Sylvia Löhrmann über die Veranstaltungsreihe #2021JLID, die 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland sichtbar und erlebbar machen will „Es soll deutlich werden, dass das Judentum für unser Land konstitutiv war und ist“

Vor genau einem Jahr wurde Sylvia Löhrmann, Staatsministerin a. D. des Landes Nordrhein-Westfalen, zur Generalsekretärin des Vereins „321-2021: 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ ernannt, der das Festjahr #2021JLID vorbereitet und koordiniert. Denn in diesem Jahr leben Jüdinnen und Juden nachweislich seit 1700 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Anlass für Fragen:

Sylvia Löhrmann (c) Jörn Neumann

BuchMarkt:Wie kam es zur Vereinsgründung, Frau Löhrmann?

Sylvia Löhrmann: Die Gründung des Vereins 321-2021 wurde im April 2018 unter anderem von den späteren Gremienvorsitzenden Abraham Lehrer, Vize-Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorsitzender der Mitgliederversammlung, Prof. Dr. Jürgen Rüttgers, Bundesminister a.D., Ministerpräsident a.D. des Landes NRW und Vorsitzender des Kuratoriums, sowie Dr. Matthias Schreiber, stellvertretender Sprecher des NRW-Landtagspräsidenten und Vorsitzender des Vorstands, initiiert. Hintergrund war der früheste erhaltene Nachweis zur Existenz jüdischen Lebens nördlich der Alpen: ein Edikt aus dem Jahre 321, das der römische Kaiser Konstantin nach einer entsprechenden Anfrage aus Köln erließ, um auch Juden die Übernahme von Ämtern in der Stadtverwaltung zu gestatten. Das bedeutet, dass Jüdinnen und Juden seit mindestens 1700 Jahren auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands leben. Das wollen wir feiern!

Was ist das Ziel des Vereins?
Ziel des Vereins und damit auch des Festjahres #2021JLID ist es, jüdisches Leben heute sichtbar und erlebbar zu machen. Es soll deutlich werden, dass das Judentum für unser Land konstitutiv war und ist. Denn Jüdinnen und Juden haben die deutsche Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft entscheidend geprägt. Zudem soll ein Zeichen gegen den erstarkenden Antisemitismus gesetzt werden.

Wie geschieht das?
Die Geschäftsstelle koordiniert und organisiert von Köln aus unter dem Hashtag #2021JLID rund tausend Veranstaltungen bundesweit – darunter Konzerte, Lesungen, Ausstellungen und Podiumsdiskussionen. Zahlreiche Projektpartner*innen aus ganz Deutschland – Vereine, Verbände, Schulen, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Stiftungen, jüdische und Kirchen-Gemeinden – engagieren sich, indem sie Ideen entwickelt und Förderanträge eingereicht haben oder Veranstaltungen eigenständig durchführen.

Und wer finanziert das alles?
Den größten Anteil trägt der Bund, aber auch das Land NRW und die Stadt Köln sind wichtige Säulen des Festjahres. Hinzu kommen Beiträge weiterer Bundesländer, von Kommunen, Kommunalverbänden, aber auch von einer engagierten Zivilgesellschaft.

Was passiert in diesem Festjahr?
Im Januar starteten bereits einige digitale Formate, die unter anderem auf unserer Homepage www.2021JLID.de abrufbar sind. So hat unser Podcast, in dem drei jüdische Journalist*innen abwechselnd jeden Mittwoch interessante Zeitgenossen interviewen, bereits über 6000 Abonnenten aus dem In- und Ausland. Um schon Kindern jüdisches Leben nahezubringen, erklärt das Puppentheater „Bubales“ die jüdischen Feiertage, und in der Clip-Ausstellung „Jewersity“ beschreiben junge Frauen und Männer, was ihr „Jüdisch sein“ ausmacht.
Am 11. Februar wurde die Sonderbriefmarke „Chai – 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ vom Bundesfinanzministerium und unserem Verein im Beisein des Bundesbeauftragten gegen Antisemitismus und für jüdisches Leben, Dr. Felix Klein, im Düsseldorfer Landtag vorgestellt. Alle können sich also am Festjahr beteiligen, indem sie das kleinste Werbeplakat in alle Welt verschicken! Am 21. Februar wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, unser Schirmherr, das Festjahr offiziell eröffnen. Diese Veranstaltung wird um 16:30 Uhr in der ARD ausgestrahlt – im Rahmen eines Thementages „Jüdisches Leben in Deutschland“ (von 15:45 bis 18 Uhr in der ARD).
Alle weiteren Termine sind im digitalen Veranstaltungskalender auf unserer Homepage zu finden, der sukzessive gefüllt wird: https://2021jlid.de/termine-im-februar/

Sie haben lange an diesem Event-Jahr gefeilt und geplant. Sehen Sie Corona nun als Bedrohung des Ganzen?
Natürlich erschwert die Pandemie Planung, Organisation und Durchführung. Das gilt für uns ganz genauso wie für die vielen Akteure vor Ort, die teils immer wieder neu und umplanen müssen. Wir hoffen sehr, dass zwei weitere Projekte unseres Vereins analog stattfinden können: das Kultur- und Begegnungsfestival „Mentsh!“, das fürs späte Frühjahr und die Sommermonate mit bundesweiten Veranstaltungen und einem „Bus der Begegnung“ geplant ist, sowie das weltweit größte Laubhüttenfest Sukkot XXL im September, zu dem jüdische Gemeinden in ganz Deutschland einladen. Denn wer zusammen isst, trinkt und feiert, kommt automatisch miteinander ins Gespräch!

Inwiefern können sich Buchhandlungen an dem Festjahr beteiligen?
Da gibt es viele Möglichkeiten! Einige werden wir beim nächsten Regionaltreffen vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels am 2. März in einer Videokonferenz vorstellen. Beispielsweise können Schaufenster thematisch dekoriert – unser 2021-Logo und Buch-Tipps stellen wir gern zur Verfügung – oder jüdische Autor*innen zu Lesungen eingeladen werden, wenn das wieder möglich ist.

Würden Sie sagen, dass jüdisches Leben in Deutschland bisher nicht ausreichend thematisiert wurde?
Auf jeden Fall nicht umfassend genug. Vielfach wird über Jüdinnen und Juden nur als Opfer gesprochen und nicht als lebendiger Teil unserer Geschichte und heutigen Gesellschaft. Natürlich bleibt es weiterhin unsere Verantwortung, der Shoah, dem größten Zivilisationsbruch der Menschheit, als Mahnung und Auftrag zu gedenken! Dazu gehört aber auch die Begegnung mit der ganzen Geschichte und dem heutigen Judentum. Wir wollen eine erweiterte Perspektive erreichen.

Was soll sich durch das Veranstaltungsjahr ändern im jüdisch-nichtjüdischen Miteinander?
So wichtig die Erinnerungskultur ist: Jüdinnen und Juden sollten in Deutschland als LEBENDE und nicht als ÜBERLebende wahrgenommen werden. Von meinen Gesprächen mit jungen Jüdinnen und Juden weiß ich, dass sie es leid sind, auf die Opferrolle reduziert zu werden. Und die bisherige Resonanz auf das Festjahr als  Plattform für Angebote und Aktivitäten ist beeindruckend und sehr ermutigend.

Mit welchen drei Wörtern würden Sie jüdisches Leben in Deutschland 2021 beschreiben?
Spannend, divers und vieles mehr!

INFO:

Alle Informationen rund um das Festjahr sind auf der Homepage www.2021JLID.de zu finden – und auf den Sozialen Kanälen.

 

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