter Krimi, ein fesselndes Plädoyer für soziale Verantwortung und gegen Geschichtslosigkeit. Für mich leuchtet diese Story mit ihrer integren Heldin V.I. Warshawski, ihrem weiten Horizont und großen Spannungsbogen (HC, bereits erschienen).“
Auch Marcie Rendon, Native American, nutzt das Hardboiled-Genre zum Erzählen von sonst Verschwiegenem. Ihre ruppige junge Heldin »Cash« ermittelt in Stadt, Land, Raub zum 2. Mal. Raub begleitet die Geschichte der Indian Nations seit Jahrhunderten, doch in den 1970ern stößt Cash auf »weiße Sklaverei« … (TB, übs. v. Jonas Jakob, erscheint am 7.9.)
Und die »Queen of Tartan Noir« Denise Mina zeigt in Götter und Tiere den Verfall einer Stadt: Vom Anschlag auf eine Glasgower Postfiliale über Polizeikorruption bis in die Labour-Politik, hier kriegen alle ihr Fett weg, spannend, düster, raffiniert, mit sardonischem Zwinkern. (HC, übs. v. Karen Gerwig, erscheint am 28.9.)
Hier in Hamburg sitzt meine Kollegin Iris Konopik an der Übersetzung der brandneuen Manotti (Marseille.73, kommt Ende Oktober). In Bath und Chicago sitzen Liza Cody und Sara Paretsky im Lockdown und schreiben. Lauter Erzählerinnen, die mir Hoffnung machen. Auch in diesem Augenblick entstehen starke Romane, die unsere Große Erzählung bereichern, sie wieder ein Stück offener, mutiger, solidarischer machen.
Unser Projekt geht weiter. Haltet durch und bleibt aufmerksam. Lesen hilft.
Ihre/eure Else Laudan
Unsere Herbstvorschau 2020 können Sie bei Prolit oder hier herunterladen:
Und ein Leseexemplar schickt Ihnen gern Jonas Grundmann: vertrieb@argument.de.
Bisher brachten wir die Editorials von
Joachim von Zepelin und Christian Ruzicska,
Dr. Stephanie Mair-Huydts und Steffen Rübke,
Heike Schmidtke und Kilian Kissling,
Wolfgang Hölker und Lambert Scheer
Hermann Gummerer und Ludwig Paulmichl